Kultur Ein Buch, ein Bela B.

Haut immer auf die Pauke: Bela B., von seinem Auftritt in Mannheim waren nur autorisierte Fotos erlaubt. Hier deshalb ein Archiv
Haut immer auf die Pauke: Bela B., von seinem Auftritt in Mannheim waren nur autorisierte Fotos erlaubt. Hier deshalb ein Archivbild.

Lässiger Typ, natürlich, Bela B., schlurft im grünen Pyjama unterm Zuhältermantel mit Veloursrevers und in roten Puschen auf die Bühne der Alten Feuerwache Mannheim, die prall gefüllt ist. Ein Ortsausgangsschild ist aufgestellt, „Scharnow“ steht drauf, rot durchgestrichen. Ein Video-Bildschirm prangt. Dirk Felsenheimer alias Bela B. von den Ärzten, seit 37 Jahren der singende Stehschlagzeuger der selbsternannt besten Band der Welt, hat ein Buch geschrieben, sein Debüt. Dieses Jahr wird er 57. Der Punk und die Literatur. Das hier ist so etwas wie eine Lesung. Der Mann im Karo-Hemd neben mir sagt, es sei die erste, die er besucht. Er ist aus Hoffenheim. Bela B. aus Spandau, Berlin, wohnhaft in Hamburg, reckt einarmig sein Werk in die Luft. Orangefarben-hellblaues Cover, darauf der Autor groß, der Titel „Scharnow“ viel kleiner. Und ein waagrecht fliegender Mann. Das Publikum, Leute mit Ärzte-Hintergrund, Mittelschicht mit Totenkopfringen am Finger, Stefanies mit Tattoos. Die Hoch-Zeit der Ärzte waren die 1990er und der Anfang der nuller Jahre. Ein Büschel des zur Surfwelle aufgetürmten, graublonden Haars steht B. seitlich ab. Die Siegelringe an der Hand, klar. Aus dem Off tönt der Anfang des über 400 Seiten langen, na ja, Romans, der ein Bestseller ist. „Eine Schar Wildgänse fliegt in Formation einen vollendeten Bogen über das herbstliche Brandenburg in Richtung Scharnow, einen kleinen Ort unweit der Kreisstadt Sahsenheim.“ Das 4000-verlorene-Seelen-Kaff gibt es in realiter nicht. Und doch irgendwie, versteht sich. Bela B. putzt die Brille. Dann geht das los. Vielleicht muss man erst etwas zu dem Buch sagen, das der Kurzzeit-Polizeischüler, geschasste Schaufensterdekorateur und Damenoberbekleidungsverkäufer, geschrieben hat. Auch er also ein Autor, schreibende Popmusiker sind ja en vogue. Jochen Distelmeyer von Blumfeld, Frank Spilker von den Sternen, Tocotronics Dirk von Lowtzow hat sich auch verewigt. Aber keiner so, wie Bela B., der zwischendurch auch als Synchronsprecher fungiert, Radio-Moderator, Schauspieler schon war, in „Alarm für Cobra 11“, im „Tatort“ und Tarantinos „Inglourious Basterds“. Als krude Mischung nämlich und in der Bela-B.-Ästhetik zwischen Pulp-Comic und Kalauerei, absurd und kurios, ulkend schwankend zwischen Unsinn und unterhaltsamer Fantasy. Ein Kosmos, in dem Überflüssiges bedeutungsschwanger geht. „Scharnow“ liest sich wie ein 400 Seiten langer Ärzte-Song, politischer Spaßpunk. Wobei als Tonspur im Buch – und bei seinem sagenhaften Mannheimer Auftritt – Rex Gildos „Fiesta Mexicana“ allgegenwärtig ist. Danke dafür übrigens, NEIN! Kann sehr gut sein, dass das Werk, mit Toneinspielern, eingeblendeten Comics und Fotos, aufgeführt als Ein-Mann-Show von Bela B., besser funktioniert als zu Hause, still gelesen. B. irrlichtert lustvoll zwischen Selbstironie und Größenwahn. Ein „unerfahrener Bestsellerautor“ feiert sich und schrammt am Häme-Rand. Ein Satz wie „Bratengabel fuchtelte mit seiner Bratengabel“ wird zum persönlichen „Thomas-Mann-Moment“ hochgejazzt. Er ist einfach sehr gut drauf, sagt er auch selbst so. Und tut diabolisch im nächsten Moment. Gibt den schillernden Zampano der Herzen. Manchmal bellt er auch, wenn er will und die Szene es erfordert. In seinem Pyjama sieht er aus wie Casanova als Bibliothekar auf seinem Altersruhesitz Schloss Dux. Dazwischen setzt es politische Ansagen gegen Trump und die AfD („Adolf für Doofe“). Und für die Wasserinitiative Viva con Aqua, deren Vertreter ein Banner in die Luft halten. Ein Abend also wie eine irre lustig-beschwipste Spontanparty mit Hauptheld, die ausnüchtert, wenn man davon erzählt. Ein Best-of-Gig mit Textschnipseln und Fan-Zwischenrufen. Im Buch selbst können Männer fliegen, Bücher töten. Schwule Eichhörnchen werden Zeugen erschreckender Ereignisse. Dazu kommt Gregor Gysis Ex-Katze Dave E., aber auch Cloudy, die Schwester von Obamas portugiesischem Wasserhund Bo, die einem Attentat eines „Bunds skeptischer Bürger“ zum Opfer fällt. Etwa 38 Figuren führt das Personenverzeichnis auf. Sinnvoll und ohne wie ein Literaturkritiker-Sauertopf zu wirken, lässt sich der überschießende Inhalt nicht resümieren. Mittig, auch beim Mannheimer Auftritt, steht die Szene, in der vier nackte Männer, zusammen „der Pakt der Glücklichen“, einen Supermarkt überfallen, um Kippen und Korn zu klauen. Einer kotzt sich dabei in die Papiertüte über seinem Kopf, was Bela B. mit Ton- und Bildbeispielen unterlegt. Im Rest des Buches und teilweise des Abends geht es um den Stellungskrieg von Verschwörungstheoretikern und Weltenlenkern, um Pornoqueens und Superhelden, die sich zu Tode eitern, statt „in Fetzen geliebt“ zu werden, einen syrischen Praktikanten, der sich als Türke ausgibt, Agenten. Et cetera. Eine Schießerei im Treppenhaus muss auch sein. Als Schmiermittel der Handlung wird „Mische“ eingesetzt, 55 Prozent Fanta, 45 Prozent Korn. Soll lala schmecken, sagen die, die das Gesöff probiert haben. Einmal an diesem Abend nämlich füllt Bela B. sechs Gläser davon ab, der Korn darin: Hamburger Kiez-Stoff für 14 Euro, teilt er mit. Fürs geneigte Publikum ist ihm nichts zu teuer, das heißt: zu billig auch nicht. Das seinerseits ist überschwänglich. Sensationell. Der Punkdichter dankt mit performativer Abschweifung bis zum Exzess. Genial, die Idee, als Zugabe (!) vom Lektor gestrichene Passagen vorzulesen. Mit dessen Kommentar. Nie erlebt sonst im Literaturwesen. Manchmal steht da nur WTF, jugendfrei übersetzt heißt das: Was soll das? Mithin nichts. Aber lustig ist’s. Den Kern des Abends aber hat Bela B. selbst umschrieben: „Es ist einfach geil, einen Rockstar im Schlafanzug auf der Bühne zu erleben.“ Stimmt so. Hossa und okay. Lesezeichen Bela B Felsenheimer: „Scharnow“; Roman; Heyne Verlag; 416 Seiten; 20 Euro.

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