Kultur Die Sehnsucht in der Stimme

Unverkennbares Timbre: Christa Ludwig.
Unverkennbares Timbre: Christa Ludwig.

Sie wurde zum Weltstar, lange bevor es den modernen Opern-Jetset gab. Und das, obwohl sie nicht die hochdramatischen Sopranpartien sang, sondern das Mezzofach. Sie war nie die klassische Diva mit Hang zu großen Gesten, aber ihre Ausstrahlung und ihr unverkennbares, samtenes, manche sagen erotisches, Timbre sind unvergessen und gut dokumentiert: Heute feiert Christa Ludwig ihren 90. Geburtstag.

Die Wiener Staatsoper war fast 40 Jahre ihr Stammhaus, seit sie Karl Böhm 1955 dorthin verpflichtet hatte. In 769 Vorstellungen stand sie dort auf der Bühne – und hat gleichzeitig die Opernwelt erobert: von den Festspielen in Bayreuth und Salzburg über Mailand und London bis zur Met, wo sie bereits 1959 debütierte, als Page Cherubino in Mozarts „Hochzeit des Figaro“. Wie das möglich war? Mit viel Disziplin und vor allem Schweigen. Das hat Christa Ludwig aber erst erzählt, als sie sich Mitte der 1990er von der Bühne verabschiedete – nicht mit einer Gala, sondern unspektakulär, nach und nach. Mit einem Liederabend 1993 in Salzburg, mit einer Klytämnestra (Strauss, „Elektra“) Ende 1994 in Wien. Seither erfahren wir, dass die großartige Sängerin Christa Ludwig auch eine hervorragende Erzählerin ist, die charmant plaudern kann und kein Blatt vor den Mund nimmt. „Die Besetzungscouch ist so alt wie das Theater“, erklärte die fast 90-Jährige vor wenigen Tagen im Interview mit der „WAZ“. Von Journalisten auf Erotik in der Stimme angesprochen, erklärte sie, schon ein wenig ernsthafter, dass eine Karriere wie ihre vor allem aus Verzicht bestünde – und die Stimme unerfüllte Sehnsüchte durchaus zum Ausdruck bringen könne. Vom „Sinnenzauber“ spricht der sonst so mäkelige „Stimm-Papst“ Jürgen Kesting. „Wir sind Sklaven unserer Stimmbänder“, sagt hingegen die Betroffene selbst und freute sich, nach ihrer letzten Vorstellung endlich einmal ohne Schal durch die Kärntner Straße in Wien zu spazieren – ohne Angst vor Erkältung. Die Sklaverei begann für die am 16. März 1928 in Berlin geborene Tochter eines Opernintendanten und einer Sängerin schon in der Kindheit. Keine Gesangspädagogen, sondern ihre Mutter bildete sie aus und begleitete die Laufbahn der Tochter, die mit 17 Jahren an der Frankfurter Oper als Prinz Orlowsky in der „Fledermaus“ debütierte. Noch eine Hosenrolle, wie dann auch der Octavian in Strauss’ „Rosenkavalier“. Später sang sie auch die Marschallin – obwohl sie nie wie andere Mezzokolleginnen wirklich im Sopranfach reüssierte. Die „Fidelio“-Leonore sang sie zwar, sie liebte die Herausforderung. Manche sagen, sie hätte es besser nicht getan. Aber von Dorabella über Amneris bis Fricka hat wohl jeder, der „die Ludwig“ auf der Bühne erlebte, einen eigenen Höhepunkt in Erinnerung. Ganz zu schweigen von den vielen Liederabenden, bei denen es niemand in den Sinn kam, zu bemerken, Schuberts „Müllerin“-Zyklus sei doch eher eine Männergeschichte. Männer gab es zwei in ihrem Leben: Von 1957 bis 1972 war sie mit Bassbariton Walter Berry, dem Vater ihres Sohnes Wolfgang, verheiratet, von 1972 bis zu dessen Tod 2011 mit dem französischen Theatermann Paul-Émile Deiber. Man hört ihr immer noch gerne zu: eine Jahrhundertstimme. CD-Tipps —Christa Ludwig Edition zum 90. Geburtstag, 12 CDs Deutsche Grammophon —Gustav Mahler: Das Lied von der Erde, Fritz Wunderlich, Christa Ludwig, Dirigent: Otto Klemperer

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