Coronakrise Die Rolle unseres Lebens: Toilettenpapier ist die Ikone der Krise

Rasch, es könnte bald keines mehr geben.
Rasch, es könnte bald keines mehr geben.

Es ist – neben der Atemmaske – zu einer Art Ikone dieser merkwürdigen Zeit geworden. Warum, weiß niemand genau. Doch Toilettenpapier wird wohl für immer in unserem Gedächtnis zusammengeschweißt bleiben mit der Coronakrise. Wie in Zeiten von Covid-19 aus einer Neben- eine Hauptrolle unseres Lebens wurde.

Die Bilder gehen seit Wochen durch alle Medien und sozialen Netzwerke: Menschen, die vier, fünf, sechs Packungen Toilettenpapier in ihren Einkaufswägen gestapelt haben; leere Regale in Supermärkten, in denen verwaiste Preisschilder offenbaren, was es dahinter eben heute und morgen und vielleicht auch übermorgen nicht zu kaufen gibt: richtig, Klopapier!

Eigentlich ist das ja ein eher heikles Thema, über das wir ungern ganz offen sprechen: unsere Verdauung. Der Darm als Terra incognita, als unbekanntes Land eben, über das man lieber schweigt statt von ihm zu schwelgen. Weshalb man die Großpackung WC-Papier vor Corona auch eher unten in den Einkaufswagen gelegt hat. Wie hätte das denn auch ausgesehen, ein ganzer Wagen voll Klopapier! Was da die Nachbarn wohl gedacht hätten? Doch wer einst vielleicht in einer Mischung aus irritiert und angewidert („Was muss der wohl für eine Krankheit haben, wenn er so viel Papier braucht!“) auf Toilettenpapier-Hamsterer geschaut hat, der blickt heute nur noch voller Neid und Bewunderung. Aufgerollte Papierfetzen – dreilagig, versteht sich – als Statussymbol. So schnell kann es gehen.

Tausche Klopapier gegen Badfliesen

Dass Klopapier regelrecht gehamstert wird, gehörte für den Westen der geteilten Republik allenfalls in der unmittelbaren Nachkriegszeit, in der neben vielem anderen eben auch der Hygieneartikel Mangelware war, zum Bild des Alltags. In der DDR dagegen war es fast so selten wie Ananas und Bananen und so kostbar wie Nylon-Strumpfhosen. Zumindest konnte man als Kind den Eindruck gewinnen, wenn man zu Besuch in Thüringen bei der lieben Verwandtschaft der Eltern war. Da konnte es schon mal passieren, dass sich auf der Toilette die Klopapierpackungen bis unter die Decke stapelten. Man kaufte eben auf Vorrat, was der Zufallsgenerator Planwirtschaft gerade einmal wieder auf den Markt des Arbeiter- und Bauernstaates gespült hatte. Und man hortete Toilettenpapier durchaus auch als Zahlungsmittel. Um es vielleicht später einmal gegen einen Sack Zement zu tauschen. Oder eine Packung Badfliesen. Am besten funktionierte die DDR-Wirtschaft mittels solcher Tauschgeschäfte. Doch Vorsicht war geboten beim Gebrauch des in volkseigenen Betrieben hergestellten Toilettenpapiers.

Papierwitze im Arbeiter- und Bauernstaat

Warum? Das lässt sich am schnellsten mit einem ziemlich derben Witz aus DDR-Zeiten erklären, den man auf der Webseite des MDR finden kann: „Warum ist das Klopapier in der DDR so rau? Damit auch der letzte Arsch rot wird!“ Humor im Zeichen von Erich und Co. war nichts für Zartbesaitete.

Hakle, die Firma der Klopapierlegende Hans Klenk, der 1928 in Ludwigsburg die erste Fabrik auf deutschen Boden zur Herstellung des unter Hygienegesichtspunkten durchaus lebenswichtigen Papiers errichtet hatte, belieferte den Westmarkt ab 1972 mit zweilagigem, ab 1984 gar mit dreilagigem Papier. Heute ist es gleichermaßen samt-weich wie rissfest, und es riecht nach Minze oder Waldfrüchten oder Zitrone. Vor dem Gebrauch allerdings nur. Danach nicht mehr.

Moos oder lebende Hühner tun es auch

In der DDR war das anders. Da griff man schweren Herzens zu einer Art Krepppapier. Hart, hauchdünn und natürlich nur einlagig. Damit war man in der menschlichen Zivilisationsgeschichte jedoch immerhin einen Schritt weiter als in der Zeit vor Erfindung des Toilettenpapiers, die sich die Chinesen zugute halten können. Benutzt wurde geradezu alles, was irgendwie greifbar war. Steine und Tonscherben bei den Griechen, Schwämme auf Stöckchen bei den Römern, im Nahen Osten des Mittelalters war vor allem die linke Hand beliebt, während das Abendland Moos, Tierfelle, Blätter, Lumpen und manchmal angeblich auch ein lebendes Huhn benutzte.

Eine besonders eigenartige Begegnung mit dem, was wir heute Toilettenpapier nennen, beschreibt der große Barockdichter Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen in seinem 1668 erschienenen Roman „Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch“. Ein Buch, das in einer Krisenzeit spielt, die unserer dann doch in keiner Weise zu vergleichen ist: Der Dreißigjährige Krieg gehört zweifelsohne zu den dunkelsten Kapiteln der deutschen Geschichte. Eine Epoche, in der die Zivilbevölkerung schier endloses Leid zu erdulden hatte, von marodierenden Söldnern ebenso bedrängt, geschändet und hingemetzelt wie von Krankheiten dahingerafft wurde. Manche Landstriche Deutschlands wurden quasi entvölkert.

Vom Papier, das nicht in die Grube will

Und durch die Hölle dieser Zeit schickt Grimmelshausen seinen ebenso naiven wie lebensfrohen Helden Simplicius Simplicissimus, dem viele Abenteuer begegnen, aus denen er zumeist unbeschadet hervorgeht. Eines erlebt er zudem mit einem sogenannten Schermesser, einem Stück Papier, das zugeschnitten und griffbereit liegend scheinbar darauf wartet, jene Aufgabe zu übernehmen, die heute der Klopapierrolle zukommt. Jedoch, der scheinbar wertlose Fetzen Papier beginnt zu sprechen. Er begehrt gegen sein Schicksal auf, nun seinen letzten Gang in die Sickergrube anzutreten: „Ach warum hat mich nit gleich in meiner Jugend ein Funk oder Goll (gemeint sind Fink und Dompfaff oder Gimpel) aufgefressen, und alsobald Dreck aus mir gemacht, so hätte ich doch meiner Mutter der Erden, gleich wiederum dienen, …, können, ehe daß ich einem solchen Landfahrer den Hindern hätt wischen, und meinen endlichen Undergang im Scheißhaus nehmen müssen ...“

Die Urangst des Menschen vor dem Nichts

Die folgende Szene ist einzigartig in der Literatur. Das Stückchen Papier versucht, in einer Art Verteidigungsrede zu verhindern, dass es genau dazu gebraucht wird, wozu Klopapier gemeinhin nun mal gebraucht wird (wenn es nicht Tempo-Taschentücher oder eine Küchenrolle ersetzen muss). Es erzählt dem immer noch in sitzender Stellung verharrenden Simplicissimus, das es einst als Korn einer Hanfpflanze das Licht der Welt erblickte, danach, immer um materiellen Gewinn für die Menschen abzuwerfen, unzählige Qualen und Verwandlungen über sich ergehen lassen musste, um zunächst zu Stoff, dann zum Kleid einer Magd, zu Lumpen, zu Papier, zur Seite eines gelehrten Buches wurde, ehe sein endgültiger Abstieg begann und es genau dort landete, wo Simplicissimus gerade sitzt.

Der lässt sich jedoch nicht weiter beirren und zeigt sich unbeeindruckt und ohne Mitleid. Er benutzt das Schermesser, also das Klopapier der Barockzeit. Gnadenlos und irgendwie auch zutiefst erleichtert. Schließlich gehört die Angst, auf der Toilette zu sitzen und zu spät zu realisieren, dass da kein Papier ist, zu den menschlichen Urängsten. Vergleichbar mit der vor Spinnen. Und sicherlich auch der Grund für die Hamsterkäufe in diesen Tagen.

Und dann sieht es so aus.
Und dann sieht es so aus.
Glücklich, die noch eine Packung erwischt haben.
Glücklich, die noch eine Packung erwischt haben.
Zu jedem Schnitzel eine Rolle gratis.
Zu jedem Schnitzel eine Rolle gratis.
Und dann fängt das Papier mit einem Mal an, mit seinem Nutzer zu sprechen.
Und dann fängt das Papier mit einem Mal an, mit seinem Nutzer zu sprechen.
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