Kultur Dada und Okkultismus

Hugo Ball
Hugo Ball

Für den Pirmasenser Dada-Helden Hugo Ball waren Künstler keine kühl kalkulierenden Sprachkomponisten, sondern von höheren Eingebungen gelenkte Schamanen, die in Tanz und Ekstase aus sich heraustreten. Der neue „Hugo-Ball-Almanach“, wieder unter Federführung von Eckhard Faul von der Stadt Pirmasens herausgegeben, fragt völlig zu Recht nach den Hintergründen dieses Künstlerbildes.

„Wer ist der Künstler? Wie kommt das Kunstwerk zustande? Geben dem Dichter die Götter ein oder die Dämonen?“ Diese drei Elementarfragen, die der größte Dichter der Pfalz, der Pirmasenser Dadaist, Mystiker und „Buchstabenkönig“ Hugo Ball in seinem 1926 publizierten Aufsatz „Der Künstler und die Zeitkrankheit“ stellte, halten die moderne Literatur bis heute in Atem. Hugo Ball selbst hat sich in seinen Antworten auf diese Fragen stets auf die Seite derjenigen geschlagen, die im Künstler ein Medium sehen, der seine Leistungen nicht selbst hervorbringt, sondern höheren Mächten gehorcht, okkulten Energien, die sich durch ihn materialisieren. Bereits in der Beschreibung seines berühmten Auftritts im Zürcher „Cabaret Voltaire“ im Juni 1916 stellt sich Ball als mystisch Ergriffenen dar, dessen Stimme, „da kein anderer Weg mehr blieb, die uralte Kadenz der priesterlichen Lamentation annahm“. Jetzt – im Ball-Almanach – porträtiert ihn die Literaturwissenschaftlerin Thekla Dörler als „ästhetischen Okkultisten“, der unter dem Einfluss theosophischer und spiritistischer Strömungen stand und öffentliche Auftritte gern als „Buffonade und Totenmesse“ inszenierte. Beim frühen Ball spielten dabei das Zirzensische, das Gauklertum und die theatralische Inszenierung eine zentrale Rolle, später, nach seiner Rückkehr zur katholischen Kirche, treten die Erschütterung durch Dämonismen und satanische Phänomene in den Vordergrund. In Dörlers Almanach-Beitrag wird dieser Aspekt des Dämonischen beim „ästhetischen Okkultisten“ Ball etwas vernachlässigt. Trotz seiner tiefen Frömmigkeit war Ball nämlich in seinen späten Jahren von schlimmen Ängsten vor dem Teufel geplagt. In einem Brief an Hermann Hesse berichtet er im März 1926 etwa von seiner Gewissheit, dass der Satan in seinem Hause umherwandere, er tappe „in unseren Zimmern und im Gebälk herum“. In einem weiteren Beitrag zum „magischen“ Hugo Ball untersucht Ann-Marie Riesner die Funktionen von Zaubersprüchen in den Texten Balls, der ja in seinen legendären Lautgedichten auf hypnotische Wirkungen zielte. Neben diesen Beiträgen zur okkulten Seite des „magischen Bischofs“ enthält der neue Almanach zwei sehr spannende Porträts von Zeitgenossen des „Buchstabenkönigs“, die einen gänzlich anderen Lebensweg gingen – nicht den in die mystische Einkehr, sondern in die politische Provokation. Hans Dieter Zimmermann vergleicht Balls Biografie mit der des militanten Atheisten Oskar Panizza. Mit seinem 1894 geschriebenen und gleich verbotenen Stück „Das Liebeskonzil“ und seiner Kampfschrift „Der teutsche Michel und der römische Papst“ exponierte sich Panizza als rabiater Kirchen-Kritiker, der wegen „Blasphemie“ ein Jahr ins Zuchthaus gesperrt wurde und zeitlebens ein verfemter Künstler blieb. Als leibhaftiges Gegenmodell zum kontemplativen Anarchisten Hugo Ball wird der sehr wandlungsfähige Kommunist Franz Jung beschrieben. Bernhard Rusch porträtiert ihn als glühenden Aktivisten der anarchosyndikalistischen Bewegung, der noch vor Hitlers Machtergreifung zum Versicherungsmakler für eine Schweizer Privatbank mutierte und den Zweiten Weltkrieg als wohlhabender Mann überlebte. Karl Piberhofer schließlich unternimmt eine Tiefbohrung nach dem historischen Ursprung des Begriffs „Dada“, zu dem zahlreiche Legenden zirkulieren. Piberhofer glaubt an die Urheberschaft Hugo Balls, der als Redakteur der Wochenschrift „Zeit im Bild“ 1914/15 immer wieder auf eine Werbung für Lilienmilchseife stieß, die ihm wie eine tröstende Reminiszenz an die Zeit des Friedens erschienen sein mag. So konnte er in seinem „Dadaistischen Manifest“ von 1916 behaupten: „Dada ist die beste Lilienmilchseife der Welt.“ Lesezeichen „Hugo-Ball-Almanach“, Neue Folge 9 (2018). Hrsg. Stadt Pirmasens und Hugo-Ball-Gesellschaft, redigiert von Eckhard Faul; Edition text + kritik, München; 192 Seiten; 19 Euro.

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