Kultur Aida in Salzburg: Netrebko auf dem Zenit

Statuarisch geht es zu in der Regie von Shirin Neshat. Anna Netrebko überzeugt als Aida mit reicher Stimme.
Statuarisch geht es zu in der Regie von Shirin Neshat. Anna Netrebko überzeugt als Aida mit reicher Stimme.

Salzburger Festspiele: Geglücktes „Aida“-Debüt von Anna Netrebko – Inszenierung der Iranerin Shirin Neshat enttäuscht

Anna Netrebko in der Titelpartie von Giuseppe Verdis „Aida“: Die Ticketcomputer der Salzburger Festspiele waren vor diesem Debüt von Abstürzen bedroht, in der Hofstallgasse ballte sich nun zur Premiere eine kritische Promi-Masse. Und die russische Sopranistin hielt dem Erwartungsdruck stand. Ihre Aida ist ein Ereignis an Kontrolle und Disposition. Wahrscheinlich müsste man ihre Entwicklung ganz anders sehen. Nicht als Vorantreiben der Stimme, beginnend vom Salzburger Donna-Anna-Girlie anno 2002 über die Wahnsinnsfrauen des Belcanto bis zu den dramatischen Heldinnen jetzt. Sondern als Überschreiten einer Ziellinie, als Zu-sich-Finden, nachdem das Zwitscherfach nun hinter ihr liegt. So gesehen ist Anna Netrebko gerade auf dem Zenit ihrer Karriere, weil die Vokalkleider endlich passen. Weil es keine Verzierungsstrecken mehr braucht, sondern weil die Assoluta unserer Zeit sich freier, ungezwungener bewegen kann, technisch und emotional. Anna Netrebko ist daheim. Vollkommen logisch, dass sie also bei „Aida“ gelandet ist. Der Druck auf die Diva lässt sich nur erahnen, und vielleicht auch deshalb tastete sich Netrebko erst in die Partie hinein. Wobei: Selbstvergessenes, ungebremster Aplomb ist mit dieser Sopranistin nicht zu haben. Sehr genau hat sich Netrebko alles zurechtgelegt, nie bricht ein Ton aus. Die Stimme ist reicher, substanzvoller, das zeichnet sich seit Längerem ab. In unteren Aida-Regionen werden offene, druckvolle Töne riskiert. Doch noch immer achtet die Netrebko auf ihre lyrische Erziehung, hält in oberen Lagen alles schmal und flexibel. Piano-Passagen klingen auch in Extremlagen unverspannt bis zu den hohen Cs der Nil-Arie, bei denen – obwohl etwas ins Flirren geratend – sogar noch Luft nach oben bleibt. Typisch Salzburg, dass bei all dem Anna-Irrsinn dem zweiten Debütanten im Applaussturm nur Rang zwei bleibt. Doch mit Francesco Meli gibt es endlich wieder einen echten Radames. Auch er ist lyrisch sozialisiert, auch er kann gut disponieren. Doch Meli geht direkter, unverschleierter ans Werk, wagt mehr Farben und dynamische Stufungen, das hohe Mezzavoce-B am Ende der Arie ist bei ihm Selbstverständlichkeit. In der Attacke sind Grenzen zu hören, doch das macht nichts: Lebendiger noch im Vergleich zur Kollegin glückt dieses Vokalporträt. Wem folglich die Krone des Abends gebührt? Schwere Entscheidung. Viel kann und darf also nach dieser Premiere im Großen Festspielhaus über Stimmen diskutiert werden – gerade weil die Inszenierung selbst nur Schulterzucken provoziert. Als ob ein Naturgesetz diese Stadt und ihre Festspiele umklammert: Riccardo Muti und satisfaktionsfähige Regie – das schließt sich weiter aus. Angeblich hat es im Vorfeld dieser Premiere sogar gekracht bis zur Abreisedrohung. Dabei hatte sich das Markus Hinterhäuser als neuer Intendant so spitzfindig gedacht. Die Iranerin Shirin Neshat, wohnhaft in den USA, eine Wandlerin zwischen Welten und Kulturen, dazu eine Größe in Foto-, Video- und Filmkunst, und dazu Verdis Tragödie, in der Ägypten gezeigt, aber immer auch die westliche Zivilisation gemeint ist: Die Papierform sagt „ja“ zu dieser Wahl, die Realität allerdings das Gegenteil. Herausgekommen ist die kostenträchtigste Arbeitsverweigerung der jüngeren Festspielgeschichte. Ein Salzsäulen-Arrangement, das sich allenfalls zur Oberammergau-Parodie ausbauen ließe. Keiner, der während der Probenphase das Unheil stoppte, keiner, der einer Regisseurin, die mit ihrer Unbelecktheit im Programmheft kokettiert, Inhalt nachreichte, auch dafür muss sich Hinterhäuser verantworten. Während sich also monumentale Ytong-Elemente aus dem Baumarkt für Giganten drehen (Bühne: Christian Schmidt), bleibt jeder sich selbst überlassen – Hauptsache, der Blick zum Dirigenten ist garantiert. Riccardo Muti, dessen „Aida“-Einspielung mit Montserrat Caballé und Plácido Domingo noch immer Referenzstatus hat, spielt anfangs zu lässig seine Kompetenz aus. Statt zu interpretieren, wird abgerufen. Und wenn ihm eine Eingebung kommt, haben die Wiener Philharmoniker ihre liebe Not. Vieles klappert, Tutti-Szenen rasten nicht sofort ein. Erst nach der ersten (überflüssigen) Pause wird die Aufführung konziser, gewinnt an Gewicht und Intensität auch im Leisen: Ein Star ist erwacht. Neben Netrebko und Meli hat es der Rest schwer. Einzig Luca Salsi tritt als Amonasro die Flucht nach vorn an und führt seinen Prachtbariton mit flächendeckender Beschallung vor. Ekaterina Semenchuk (Amneris) ist keine Mezzo-Domina, singt ungewohnt lyrisch und oft wie weggeblendet. Roberto Tagliavini (König) und Dmitry Belosselskiy (Ramfis) tragen schwer an ihren Kostümen und gewinnen kaum Profil, was bei Letzterem besonders schade ist. Im kommenden Jahr, die Salzburger Bilanzen brauchen’s wohl, soll diese „Aida“ wieder aufgenommen werden. Ohne Netrebko, mit Muti. Das nennt man wohl Altlast. Termine Alle Vorstellungen ausverkauft, Aufzeichnung zu sehen am 12. August, 20.15 Uhr, auf Arte und am 25. August, 23 Uhr, im ZDF.

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