Wissen Einfach ehrlich sein

Verliert jemand einen Menschen, weiß oft keiner, wie man sich verhalten soll. Auf die Trauernden zugehen, sagt eine Expertin.

Wenn Freunde, Verwandte, Bekannte einen Menschen verlieren, ist die Unsicherheit oft groß: Wie soll man jemandem begegnen, der gerade eine Zeit tiefer Trauer durchlebt? Für die Würzburger Psychotherapeutin und Autorin Daniela Tausch kann die Begleitung eines Trauernden große Chancen für einen selbst bergen. Frau Tausch, warum weiß man oft nicht, wie man mit trauernden Menschen umgehen soll? Die Trauer des anderen berührt uns, weil wir uns unserer eigenen Sterblichkeit bewusst werden. Das macht uns Angst. Gleichzeitig denken wir, wie schlimm das wäre, selbst einen derartigen Verlust zu erfahren, etwa dass der Mann oder das Kind stirbt. Das lähmt uns. Gerade die erste Begegnung mit einem trauernden Menschen ist nicht einfach. Wie soll man sich da verhalten? Auf den anderen zuzugehen ist das Wichtigste. Häufig erleben Trauernde, dass Menschen die Straßenseite wechseln und ausweichen. Das macht deren Einsamkeit und Trauer noch größer. Es ist gut, ehrlich zu sein und auch die eigene Hilflosigkeit anzusprechen. Das ist besser, als kluge Sätze daherzusagen. Wie wünscht man Beileid? Das hängt natürlich immer davon ab, wie gut man jemanden kennt. Wenn jemand plötzlich verstorben ist, könnte das sein: „Ich habe die Nachricht gehört. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, ich bin sprachlos. Ich möchte mein Mitempfinden ausdrücken. Wenn ich irgendwas für dich tun kann, freue ich mich, wenn du dich meldest und ich dich unterstützen kann.“ Es ist gut, immer wieder den Trauernden anzurufen oder ab und zu eine Karte zu schreiben. Vielleicht nimmt der Trauernde das zunächst nicht an. Ich habe selbst sehr früh und sehr plötzlich meinen Mann verloren. Viele Hilfsangebote habe ich nicht angenommen oder kurzfristig wieder abgesagt. Dennoch waren die Anrufe und Karten ganz wichtige Lebenszeichen für mich. Was können falsche, verletzende Beileidsworte sein? Etwa „Die Zeit heilt alle Wunden“ oder „Du musst nicht traurig sein, ihr hattet doch viel Zeit miteinander“. Oder nach einer langen Krankheit: „Sie hat es jetzt besser.“ Diese Worte wollen den Schmerz kleinreden. Dabei ist es doch wichtig, den Schmerz anzuerkennen, ihn gemeinsam auszuhalten. Braucht es überhaupt Worte? Nicht unbedingt. Jedenfalls nicht viele. Manchmal sind der Augenkontakt, die Hand auf dem Arm, eine Umarmung mehr als Worte. Wie steht es mit Trauerkarten? Solche Kondolenzschreiben tun einem Trauernden meistens gut. Dass man von dem Verlust erfahren hat, dass man in Gedanken bei den Angehörigen ist, einige Worte darüber, wie Sie den Verstorbenen oder das Ehepaar gemeinsam in Erinnerung haben. Oder versuchen zu formulieren, wie es wohl dem Angehörigen nun ergehen mag. Diese Post holen Trauernde immer wieder hervor. Das sind manchmal Schätze, durch die sie sich dem Verstorbenen nahe fühlen können. Und sich nicht so allein fühlen. Angehörige haben im Trauerfall viele Ämtergänge zu erledigen. Dabei erleben sie oft, dass die Angestellten nicht Beileid wünschen. Wird das verlernt? Ich fürchte, ja. Angestellte von Banken, Krankenkassen oder Ämtern sehen leider oft nur den bürokratischen Akt und nicht mehr, dass hinter diesem Vorgang ein Mensch steht. Das tut Trauernden oft sehr weh. Ich finde, das sollte Thema in der Ausbildung, in der Schule, im Kindergarten sein. Viele Kinder schon ab drei Jahren fragen nach dem Tod. Wenn wir ihnen ihre Unbefangenheit lassen und auf ihre Fragen eingehen, können sie später auch besser mit solchen Situationen umgehen. Wenn ich im Büro von jemand anderem von dem Trauerfall eines Kollegen mitbekomme – soll ich ihn ansprechen? Ich würde auf jeden Fall auf ihn zugehen und sagen, dass ich es erfahren habe und dass es mir sehr leid tut. Was, wenn jemand ein Kind verliert? Auch hier geht es darum, diese furchtbare Tatsache auszuhalten – und keinesfalls Sätze zu sagen wie „Ihr könnt ja wieder ein neues bekommen“ oder „Jetzt hat sie es besser“. Wir stehen ohnmächtig vor so einem Verlust. Ich begleite gerade zwei Mütter in dieser Trauer, die Jahre oder Jahrzehnte andauern kann. Die eine sagte mir: „Das ist wie lebenslänglich gefangen sein, weil ich so eine Sehnsucht nach meiner Tochter habe.“ Und wenn ein Mitschüler seinen Vater verliert? Der Lehrer sollte den Jungen vor dem Unterricht fragen, ob er in der Klasse davon erzählen will. Wenn der Schüler einige Zeit fehlt, sollte der Lehrer auch die Klasse informieren und fragen, wie es den Schülern mit der Nachricht geht, sie ermutigen, über eigene Verluste und ihre Gedanken über Sterben und Tod zu sprechen. Die Klasse könnte gemeinsam überlegen, was man dem Schüler Gutes tun könnte – eine Karte schreiben, ein Bild malen. Das Thema Tod sollte Thema sein dürfen. Letztlich geht es immer um unsere Absicht dahinter: Wenn der Junge spürt, dass seine Klasse teilnimmt an der traurigen Nachricht, dann sind die Worte gar nicht so entscheidend. Manchmal haben Trauernde nicht die Kraft, Kontakt aufzunehmen. Wie hartnäckig soll man sein mit den Hilfsangeboten? Ich würde immer wieder versuchen, ein Zeichen zu geben, Angebote zu machen. Aber man muss sensibel sein. Denn manchmal will der Trauernde ja gerade nicht diese Person um sich haben. Das kann kränkend sein. Ja, es fällt schwer, das zu akzeptieren. Vielleicht hat der andere, bevorzugte Begleiter ja eine ähnliche Erfahrung gemacht wie der Trauernde. Es ist natürlich schmerzlich, zu merken, dass man dem anderen vielleicht nicht so nahe ist wie man ursprünglich dachte. Der Tod eines Menschen führt oft dazu, dass sich deutlich zeigt, wie tief Freundschaften wirklich sind. Denn Trauernde spüren in dieser existenziellen Phase genau, was ihnen guttut. Sie ziehen Grenzen und merken gut, welche Menschen sie in dieser schweren Zeit ertragen und welche nicht. Meistens die, die den Trauernden einfach in seiner Verzweiflung annehmen. Haben Sie also viel Geduld und verzichten Sie auf Ratschläge. Welche Ratschläge meinen Sie? Kaum jemand bekommt so viele Ratschläge wie Trauernde, etwa: Du müsstest jetzt mal den Kleiderschrank von deinem Mann ausräumen. Du müsstest mal wieder zu einer Feier gehen. Und so weiter. Nur weil wir es nicht ertragen, dass der andere trauert, wie es ihm entspricht. Oder dass es eben so lange dauert. Unsere Gesellschaft hat kein Verständnis mehr für die mögliche Dauer von Trauer – das kann Jahre oder Jahrzehnte andauern. Manche sprechen von Trauerphasen, die man durchläuft. Ich denke eher, Trauer ist ein völliges Durcheinander der Gefühle. Es gibt Momente, da denkt man: Es geht besser. Dann kann eine Stunde später ein Foto genügen, dass man völlig verzweifelt. Natürlich durchleben wir Gefühle wie Wut, dass der andere gegangen ist, Verzweiflung, Lebensmüdigkeit, Nähe zum Verstorbenen. Es ist eine Achterbahn der Gefühle, aber mit der Zeit wird die Bahn flacher. Wenn die Trauer sehr lange dauert und man merkt als Begleiter, dass die eigenen Kräfte und Geduld schwinden. Soll man das zugeben? Ja, denn der andere spürt das ja auch, dass man an seine Grenzen stößt. Wenn der Freund wirklich auf lange Zeit keinen Ausweg aus seiner Trauer findet, kann man auch fragen, ob er vielleicht therapeutische Hilfe aufsuchen will. Auch Trauergruppen, also Selbsthilfegruppen sind oft hilfreich. Denn als Trauernder fällt man ja aus seinem normalen Leben heraus – und dort treffen sich viele, denen es ähnlich geht. Wenn man einen Trauernden begleitet, welche Chancen bietet einem das für einen selbst? Wir werden dadurch mit uns selbst konfrontiert. Durch die Konfrontation mit dem Tod erkennt man, wie kostbar das Leben ist. In der Selbstverständlichkeit, die wir für das Leben brauchen, verlieren wir ein bisschen den Blick für die Kostbarkeit. Es ist eben nicht selbstverständlich, jeden Morgen aufzustehen, keine Beschwerden zu haben, oder dass der Partner neben mir liegt, dass die Kinder am Frühstückstisch sitzen. Außerdem kann so eine Begleitung eines Trauernden die Freundschaft vertiefen. Nicht zuletzt erfahren wir durch die Begleitung eines Trauernden viel über das Sterben. Im besten Fall nimmt uns das etwas Angst vor dem Tod und dem Leben.

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