Kultur Das Unterhaltungs-Gesamtkunstwerk

Ein Mann mit Stil: Roland Kaiser, mittlerweile 66.
Ein Mann mit Stil: Roland Kaiser, mittlerweile 66.

Dieses Konzert hätte mehr Besucher verdient gehabt: Nur 4100 Fans kamen am Donnerstagabend zum Konzert von Roland Kaiser in die Mannheimer SAP-Arena. Wer zu Hause geblieben ist, hat etwas verpasst: fast drei Stunden Partystimmung, eine Setlist, die satte 30 Songs umfasste, einen Roland Kaiser, der nach leichten anfänglichen Wacklern in der Stimme sein Publikum auch dank der Unterstützung durch eine richtig gute Band begeisterte.

Diese Sehnsucht kennt offensichtlich kein Alter. Alternativlos für gleich drei Generationen. Mindestens, wenn man sich so in der leider nicht sonderlich gut besuchten Mannheimer SAP-Arena umschaut. Glückliche Gesichter. Zwei über 70-jährige Schwestern tanzen im Gleichschritt mit jungen Männern, die bestimmt 50 Jahre jünger sind. Mit Adornos Ästhetik selbstredend wird man sich Kaisers Texten ebenso wenig nähern können wie mit Schönbergs Harmonielehre den Schlagermelodien. Diese beiden – und nicht nur die – müssen draußen bleiben, wenn Roland Kaiser mit seinen Fans feiert. Und das ist gut so. Seit 40 Jahren hält sich dieser Mann – 1952 in Berlin geboren – im Geschäft, hat quasi die Schlagerjahrzehnte der 70er, 80er und 90er dominiert. Das war die Zeit, in der die Hits entstanden, die auch heute noch auf keiner Schlager-Party fehlen: Von „Sieben Fässer Wein“ über „Santa Maria“ oder „Dich zu lieben“ bis hin zu „Ich glaub, es geht schon wieder los“. Kein anderer Interpret hatte mehr Auftritte in der ZDF-Hitparade – ganze 67 Mal war er beim im August dieses Jahres verstorbenen Dieter-Thomas Heck zu Gast. Über 90 Millionen Alben hat Roland Kaiser verkauft, und seit seiner schweren Erkrankung – er musste sich 2010 einer Lungentransplantation unterziehen – ist er der Grandseigneur des deutschen Schlagers, welcher der vor allem weiblichen Konkurrenz von Andrea Berg bis Helene Fischer lässig-elegant den Erfolg gönnt und sich selbst auf seine Fans verlassen kann, die aus ihrer Verehrung fast schon eine Religion machen. „Kaisermania“ heißen denn auch folgerichtig seit 15 Jahren seine Open-Air-Auftritte in Dresden. Es ist, natürlich, eine heile Welt. Eine Schlagerwelt eben, die er besingt. Es geht um die Liebe. Meist um die glückliche, erfüllte, leidenschaftliche. Manchmal auch um die schmerzhafte, leidvolle. Wie in „Ich weiß alles“ (das er in Mannheim nicht singt), wozu Till Lindemann, der Frontmann der Blut- und Feuer-Band Rammstein, den Text geschrieben hat. Was für eine Symbiose von „Bück dich“ und „Joana“! Aber die beiden so unterschiedlichen Typen verbindet tatsächlich so etwas wie eine nicht nur künstlerische Freundschaft, angeblich wurde Lindemann, der ja auch Gedichte schreibt, auch schon in Roland-Kaiser-Konzerten gesichtet. Das Sympathische an dem in einfachen Verhältnissen bei Pflegeeltern aufgewachsenen Roland Kaiser – der bürgerlich Ronald Keiler heißt – ist, dass er nie mehr sein wollte, als er vorgibt zu sein. Ein großartiger Schlagersänger, ein sehr guter Musiker, toller Live-Performer, kurz: ein Unterhaltungs-Gesamtkunstwerk. Er öffnet in seinen Konzerten für seine glühenden Anhänger die Tür zu einer anderen Welt, die man gar nicht als heil schmähen muss. Sie ist eben weniger trist, weniger grau, leuchtet heller, im Herzen, in den Augen. Doch Kaiser weiß sehr wohl, wie es draußen, jenseits des Schlagerhorizonts, aussieht. Und er bezieht Stellung, sagt seine Meinung, und der von der „Süddeutschen Zeitung“ auch schon mal als „Mutbürger“ bezeichnete Sänger hat irgendwie auch dafür gesorgt, dass Dresden seine von Pegida so sehr beschmutzte Ehre zurückerhalten hat. In einer öffentlichen Rede in Dresden hat er gesagt: „Setzen wir der Angst vor dem Unbekannten die Neugier entgegen, und lassen wir uns auf Menschen ein.“ Das muss man sich erst einmal trauen in einem Geschäft, wo die Liebe zum Schlager durchaus auch einmal in stramme Heimattümelei verrutschen kann. Kaiser zeigt Haltung, klare Kante. Aber nicht in einem Konzert, da führt er stilvoll und mit größtem Respekt für seine Fans, aber eben auch für all die Menschen, die es neben dem Sänger und der Band für eine solche Show braucht, durch den Abend. Roland Kaiser ist ein höflicher Mensch, bedankt sich auch bei dem Bühnenarbeiter, der den Hocker wieder wegräumt. Seine Bühnenpräsenz ist von einer vornehmen Zurückhaltung, er braucht die effektheischende Show nicht. Ein paar eher angedeutete coole Tanzschritte, vier, vielleicht fünf Gesten, die den Text untermalen, ein paar Fingerzeige in Richtung der großartigen Band. Das war’s. Der Rest besteht aus seiner Stimme, seinen Songs aus über 40 Jahren. Die klingen selbstredend nicht mehr so, wie sie in den 1970er oder 80er Jahren geklungen haben. Sie haben eine musikalische Frischzellenkur hinter sich, werden dank konsequent eingesetzter Beats zu Tanznummern auf der Höhe unserer Zeit. Das beginnt schon mit dem ersten Song, „Ich glaub’ es geht schon wieder los“ und setzt sich fort über sein „Lebenslied“, wie er „Santa Maria“ bezeichnet, und gipfelt dann in „Dich zu lieben“, das mit dem Original eigentlich kaum mehr etwas zu tun hat und gerade deshalb die Menschen von ihren Stühlen reißt. Die strenge Sitzordnung ist da längst aufgehoben, die Fans drängeln sich vor der Bühne, machen Party – auch wenn Kaiser „Mit 66 Jahren“ von Udo Jürgens oder „Rockin’ all over the world“ von Status Quo anstimmt, wobei die Jürgens-Nummer dem Original auf fast schon unheimliche Weise ähnlich ist. In seinen Moderationen erzählt Kaiser Anekdoten aus seinem Leben, nicht selten abgestimmt auf den nächsten Song. Für Politik bleibt da an diesem Abend kein Platz. Aber die Leute haben sichtlich Spaß, Freude. Das ist die Botschaft.

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