Kultur Ewiger Eros

Es scheint sich gut anzufühlen, wenn einem 10.000 Menschen zujubeln: Eros Ramazzotti in Mannheim.
Es scheint sich gut anzufühlen, wenn einem 10.000 Menschen zujubeln: Eros Ramazzotti in Mannheim.

Im Sommer vor 21 Jahren war es, 1998. Das erste Auto war ein schwarzer, unerträglich unzuverlässiger Fiat Panda, Roberto Baggio und Paolo Maldini waren Fußballstars, der Millennium-Jahreswechsel würde eineinhalb Jahre später zufällig bei einem Zucchero-Konzert vor dem Mailänder Dom verbracht werden. Die damals 20-jährige Autorin dieses Artikels entschloss sich, die Semesterferien mit einem Italienischkurs zu verbringen, um nach Jahren des Rätselns beim Zuhören endlich zu verstehen, was Eros da eigentlich noch singt außer amore und ragazzi. Nein, liebe junge Leute, man konnte nicht einfach den Google-Translator mit den Texten füttern, den gab es noch nicht. Es gab auch kein Streaming. Wir haben damals Alben gehört, immer und immer wieder. Man kannte deswegen nicht nur die Hits, man kannte alles von einem Künstler, dessen Fan man war. Vielleicht befanden wir uns sogar schon am Ende einer Zeit, die Popmusiker hervorgebracht hat, aus denen globale Superstars wurden. Es wird sie womöglich, von seltenen Ausnahmen wie Ed Sheeran einmal abgesehen, bald nicht mehr geben. Eros Ramazzotti könnte einer der letzten sein, und er ist auf jeden Fall der einzige Vertreter einer Zeit, in der Italo-Pop das ganz große Ding war. Der Römer hält seit den 1980er-Jahren diese Italiensehnsucht am Leben, von der man seit Goethe dachte, dass sie etwas sehr Deutsches ist. Tatsächlich scheint sie universell zu sein. Eros Ramazzotti gibt in diesem Jahr 80 Konzerte – und nur sechs davon in Deutschland. In Israel und den USA, in Südamerika, in ganz Europa und natürlich in der italienischen Heimat: Überall jubelt man ihm zu. Eine Welt, in der gerade wenig Harmonie und Einigkeit herrscht, einigt sich auf Eros Ramazzotti. Das ist schon ziemlich bemerkenswert. Und es schafft wahrscheinlich größere Erwartungen, als ein einzelner Mensch erfüllen kann. Man kann es dem 55-Jährigen nicht verdenken, dass er phasenweise müde wirkt, die Stimme heiser klingt, er zu seinen Musikern sagt, sie sollten jetzt schnell weitermachen. Der italienische Sitznachbar hat es dankenswerterweise übersetzt, die damals im Sommersprachkurs gelernten unregelmäßigen Verben befinden sich irgendwo in schwer zugänglichen Hirnregionen. Das ist übrigens noch etwas, das Eros Ramazzotti zu verdanken ist: Für all die aus Italien stammenden Menschen im Konzert, die in Deutschland nicht immer mit der ihnen gebührenden Wertschätzung behandelt worden sind, mag es sich besonders anfühlen, dass so viele Deutsche einem von ihnen zujubeln. Und lustig, wie sie mitzusingen versuchen, auch wenn das Urlaubsitalienisch sonst gerade für die Kaffeebestellung reicht. Zwei Stunden dauert Ramazzottis Auftritt in Mannheim. Ihn mitgezählt, stehen elf Musiker auf der Bühne. Natürlich kommt einem das Bild von der Fußballmannschaft in den Sinn. Eros Ramazzotti ist Mitglied einer Fußballmannschaft italienischer Sänger, und er jongliert auch in Mannheim ein bisschen mit dem Fußball eines Fans, bevor er ihn unterschreibt. Aber ihn als Kapitän einer Mannschaft zu bezeichnen, wäre trotzdem übertrieben. Es geht hier nur um Eros. Auch wenn der Schlagzeuger Eric Moore vor „Terra promessa“ eine kleine Entertainment-Einlage gibt, ab und zu ein Saxofonsolo erklingt und die zwei Sängerinnen bei „I belong to you“ und „Più che puoi“ aus dem Background ins Rampenlicht treten dürfen. Ob Eros Ramazzotti eigentlich jemals einen großen Hit gehabt habe, wollte kürzlich ein junger Kollege wissen. Oh Mann! Er hatte so viele Hits, dass er sie regelrecht herschenkt. Auf „Ma che bello questo amore“ verzichtet er unverständlicherweise komplett, „Adesso tu“ und „L’aurora“ versteckt er in Medleys. „Se bastasse una canzone“, eine seiner größten Nummern, spielt er schnell runter, und bei „Cose della Vita“ begibt er sich ins Publikum, was dazu führt, dass aus den Lautsprechern mehr Kreischen als Gesang kommt. Anfassen ist auch erlaubt. Eros Ramazzotti scheint, auch mit kleinem Bäuchlein und ganz kurzen grauen Haaren, immer noch ein Sexsymbol zu sein. Obwohl er eigentlich dem Klischee des Latin Lovers nie so richtig entsprochen hat. Anders als Luis Fonsi („Despacito“), mit dem er „Per le strade una canzone“ singt. Fonsis Part kommt von der Videoleinwand, auf der sonst die ganze Zeit gigantische 3-D-Animationen ablaufen. Die Zusammenarbeit ist, wie schon häufiger, ein schlauer strategischer Schachzug Ramazzottis, der so auch manch einem Jüngeren ein Begriff bleibt. Die meisten Fans sind natürlich mit ihm älter geworden. Es dauert fast eine halbe Stunde, bis die ersten für „Dove c’è musica“ ihre Sitzplätze verlassen und nach vorne kommen, und bis zum letzten Song des Abends, „Più bella cosa“, bis endlich alle stehen. Es sind alles Nummern aus einer anderen Epoche. Wer hat denn heute noch Zeit, so lange auf einen Refrain zu warten? Ramazzotti weiß das und schafft es auf geheimnisvolle Weise, seine aktuelle Musik modern klingen zu lassen und gleichzeitig den Sound der Vergangenheit zu kultivieren. Er ist nicht nur der Schmusesänger, er spielt auch mal ein rockiges Gitarrensolo. Doch, ja: Es gibt eine realistische Chance, dass es weitergeht mit Eros und uns. Vielleicht sogar, so gewagt es auch klingen mag: per sempre.

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