Kultur Hommage an ein Hausmädchen

Ganz kurz im Kino, ab 14. Dezember bei Netflix: „Roma“ mit Yalitza Aparicio als Haushaltshilfe Cleo im Mexiko der 1970er.
Ganz kurz im Kino, ab 14. Dezember bei Netflix: »Roma« mit Yalitza Aparicio als Haushaltshilfe Cleo im Mexiko der 1970er.

Nach der Ehrung mit dem Goldenen Löwen von Venedig und einem überwältigenden Kritikerzuspruch hoffen die Produzenten von Alfonso Cuaróns „Roma“ auf den Oscar als bester Spielfilm. Produzent ist der Streamingdienst Netflix, der das Meisterwerk zunächst wohl nur seinen Abonnenten zeigen wollte. Doch bringt Netflix den Film nun vor dem Streamingstart für eine Woche auch im deutschsprachigen Raum in Kinos. Nicht alle aber ziehen mit (siehe „Hintergrund“).

Dem mexikanischen Regisseur Alfonso Cuarón, der sich bereits mit „Y Tu Mamá También“, „Children Of Men“ oder „Gravity“ als brillanter Erzähler bewiesen hat, ist ein ganz großer Wurf gelungen. Sicher auch, da er dieses Mal persönliches Erleben verarbeitet hat. Die von ihm selbst geschriebene Geschichte blickt auf seine eigene Kindheit in Roma, einem Stadtteil von Mexiko-Stadt Anfang der 1970er. Familienalltag wird geschildert. Dem Vater (Fernando Grediaga), der Mutter (Marina de Tavira) und den vier Kindern geht es gut. Was vor allem der Haushälterin Cleo (Yalitza Aparicio) zu danken ist. Ob kleine oder große Nöte, sie weiß immer Rat. Als der Vater sich plötzlich aus dem Staub macht, ist sie es, die den Sprösslingen Wärme und Geborgenheit schenkt. Die patente junge Frau hält die Familie zusammen. Aber sie ist und bleibt eine Angestellte. Man vertraut ihr, vertraut sich ihr auch an. Aber Liebe bringt ihr niemand wirklich entgegen. Der in Schwarz-Weiß gedrehte Film ist der wirklichen Cleo gewidmet und darf als späte Liebeserklärung Alfonso Cuaróns an die Unermüdliche verstanden werden, auch als Entschuldigung für die einst waltende Oberflächlichkeit im Umgang mit ihr. Diese hatte einen politischen Hintergrund: Cleo ist Mixtekin, gehört also zu den indigenen Ureinwohnern und ist dem damals alltäglichen Rassismus ausgesetzt. Der Film erzählt dies so selbstverständlich nebenbei wie auch das Verhältnis der Herrschenden zu den Unterdrückten ein Selbstverständliches ist. Cleo gehört zum Haushalt wie das Mobiliar. Keiner meint das böse. Die Verhältnisse sind einfach so. Wobei Cuarón genau diese Verhältnisse subtil beleuchtet und somit wirkungsvoll anprangert – mit großem erzählerischen Geschick. Er verzichtet auf große Gesten. So gerät der Stoff auch nicht zur sentimentalen Unterhaltung, obwohl Cleo viel aufbürdet wird: Sie wird schwanger – und der junge Mann hält nicht zu ihr. Ihre Arbeitgeberin aber sieht in Cleo plötzlich die Frau und solidarisiert sich mit ihr. Doch das ist nur ein Strohfeuer. Mit feinem Gespür für Wirkung reflektiert Alfonso Cuarón politische Ereignisse, die sein Heimatland prägten. Gezeigt wird beispielsweise das „Fronleichnam-Massaker“ von 1971, bei dem demonstrierende Studenten von regierungstreuen paramilitärischen Mordkommandos niedergemetzelt wurden, eines der Grauen des so genannten Schmutzigen Krieges, dem in Mexiko bis in die 1980er Tausende Studenten, Arbeiter, Bauern, Angestellte und Intellektuelle zum Opfer fielen. Cuarón zeigt dies ausschließlich aus dem Blickwinkel der naiven Cleo. Dadurch wirkt nichts aufgesetzt, ausgedacht oder gar vordergründig aufklärerisch. Was auch der subtilen Bildgestaltung zu verdanken ist. Cuarón hat die Kamera selbst geführt. Dabei hat er auf Intensität gebaut, nicht auf Hektik. Lange Kamerafahrten und -schwenks dominieren. Immer wieder halten die Bilder inne, verweilen. Dadurch fühlt sich der Zuschauer, als gehe er an Cleos Seite durch die Straßen der mexikanischen Hauptstadt oder befände sich mit ihr in der Küche. Mehrfach werden starke Momente über Spiegelbilder eingefangen. So wird zu Beginn die Bahn eines Flugzeugs am Himmel in einer Wasserlache sichtbar, wird die Welt in Cleos eng abgezirkeltes Reich geholt, ohne dass es Erklärungen bedarf. Bilder wie diese unterstreichen, dass subjektiv gefärbte Erinnerungen im Zentrum stehen. Und getragen wird der Film von Yalitza Aparicio als Cleo. Nicht als Schauspielerin ausgebildet, gibt sie hier ihr Debüt. Ihre Schlichtheit, ja, Unschuld, verleiht der Figur und „Roma“ eine verblüffende, mitreißende Wahrhaftigkeit. Es ist, als sehe man gelebtem Leben zu. Auch sie gilt als Oscar-Kandidatin. Die Oscars gelten als letztes Prestige-Symbol, dass sich Netflix noch für keinen Spielfilm verdienen konnte. Lediglich eine Netflix-Dokumentation hat die zuständige Academy bisher beachtet. Es galt das Verdikt, dass der Streamingdienst nur Fernsehfilme produziere und daher nichts bei den Oscars zu suchen hätte. Mit „Roma“ dürfte sich das ändern. Pessimisten sehen das als Anfang vom Ende des Kinos. Optimisten schließen sich Regisseur Guillermo del Toro („Shape of Water“) an. Als Präsident der Jury, die „Roma“ in Venedig zu Recht mit dem Hauptpreis auszeichnete, sagte er: „Ich glaube nicht, dass dies der Anfang vom Ende für Irgendetwas ist. Es ist die Fortsetzung dessen, was vor etwa 100 Jahren mit der Erfindung des Films begonnen hat.“ Termine In der Pfalz läuft der Film nur in Grünstadt (Filmwelt), in zwei Vorführungen am 12. Dezember. Daneben am 6., 9. und 12. Dezember in Karlsruhe (Filmpalast am ZKM), Saarbrücken (Cinestar) und Mainz (Cinestar).

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