Kultur Florian Henckel von Donnersmarck im Interview: sein neuer Film und mehr

Verarbeitet in der Künstlerbiografie eigene Angstvorstellungen: Florian Henckel von Donnersmarck.
Verarbeitet in der Künstlerbiografie eigene Angstvorstellungen: Florian Henckel von Donnersmarck.

Florian Henckel von Donnersmarck gewann für sein Stasi-Drama „Das Leben der Anderen“ den Oscar. Nach dem Thriller „The Tourist“ taucht er nun wieder in die Verstrickungen der deutschen Geschichte ein. Frei nach der Biografie von Gerhard Richter porträtiert er einen ostdeutschen Maler, Kurt Barnert. Nach dem Kunststudium in Dresden flieht er 1961 in den Westen, wo er bei einem an Beuys angelehnten Professor studiert und mit sehr persönlichen Werken den Durchbruch schafft. Der Film geht 2019 für Deutschland ins Oscarrennen.

Hat sich der Druck durch den Erfolg von „Das Leben der Anderen“ verändert?

Er ist gleich geblieben. Vor Beginn des Schreibens sehe ich den Film vor mir und setze alles daran, dass er so wird, wie ich ihn mir vorstelle. Das führte bei „Werk ohne Autor“ zu einem kontinuierlichen Kampf über vier Jahre. Erst wenn der Film fertig ist, weicht der Druck. Er gefällt dann zumindest einem Menschen. Mein einstiger Kommilitone Max Wiedemann, der mit „Das Leben der Anderen“ sein Debüt als Produzent gab, stellte mir damals eine entscheidende Frage: Wenn du noch zehn Jahre schneiden könntest, würdest du auch nur einen Schnitt ändern? Ich habe es damals ebenso wie heute verneint. Der Film erfüllt meine Qualitätsansprüche. Wenn er der Kritik und dem Publikum gefällt, ist das ein Bonus. Es freut mich sehr. Und wenn er gewogen und als zu leicht befunden wird, kann ich damit auch leben. Nicht jeder kann mich und meine Arbeit lieben. Wie haben Sie Gerhard Richter überzeugt, Ihnen die Biografie seiner frühen Jahre anzuvertrauen? Ich glaube, es hatte damit zu tun, dass ich eine eigenständige Geschichte erzählen wollte, und eben nicht seine Biografie. Er wusste, ich wollte Hintergrundinformationen für eine fiktive Geschichte, die einige Elemente aus seinem Leben als Ausgangspunkte nimmt. Ich glaube, deshalb hat er mir vier Wochen seiner wertvollen Zeit in Köln geschenkt und mir die Orte seiner Kindheit und Jugend in Dresden gezeigt – und mich das alles sogar aufzeichnen lassen. Für ein bloßes Abbild seiner Lebensstationen hätte er den Kontakt wahrscheinlich abgelehnt. Sie haben sein Leben übermalt? Vielleicht trifft es Übermalung ganz gut. Sebastian Koch, der im Film den Maler-Schwiegervater spielt, betont, dass der Film auch viel mit Ihnen gemein hat ... Beim Schreiben kann ich nur vom eigenen Erfahrungshorizont ausgehen. Ich hole die Figuren aus meinen Träumen und meinen Ängsten, ich gebe ihnen, was in mir ist. Der Maler Kurt Barnert ist der stille Beobachter, der nur aufnimmt und nicht gleich wertet – eine Art Idealvorstellung, wie ich mich als Kulturschaffender verhalten möchte. Als ich seinen Schwiegervater konzipierte, rief ich dagegen meine größten Angstvorstellungen auf. Daher ist der Film schon sehr persönlich. Ist er nicht auch biografisch, da Sie sich erneut mit der Stellung des Künstlers in der Welt auseinandersetzen? Ich nehme die Kunst sehr wichtig und ernst. Und Kunst ist im tiefsten Sinne immer autobiografisch. Der Künstler stellt sich den Verletzungen seines eigenen Lebens, die dadurch rückwirkend einen Sinn erhalten. Entscheidend ist auch der nächste Schritt. Kurt Barnert weiß am Ende des Films, dass seine Bilder auch wirken, wenn er dem Betrachter die Geschichte, die ihnen zugrunde liegt, nicht erzählt. Er vertraut darauf, dass die Bilder so sehr mit ehrlichem Gefühl aufgeladen sind, das sich das auf einen feinsinnigen und offenen Betrachter überträgt, auch ohne Erklärung. Waren Sie sich der Gefahr bewusst, Kunst zu sehr zu erklären? Im Film nicht, aber jetzt beschleicht mich gerade das Gefühl, dass ich in diesem Gespräch vielleicht zu viel erkläre. Im Buch zu meinem Film entwirft Alexander Kluge im Dialog mit dem Künstler Thomas Demand zwei Idealbilder des Künstlers. Das eine ist die Fledermaus, die einen Impuls in die Welt sendet und sich am Echo, das zurückkommt, orientiert. Wenn sie nicht auf das Echo hört, fliegt sie gegen die Wand. Das andere Bild ist die Meduse: Sie nimmt ohne störendes Zentralhirn alle Eindrücke auf, lässt sie auf sich wirken und beurteilt nichts, verarbeitet nur. So kann sie überleben. Auch mein Film erklärt nichts. Ich habe nur versucht, zu schildern, was ich – hoffentlich vorurteilsfrei – beobachtet und recherchiert habe. Dann verlasse ich mich auf meine Wahrnehmung und Erfahrung, um die Geschichte in die richtige Form zu bringen. So bleibt der Film im Bereich der Ahnung und nicht in dem des Wissens oder gar der Erklärung. Warum setzten Sie den Satz, alles Wahre sei schön, ein, der angesichts der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts mehr als ungute Assoziationen weckt? Es ist ja ein Satz der Tante unseres Helden, die an Schizophrenie erkrankt ist. Sie nimmt damit den Gedanken aus einem frühen Gedicht des englischen Romantikers John Keats auf, für den er sein Leben lang und noch lange nach seinem Tod in gleichem Maße Bewunderung und Ärger abbekam. Auch wenn darin auch etwas Wahnsinn steckt – es lohnt sich, darüber nachzudenken. Denn die Wahrheit hat schon etwas Zwingendes, einfach weil sie wahr ist. Vielleicht steckt auch der Gedanke darin, dass wir meist vergeblich nach der Wahrheit suchen. Aber die seltenen Momente, in denen wir sie gefunden zu haben glauben, machen uns glücklich. Sie benutzen weitere starke Sprachbilder. Wie lange feilen Sie an Dialogen? Das ist keine Frage von Dauer, sondern leidenschaftlichen Interesses an Etymologie und Sprache. Als Kind habe ich mal meine Familie in Aufregung versetzt, weil ich im Bus zurück von der Schule dem Gespräch zweier älterer Damen über ihre Kindheit zwischen den Weltkriegen lauschte und darüber das Aussteigen und die Zeit vergaß. Wenn ich heute ein mir unbekanntes Wort finde, ist das für mich wie ein Geburtstagsgeschenk. Ich will herausfinden, woher es kommt. Diese Freude an der Sprache übertrage ich auf die Figuren. Wenn die Schauspieler diese Texte dann mit großer Kunst präsentieren, macht mich das einfach nur glücklich. Sind Sie kompromissbereit bei der Rekonstruktion historischer Details? Historische Genauigkeit ist mir wichtig. Mir wäre nicht bewusst, dass wir irgendein Detail dem Zufall überlassen hätten. Es soll schon alles stimmen. Gleichzeitig bin ich da nicht so obsessiv, dass andere Dinge leiden würden. Sehr wichtig war es mir auch, den richtigen Geist der Bilder zu treffen, die in den jeweiligen Epochen entstehen. Ich weiß nicht, ob an einem deutschen Film je so viele bildende Künstler gearbeitet haben wie bei uns. Das Bild „Kriegskrüppel“ von Otto Dix zum Beispiel, das bei uns zu sehen ist, wurde von den Nazis vermutlich vernichtet. Es gibt davon nur eine kleine, schwarz-weiße Fotografie. Unsere Künstler haben mit dem Archiv des Malers gearbeitet, alle vergleichbaren Bilder analysiert, und es dann so gut nachgemalt wie nur irgend möglich. Dieser Aufwand hat sich, glaube ich, gelohnt. Es schwingt etwas Kosmisches mit, wenn eines der bedeutendsten Bilder der Epoche plötzlich wieder da hängt. Es repräsentiert den Verlust und damit auch den Wert von Kunst, und das bewirkt etwas in dem Betrachter.

„Der Maler Kurt Barnert ist der stille Beobachter, der nur aufnimmt und nicht gleich wertet – eine Art Idealvorstellung, wie ich
»Der Maler Kurt Barnert ist der stille Beobachter, der nur aufnimmt und nicht gleich wertet – eine Art Idealvorstellung, wie ich mich als Kulturschaffender verhalten möchte«, sagt Florian Henckel von Donnersmarck über seine Gerhard-Richter-Übermalung »Werk ohne Autor« mit Tom Schilling als Kurt Barnert.
x