Kultur Die Saat der Eifersucht

Jura Wanga (Desdemona) und Huy Tien Tran (Othello) mit dem verhängnisvollen Tuch.
Jura Wanga (Desdemona) und Huy Tien Tran (Othello) mit dem verhängnisvollen Tuch.

In seiner dritten Spielzeit wirkt der Schotte James Sutherland nun schon am Lauterer Haus. Er hat in diesen Jahren aus der klassisch verhafteten Ballettsparte modernes Tanztheater gemacht. „Othello“ ist nach „Romeo und Julia“ (2016, noch als Gastchoreograph) sowie „Giselle“ in der vergangenen Spielzeit sein drittes Stück, das auf einer konkreten Textvorlage basiert. Jedoch strafft Sutherland die Geschichte zunächst einmal gehörig. In zwei Akten und rund 13 Szenen (Shakespeare braucht fünf Akte) verdichtet er das Drama und reduziert das Personal auf sechs Figuren. Der tragische Titelheld und sein düsterer Gegenspieler Jago stehen im Zentrum. Andere Zweierkonstellationen – Othello und seine Gattin Desdemona, Jago und seine Frau Emilia sowie Cassio und seine Freundin Bianca – gruppieren sich um die beiden Antipoden herum. Neben dem Thema Vertrauen sind es Gefühle wie Neid, Missgunst und Misstrauen, denen der Choreograph auf der Spur ist. Zu Beginn sind der Feldherr Othello und sein treuer Fähnrich Jago noch ein Herz und eine Seele. Die Heirat mit der Senatorentochter Desdemona lässt Othello jedoch endgültig in die Oberschicht Venedigs entschwinden. Noch dazu bevorzugt er den jungen Cassio bei einer anstehenden Beförderung. In Jago erwachen Eifersucht und Neid. Sie finden ihren Niederschlag in einer Intrige, in der er Othello suggeriert, Desdemona habe ein Verhältnis mit Cassio. Auch in Othello reift nun die Saat der Eifersucht. Ein Tuch wird dabei zum verhängnisvollen Beweismittel, am Ende tötet Othello seine Frau im Eifersuchtswahn. Als er seinen Irrtum erkennt, bleibt er verlassen zurück. Schon der gekürzte Schluss – bei Shakespeare bringt sich der Titelheld um – zeigt, worauf Sutherland den Blick lenkt: weniger auf die Dramatik der Handlung als auf die Psychologie der Figuren. Dementsprechend lässt er seine Tänzer vor allem Gefühlszustände sowie deren Verdichtung umsetzen. Weitaus weniger Raum nimmt bei ihm die Schilderung des Geschehens ein. Diese erledigt Sutherland nicht selten mit gesprochenem Wort (Schauspieler Luca Zahn), das von Tanz begleitet wird. Es entstehen quasi vertanzte Rezitative, neben dem klar gegliederten Programmheft ein geschickter Kunstgriff, die Handlung zu vermitteln. Seine Compagnie folgt ihm auf diesem Weg mit gewohnt kompromisslosem Einsatz. Das Sutherlandsche Formenvokabular ist dabei das bekannte: eine expressive Tanzsprache, dem Boden verhaftet, mit Elementen des Street Dance bis hin zur Pantomime. Klassische Anleihen und Hebefiguren, ja auch seltene Sprünge verordnet er seinem Ensemble in den höfischen Szenen. Aus einer geschlossenen Ensembleleistung ragen dennoch der athletische Huy Tien Tran als Othello, Ermanno Sbezzo als Jago und Jura Wanga als Desdemona heraus. Vor allem in den diversen Pas de deux werden die zwischenmenschlichen Beziehungen und Spannungen deutlich. Die Soli, vor allem von Tran und Sbezzo, machen die inneren Kämpfe der Figuren deutlich. Bis in die einzelne Fingerbewegung reicht die Detailarbeit, die Sutherland zusammen mit seinen Tänzern leistet. Das Leitmotiv des verhängnisvollen Tuches durchzieht dabei die Choreographie wie ein roter Faden. Und genau in diesen psychologischen Schilderungen erlebt die Aufführung ihre Höhepunkte. An Ensembleszenen wird man sich dagegen wegen der golddurchwirkten Kostüme von Rosa Ana Chanzá erinnern. In bester Tradition eines John Neumeier und seiner legendären Hamburger „Othello“-Choreographie von 1985 steht Sutherland mit seinem Ansatz, der die Figuren in ihrem Innersten zu fassen sucht. Kommt Neumeier zum desillusionierenden Schluss, dass man einander letztendlich einfach nicht kennen kann, so stellt Sutherland den Einzelnen und seine Entwicklung im Beziehungsgeflecht der Gesellschaft ins Zentrum seiner Betrachtung. Wie Neumeier platziert Sutherland das Orchester auf einer Empore im Hintergrund der in minimalistischem Schwarz-weiß-Kontrast gehaltenen Bühne (Claus Stump). Von dort aus entfalten sich fesselnde Klangreize zwischen Barock und Moderne. Äußerst engagiert und konzentriert setzt das Pfalztheater-Orchester unter Anton Legkii die so unterschiedlichen Partituren um. Barocke Klänge von Henrico Albicastro und Arcangelo Corelli charakterisieren dabei die höfischen Szenen. Die inneren Seelenkämpfe spiegelt die Atonalität eines Iannis Xenakis wider. Zur Ruhe kommt die Szene mit den minimalistischen Klängen eines Henryk Górecki und den Streicherkantilenen von Wojciech Kilar. Herausragend dabei das Spiel der Sologeigerin Anna Sophie Dauenhauer, die nicht nur in John Adams’ komplexem Violinkonzert gefordert ist. Der kräftige Applaus, teilweise im Stehen dargebracht, war im nicht ganz voll besetzten Großen Haus des Pfalztheaters der berechtige Lohn für eine facettenreiche Inszenierung, die den Mythos des Othello zum Leben erweckt. Termine Vorstellungen am 7., 13., 26., 31. März, 17. April, 10., 17., 25. Mai, 21. Juni; Karten unter 0631/3675-209 und www.pfalztheater.de.

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