Kultur Ein Versöhnungsritual

Gestern sind die Bayreutehr Festspiele 2017 mit einer „Meisteringer“-Neuinszenierung eröffnet worden. 1943 war diese Oper in ein
Gestern sind die Bayreutehr Festspiele 2017 mit einer »Meisteringer«-Neuinszenierung eröffnet worden. 1943 war diese Oper in einem Bühnenbild von Wieland Wagner zu sehen (Foto), an dessen 100. Geburtstag die Festspielleitung am Montagabend in einer Gala erinnerte.

Mit einer Neuinszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“ durch den australischen Regisseur Barrie Kosky wurden gestern Abend die Bayreuther Richard-Wagner-Festspiele eröffnet. Am Abend zuvor feierte man in einem Festakt einen der Protagonisten dieses im besten Sinne wahnsinnigen Unternehmens: Wieland Wagner, den erstgeborenen Enkel des Meisters, der die Festspiele nach dem Zweiten Weltkrieg neu positionierte und dessen 100. Geburtstag im Januar dieses Jahres war.

Das Festspielhaus einmal aus einer anderen Perspektive. Der Blick auf die Bühne: keine Kulissen, kein Vorhang. Nur das Festspielorchester, dirigiert von Hartmut Haenchen. Ein sehr gutes Orchester, überhaupt keine Frage. Aber eben auch nur Menschen. Leichte, minimale Phasenverschiebungen etwa beim Einsatz der Blechbläser im Vorspiel zu „Parsifal“. Man hört das sonst nicht. Der berühmte „mystische Abgrund“, der für den einzigartigen Bayreuth-Klang sorgt, er wirkt eben auch wie ein akustischer Filter, der kleinere Ungenauigkeiten gar nicht bis zu unseren Ohren durchlässt. Unerhört ist auch die Programmauswahl an diesem Abend – im wahrsten Sinne des Wortes. Im Wagner-Heiligtum, wo nichts außer Wagner und in Ausnahmefällen Beethovens neunte Sinfonie gespielt werden darf, erklingt Verdi (Schlussszene aus „Otello“). Und Alban Berg, der Neutöner, der Romantik-Zertrümmerer (drei Bruchstücke aus „Wozzeck“). Nun, es haben es offenbar auch die radikalsten Wagnerianer überlebt. Für Wolf Siegfried Wagner, zweitältestes Kind von Wieland und Gertrud Wagner, muss es etwas Außergewöhnliches sein, auf dieser Bühne stehen zu können. Wir erinnern uns an die Vertreibung vom Hügel, die Wielands Bruder Wolfgang nach dessen Tod mit seinen Nachkommen unternommen hat. Noch heute herrscht mit Katharina Wagner die Wolfgang-Wagner-Linie. Und der gemeinsam organisierte, den Wünschen der Wieland-Kinder Wolf Siegfried, Nike und Daphne folgende Festakt ist nun so etwas wie ein Versöhnungsritual der entzweiten Familienlinien. Da wurde mehr als nur eine symbolische Hand ausgestreckt von Katharina Wagner, die den Festakt eröffnete. Die kurze Ansprache Wolf Siegfrieds, der auch als Opernregisseur gearbeitet hat und heute auf Mallorca als Architekt lebt, gerät ihm zur Anrufung des toten Vater. „Irgendwo hier muss er doch noch sein, sein Geist.“ Er beschwört Bilder aus der – glücklichen? – Kindheit herauf, vom Spielen in den Drachenmasken etwa. Und er geht auf die Abgründe in Wieland Wagners Biographie ein, der noch 1944 als überzeugter Nazi die Kriegsfestspiele organisiert hat und sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg konsequent davon distanzierte, auch, indem er mit der Mutter brach, die bis zu ihrem Tod 1980 an das Gute in Adolf Hitler glaubte. Dieser – Onkel Wolf genannt in Haus Wahnfried – war so eine Art zweiter Vater für Wieland. Was er für Winifred wirklich war, darüber lässt sich nur spekulieren. Aber all dies reicht, um psychisch ziemlich angeknackst durchs Leben zu gehen. „Du hast mir gesagt, dass Du Dich hasst.“ Erinnert sich der Sohn. Und es schaudert einen. Gut, dass Peter Jonas, einst Intendant der Bayerischen Staatsoper in München, das Phänomen Wieland Wagner in seiner Festrede mit typisch britischem Humor angegangen ist. „Wir Briten haben die Windsors, die Amerikaner die Kennedys, und die Deutschen haben die Wagners.“ Auch Jonas geht auf die Brüche in Wieland Wagners Leben ein, sieht aber in der doppelten Emanzipation, einerseits von der Mutter, andererseits von der NS-Ideologie, den entscheidenden Impuls für eine Theaterkarriere, die unsere Bühnenkunst radikal verändert habe. Für ihn stehen Wieland Wagner in Bayreuth und Walter Felsenstein in Berlin am Beginn einer kulturellen Entwicklung im Nachkriegsdeutschland, die mit dazu beigetragen habe, aus der Bundesrepublik ein freies, demokratisches, humanistisch-tolerantes Land zu machen. Da wurde dann doch wieder eine zentnerschwere Bedeutungslast abgeladen auf dem Grünen Hügel. So weit der Rückblick. Der Blick nach vorne, in einer eigens einberufenen Jahres-Pressekonferenz, geriet unspektakulär. Die Sanierung des Festspielhauses wird in ihre zweite, über sechs Millionen Euro teure Phase treten. Anna Netrebko wird im nächsten Jahr nicht die Elsa im von Christian Thielemann dirigierten neuen „Lohengrin“ singen. Das übernimmt Anja Harteros. Und von Frank Castorfs „Ring“, der mit der aktuellen Spielzeit eigentlich abgespielt sein sollte, bleiben drei „Walküren“ im nächsten Jahr übrig. Dirigiert von Plácido Domingo. Ein großartiger Sänger, ganz sicher. Als Dirigent kann man sich ihn ausgerechnet an diesem Ort nun aber nicht unbedingt vorstellen.

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