Sport Kunstrasenplätzen in Rheinland-Pfalz geht es an den Kragen

Die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) hat im März einen Beschränkungsvorschlag veröffentlicht, mit dem gezielt hergestelltes
Die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) hat im März einen Beschränkungsvorschlag veröffentlicht, mit dem gezielt hergestelltes Mikroplastik 2021, also auch Kunststoffgranulat, verboten werden soll. Für die Vereine hieße das, dass sie ab 2022 kein Granulat mehr nachkaufen könnten.

Eine neue EU-Verordnung will Kunststoffgranulat verbieten. Das heißt: Kunstrasenplätze müssen für viel Geld umgerüstet werden. Wie sollen vor allem kleine Vereine das stemmen? Wie viel Zeit bleibt noch? Gibt es überhaupt Alternativen? Eine Bestandsaufnahme.

Eigentlich sieht der Kunstrasenplatz auf dem Schillerhain in Kirchheimbolanden wie jeder andere aus – aber nur auf den ersten Blick. Wer genauer hinschaut, der sieht, dass zwischen den Fasern keine Kunststoffkügelchen mehr liegen, sondern kleine Korkstückchen. In Kibo sind die Verantwortlichen der Stadt und des SV Kirchheimbolanden schon jetzt einen Schritt gegangen, der bald für jeden Verein verpflichtend sein könnte: auf Kunststoffgranulat zu verzichten. Dieses soll nämlich ein wichtiger Faktor der Mikroplastikverschmutzung sein. Durch Spiele und Training, aber auch durch Wind und Regen, werden die Körnchen in die Umwelt getragen und können über Umwege auch in unsere Nahrung gelangen. Herangezogen wird für die Entscheidung gegen Kunststoffgranulat eine Studie des Fraunhofer-Instituts Umsicht von 2018, in der „Verwehungen Sport und Spielplätze“ auf Rang fünf gelistet wird. Diese Studie steht jedoch in der Kritik, da nur mit Schätzwerten gearbeitet wurde.

Ab 2022 kein Granulat mehr nachzukaufen

Harald Petry vom Landessportbund Pfalz räumt zunächst einmal mit einem Vorurteil auf, das schnell die Runde gemacht und für Verwirrung gesorgt hatte: „Es heißt ja nicht, dass gleich verboten wird, auf den Plätzen zu spielen. Wenn noch Granulat gelagert ist, kann das ganz normal benutzt werden.“ Nur nachkaufen könnten die Vereine ab 2022 nichts mehr. Das heißt: Früher oder später müssen die Vereine umdenken. Dazu drängt auch das für Sport zuständige Innenministerium in Rheinland-Pfalz, das ab sofort Kunstrasenplätze mit Kunststoffgranulat als Einfüllstreu nicht mehr bewilligt. In Frankfurt hat die Fraktion Die Linke genau solch einen Beschluss beantragt. Weiter ist der Stadtstaat Hamburg: „Schon seit 2010/11 wird bei uns kein Mikroplastik mehr eingesetzt“, erklärte Sportstaatsrat Christoph Holstein der „Welt“. Nur bei alten Plätzen bestehe das Granulat noch aus Kunststoff.

Der Südwestdeutsche Fußballverband ist gewarnt

Obwohl es in Restdeutschland einen großen Aufschrei in Folge der Ankündigung gab, sehen zum Beispiel die Verantwortlichen in Alsenz der Sache gelassen entgegen. „Wenn das Verbot kommt, dann suchen wir uns eine Alternative“, sagt Mario Heller, Vorstand Sport bei der TuS Alsenz. Er weiß, dass man keine Widerspruchsmöglichkeiten hat: „Wir als Sportverein können uns nicht gegen das Verbot stellen, müssen das halt bis dahin geregelt haben.“ Er hofft jedoch, dass die Kosten nicht horrend hoch sind. Der Südwestdeutsche Fußballverband (SWFV) ist auf jeden Fall gewarnt. „Selbstverständlich sorgt eine solche Initiative bei den Vereinen für Verunsicherung“, sagt Geschäftsführer Michael Monath. Die Vereine hätten sich beim Bau an bestehende Vorschriften gehalten und würden nun damit konfrontiert, dass sie Plätze gegebenenfalls nicht mehr nutzen könnten oder mit finanziellem Aufwand neu anpassen müssten. „Je nach Zeitpunkt des Baus wird es Kunstrasenplätze geben, die noch länger genutzt werden können als durch die derzeit angedachten sechs Jahre Bestandsschutz. Deshalb fordern wir eine mögliche Nutzung während der geplanten und üblichen Betriebsdauer“, sagt Monath. Dafür sprach sich zum Beispiel auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) aus.

Kunstrasen beim Ludwigshafener SC erst im März verlegt

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) forderte diese Woche jedoch genau das Gegenteil. „Mikroplastik im Kunstrasen ist schon jetzt eine Gefahr für unsere Umwelt und muss ebenso wie Mikroplastik in Kosmetik- und Reinigungsartikeln schnell verboten werden“, sagt Nadja Ziebarth, BUND-Expertin für Mikroplastik. Sie wünscht sich schnelle Alternativen sowie finanzielle Hilfe für kleinere Vereine. Die könnte der Ludwigshafener SC gut gebrauchen, denn dort wurde der Platz im März gerade erst erneuert. „Wir haben die Entwicklungen zur Kenntnis genommen, machen uns aber erst einmal noch nicht so viele Gedanken“, sagt der LSC-Vorsitzende Toni Poyatos. Trotzdem ärgert er sich, dass „irgendwelche Schlaumeier in Brüssel“ etwas entscheiden wollten, ohne über Konsequenzen nachzudenken. Auch vor großen Klubs macht das Verbot nicht halt, und so muss der 1. FC Kaiserslautern bei seinen Kunstrasenplätzen im Trainingszentrum am Frönerhof umdenken. Der Sportdirektor für den Lizenzbereich, Boris Notzon, weiß eh um die Nachteile des Kunststoffgranulats: „Das wird immer abgetragen und muss nachgefüllt werden.“ Vor zwei bis drei Jahren hätten sie eine Tonne nachfüllen müssen – „und eigentlich hätten wir noch mehr gebraucht.“ Auch werde das Granulat bei großer Hitze schnell weich und verklebe. Da auf dem Trainingsgelände sowieso bald ein neuer Kunstrasen angelegt werden muss – der alte ist ziemlich abgespielt –, trifft es den FCK nicht ganz so hart, wenn es eventuell bald kein Kunststoffgranulat mehr zu kaufen gibt. Fraglich ist, welche Alternative bleibt.

Korkgranulat könnte eine ökologische Alternative sein

Korkgranulat – wie in Kirchheimbolanden – würde sich anbieten. Auslöser für diese Entscheidung war dort der Vorsitzende Hans Schmitt, der Erfahrungen durch seine Arbeit bei der BASF einbringen konnte. „Mit dem Kork haben wir jetzt ein Naturprodukt, das keine Hitze abgibt. Es ist zeitgemäß und ökologisch.“ Nach anfänglicher Skepsis sind nun auch die Spieler komplett von dem neuen Belag begeistert, erzählt Gerhard Schmidt, sportlicher Leiter des SV Kirchheimbolanden. „Heute sehen wir ja, dass wir den richtigen Weg eingeschlagen haben, um die ökologische Nachhaltigkeit unter Beweis zu stellen“, sagt er. Und wie sieht es mit den Kosten im Gegensatz zum Kunststoffgranulat aus? „Es ist nicht wesentlich teurer, weil man bedenken muss, dass die Entsorgung von Kunststoff Geld und Arbeit kostet. Über die Jahre kommt da schon was zusammen“, erklärt Hans Schmitt. In der Anschaffung sei so ein Platz zwar etwas teurer und auch Kork muss ausgewechselt werden, aber Entsorgungskosten fallen weg.

Ersetzen des Materials liegt im sechsstelligen Eurobereich

Im Moment kostet der Bau eines neuen Kunstrasenplatzes mit den Spielfeldmaßen 90 mal 60 Meter laut „Sportstättenrechner“ zwischen 420.000 und 550.000 Euro. Wie teuer es wäre, das Kunststoffgranulat abzusaugen und durch eine Alternative zu ersetzen, wird von Vereinen unterschiedlich angegeben, von 180.000 bis zu 500.000 Euro ist die Rede. Morton Extrusionstechnik GmbH im hessischen Abtsteinach – nach eigenen Angaben der weltweit größte Hersteller von Fasern für Kunstrasenflächen – hat schon seit einiger Zeit eine technische Lösung gefunden: ein System, das ohne elastisches Einfüllgranulat auskommt. „Wir verbauen nicht nur eine Faser, sondern zwei verschiedene. Die zweite wirkt wie eine Feder, eine Spirale, und stützt somit die erste“, erklärt Geschäftsinhaber Jürgen Morton-Finger. Mehr als 100 Plätze wurden von der Firma Morton bereits so gebaut, zuletzt zum Beispiel beim SV Obersülzen. Das Feedback von Spielern und Vereinen sei durchweg positiv, erzählt Morton-Finger. Auch wenn dieses System in der Anschaffung fünf Euro teurer pro Quadratmeter ist – auf die Distanz gesehen sei es billiger und nachhaltiger. Die ersten Alternativen bewähren sich also.

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