Kultur Back-Omi trifft Baudelaire

Die Buchhandlung als Erlebnisort: Hugendubel-Filiale am Stachus.
Die Buchhandlung als Erlebnisort: Hugendubel-Filiale am Stachus.

Früher kaufte man in Buchhandlungen Bücher, sortiert von A bis Z. Jetzt kann man dort Glühwein trinken und auf eine Selfie-Bühne steigen. Bei Buch Soundso roch es damals leicht muffig. Jetzt weht einen Spritzgebäckduft an. Live in einer Showküche gebacken. Auf den T-Shirts der Buchhändlerinnen steht: „Lesensberaterin“. In München hat vergangene Woche die Buchhandelskette Hugendubel auf 2000 Quadratmetern einen Konzeptladen eröffnet. Sieht so die Zukunft aus?

Der Münchner Karlsplatz ist eine Baustelle. Bei Hugendubel, im Hauptladen des Buchhandelsunternehmens, ist der Umbruch vorläufig fertig. 82 Filialen und 70 Buchabteilungen bei Karstadt betreibt das Familienunternehmen aus der bayerischen Hauptstadt. Nirgends sieht es so aus wie hier. Noch. Wenn das Konzept Erfolg hat aber, wird wohl bald in allen Filialen in der Weihnachtszeit Glühwein ausgeschenkt. Und nebenan mit Kindern unter Anleitung gebastelt. Die Branche ist in Aufruhr. Viele kleine Geschäfte auch in der Pfalz schließen. Auch Hugendubels Wettbewerber Thalia aus Hagen, dem 232 Buchhandlungen in Deutschland gehören, sortiert sich gerade neu und plant in seinen mit futuristischem Holzinterieur licht gestalteten Läden Übernachtungsmöglichkeiten anzubieten. „Content-, Service- und Erlebnislieferant“ möchte Thalia sein, sagte Geschäftsführer Michael Busch vor Kurzem der „Süddeutschen Zeitung“. Vielleicht gibt es deshalb bald Abholstationen, die rund um die Uhr geöffnet sind wie die Online-Konkurrenz, die inzwischen 19 Prozent des Gesamt-Umsatzes im Buchgeschäft erzielt. Das Problem hinter dem Aktivismus, Bücher, die ohnehin weniger gekauft werden, gibt es inzwischen überall und zu jeder Zeit. Sechs Millionen Käufer hat der Buchhandel zwischen 2012 und 2017 verloren. Gründe? Zeitmangel, Netflix, der stete Abfall von der Schriftkultur. Denkbar, dass in diesem schwierigen Klima im sogenannten stationären Handel auch die Sachkenntnis der Verkäufer, Lesungen und Kindernachmittage nicht mehr ausreichen, um Kundschaft anzuziehen. Hugendubel in München jedenfalls gleicht eher einem Erlebnispark als einem Umfeld, in dem Buchhändler im Pullunder Falschbestellungen – Hesses „Unterm Rand“ – mit Augenbrauenkommentaren versehen. Hier bekommt man zum Trost für die Überforderung eine Tasse Kaffee umsonst. Alles folgt dem Willen, einen Ort zu etablieren, an dem auch hingeht, wer mit Literatur wenig bis nichts an der Basecap hat. An der Decke die Haustechnik liegt frei wie im Pariser Centre Pompidou, ein wenig sieht es nach Fabrik aus, Aufbruch, Vorläufigkeit, Energieaufladung. Im Erdgeschoss duzen einen junge Frauen, die aussehen wie geklonte Youtuberinnen. Ob man nicht auf einer kleinen Bühne ein Foto mit seinem Lieblingsbuch machen wolle. Für Instagram, wo man vermummte Jungs als Hugendubel-Boys posieren sieht, die Finger zum Victory-Zeichen gespreizt, als seien sie aus einem Hip-Hop-Video herauskopiert. Gott bewahre! Mittels Rolltreppe begibt man sich auf die Flucht und blickt in Ladenschluchten. Auf Zwischenebenen stehen dunkelrote Sofas mit sinnlos hoch angebrachten Kopfstützen im Halbrund. An deren Ecken sind Tablets angeleint. Co-Workingsspaces nennt man diese Lesecken. Wer will, kann, vom Hugendubel-Wlan umfangen, hier seine Hausaufgaben machen, jedes bei Hugendubel verfügbare Buch lesen, sogar auf dem eigenen Smartphone, tagelang. Im hauseigenen Café mit Blick auf den Stachus. Alles steht online. Derweil entstehen in der Showküche nebenan die Plätzchen noch analog. Gebacken von – so steht es auf einer Tafel – „Backomis“. Sie tragen Schürzen. Ihr Backwerk wird noch warm auf dem Silbertablett angeboten wie – symbolisch betrachtet – die Bücher, die thematisch verinselt in sogenannten Bücherwelten ausliegen, statt alphabetisch ins Regal eingeräumt zu sein. Viele Werke stehen aufrecht, damit das Cover zu sehen ist. Kann sein, dass die Platz fressende Präsentationsform dazu führt, dass von Verlagsseite der Buchgestaltung wieder oder noch stärkere Beachtung geschenkt wird. Bei Hugendubel jedenfalls werden auch deshalb statt bisher 50.000 Artikel „nur“ noch 35.000 ausgestellt. Die Auswahl der Bücher folgt anscheinend einem assoziativen Algorithmus, der auch den Online-Angeboten unterliegt. Im Sinn von: wer das gelesen hat, den könnte auch das interessieren. Dabei werden alle Schwellen eingeebnet. „Aberglauben“, „Leben, wohnen und genießen“, „Lerne spielen und machen“, „Fenster der Welt“, „Horizonte“ heißen einige der Kategorien der Bücherinseln. Yoga-Bücher stehen neben Duftkerzen und Kling-Klang-Sachen, auf der Bühne ist bisweilen eine Yoga-Lehrerin praktisch tätig. In das schaufensterhaft aufgetürmte Konglomerat mit einem Buch zu Japans „Abstieg mit Würde“ und „Literatur“ vom Schlag Thilo Sarrazin und entsprechenden Gegenpositionen ist auch das Kolumnenbuch des Deidesheimer Turmschreibers Andreas Maier geraten. Vielleicht wegen des Titels „Was wir waren“. So gerät die Retrospektive in Verdacht des Reaktionären. Auf einer anderen Insel steht Charles Baudelaires dichterisches Hauptwerk „Die Blumen des Bösen“. Daneben Dorothy Parkers „Denn mein Herz ist frisch gebrochen“, Werke der Poetry-Slammerin Julia Engelmann wie „Jetzt Baby“, Max Oswalds Vermessung der „Quarterlife Crisis“, die so um die 25 einsetzt. Und „Die Flamme“, das Vermächtnis aus Songtexten, Gedichten, Notizbucheinträgen und Illustrationen des vor zwei Jahren mit 82 Jahren verstorbenen Sängers Leonard Cohen. Fehlt nur noch, dass anbei Filzhüte verkauft werden. Fast schon selbstverständlich, dass einige Areale bei Hugendubel eher nicht von Büchern dominiert sind, sondern von Schreibwaren und Krimskrams, Spielen, Bastelutensilien, Non-Books, wie es im Jargon heißt. Dafür gibt es im allgemeinen Warengelärm auch einen Teil, der trotz Luxusstandort leersteht. Der Raum der Stille hat einen Eingang mit Säule. „Pssst“ steht an der Tür. Drinnen sitzt ein aus dem Konsumzusammenhang gerissener Mann und liest. Man hört kaum was. Das tut gut. Wer besser gelaunt wieder rauskommt, findet rechter Hand ein vom Suhrkamp Verlag neu aufgelegtes Werk, das den Ludwigshafener Philosophen Ernst Bloch berühmt gemacht hat. Es ist überraschend prominent platziert. Titel: „Geist der Utopie“.

Andreas Maier neben Sarrazin: Bücherinsel.
Andreas Maier neben Sarrazin: Bücherinsel.
Ein Aufruf.
Ein Aufruf.
Ladenflucht mit Lesenden.
Ladenflucht mit Lesenden.
Endlich Ruhe: Raum der Stille.
Endlich Ruhe: Raum der Stille.
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