Kaiserslautern Alles inklusive

Es hängt zwar kein Schild aus. Aber an die Tür von Zimmer 215 im Hotel Atlantic in Baden-Baden sollte man klopfen. Dann tritt ein Mann heraus, im Bademantel, barfuß, im Zahnputzglas einen Drink, und erklärt etwas manieriert: Er sei Schauspieler. Extra engagiert. „Nicht schwer“, sagt er. Bevor er aber erklären kann, „was hier wirklich vor sich geht“, klingelt sein Zimmertelefon. Er ab. Das war Kunst. Die Baden-Badener Ausstellung „Room Service“ hat das Thema Hotels und spielt dort auch teilweise. Sehr schöne Schau.

Verloren sitzt ein Mann auf dem Bett, schaut vor sich hin. Korrekt gestutztes Resthaar. Glattrasiert ist er, hat einen Hundeblick. In den Händen, leicht gekippt, hält er ein fast leeres Glas Whisky. Grünlich-gelb sind die Wände, der Teppich ist braun. An der Decke weiße Platten. Wächsern glänzt die Tagesdecke. Der geknickte Handelsvertreter kauert darauf wie auf einem Leichentuch, unter dem seine Lebenspläne begraben liegen: William Egglestons Innenansicht eines Hotelzimmers in Huntsville Alabama, Ende der 1960er aufgenommen, ist ein leise verzweifeltes Tristesse-Stillleben. Ein perfektes Sinnbild für Adornos philosophische Sicht auf den modernen Nomaden, der im Hotel auf sich selbst zurückgeworfen wird. Wer es ansieht, kann auch Volker Albus glauben, der für sich eine Phänomenologie der Dienstreisen erstellt hat. „Keine Empfehlung aus der Chefetage dürfte eine solche Tiefenwirkung auf das Gemüt des abhängig Beschäftigten entfalten wie die Einweisung in ein Drei- oder Zweisterne-Hotel“, schreibt der Designprofessor in einem Beitrag über Mobbing auf höchstem Niveau. Der Text steht im Katalog eines flirrenden Ausstellungsprojekts, das ganz leicht Biennale-Stimmung aufkommen lässt. Es geht um Kunst über Hotels und Künstler in Hotels, William Turners Mitte des 19. Jahrhunderts aquarellierte Ausblicke aus venezianischen Hotelzimmern, von der Sonne geflutet. Und Aktionen wie das kurzfristig eröffnete Hotel von Byung Chul Kim, der für eine Übernachtung Bargeld oder eine Performance akzeptiert, irgendetwas mit Singen, Tanzen oder, was sonst so noch als Kunst durchgeht. „Room Service“ heißt die Schau in der Kunsthalle in Baden-Baden. Der Ort fällt einem nicht gerade ein, wenn man an eingeschweißte Frühstücksmarmelade und fleckige Tagesdecken denkt. In Baden-Badener Hotels logierte schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Geld- und sonstige Adel. Angenehm liegt der Kurort an der Oos, in Tallage, von Wald umgeben. Er war einmal die Sommerhauptstadt und repräsentierte vornehm das Lebensgefühl der besseren Kreise. Heute ist man hier im Zweifelsfall russisch, reich und zeigt es. Mehr Luxushotels und Bling Bling gibt es – relativ zur Größe – in keiner anderen Stadt in Deutschland. Das Refugium der Reichen ist die hervorragende Bühne für einen aufgehenden Stern am Kunsthallen-Direktoren-Himmel. Johann Holten hat die Kunst-Tourismus-Schau inszeniert, die in die Stadt ufert und in einige der ersten Häuser am Platz eingecheckt hat. Und wer zum Beispiel Christian Jankowski erlebt, wie er lässig, offenes weißes Hemd über der Anzugshose, Glas in der Hand, als „artist in residence“ durch die Flure der Fünfsterne-Herberge Brenners Park-Hotel schlendert, hat schnell den Eindruck, dass die Künstler sich hier auch ganz wohlfühlen. Sowieso notorisch ist das besondere Verhältnis der Kunstschaffenden zur Hotellerie und zum Reisen und deshalb auch kunsthistorisch verbürgt. Immer schon dockten sie gerne an große Hotels an und wurden Teil der auf Zeit versammelten Mikrogesellschaften. Als Schauplatz, Thema, von der jeweiligen Gegenwart geprägte, sehr spezielle Erlebnis-Orte, sind Hotels ideal. Nicht selten zeigt sich in der Kunst, die dort spielt – wie die Literatur von Proust oder Thomas Mann – früher als anderswo, eine andere Art zu denken. Außerdem sind die Maler und Fotografen immer gerne unterwegs gewesen, wie die Ausstellung in der Kunsthalle beispielhaft dokumentiert. Und irgendwo unterkommen müssen sie ja auch. Die Schau zeigt Gemälde, die in Skagen entstanden sind, einem Fischerdorf in Dänemark, in dem eine Künstlerkolonie siedelte, deren Mittelpunkt das dortige Brondums Hotel war. In Volendam in Niederlanden wurden ganz gezielt Leute wie Paul Signac angeworben, Vertreter des Pointillismus, einer Kunstrichtung, die ganz auf das Zusammenspiel von Pünktchen setzt. Auf Reisen – nach Rom, Paris, Venedig, Kairo – gerieten die Unterkünfte den Künstlern dabei nicht immer so zentral in den Blick wie bei der wahrscheinlich ersten Aufnahme eines Hotels überhaupt. Der Foto-Pionier William Henri Talbot hat das Canterbury in der Rue de la Paix in Paris 1843 fotografiert. Auf John Constables Zeichnung des Strands von Brighton samt lustwandelnder Gesellschaft, zirka 1824 entstanden, stehen die Grandhotels zum Beispiel doch eher am linken oberen Bildrand. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts ist plötzlich das Personal der Mittelpunkt der Szene. Die Kunst drängt es zu der Zeit schon stärker in den Alltag. Irgendwann, eine alte Avantgarde-Idee, will sie von diesem ununterscheidbar sein. August Sander porträtiert eine Putzfrau mit verhärteten Gesichtszügen, die den Schrubber in der Hand hält, als wollte sie einen Acker umpflügen. Und das Zimmermädchen auf Chaim Soutines Gemälde schaut in ihrer Kittelschürze, dass es einen barmt. Wenn Sophie Calle ein paar Jahrzehnte später die Betten lüftet, ist das dann schon ein Kunstprojekt. Calle durchwühlt, sicher für alle Hotelgäste ein Albtraum, das Gepäck, schaut in die Schränke und auf Schamhaare, die sich in der Wanne kräuseln. Zu den dabei entstandenen Dokumentationen erzählt sie Geschichten über Leute, die sie höchstens in der Lobby beim Vorbeigehen trifft. Künstler steigen eben nicht wie andere einfach irgendwo ab. Martin Kippenberger zeichnete zeitlebens gerne auf das Briefpapier von Hotels, auch von solchen, in denen er gar nicht war. On Kawara verschickte, bevor er mit Gemälden berühmt wurde, auf denen nichts als ein Datum steht, Tausende Postkarten von überall her – mit aufgestempelter Aufstehzeit: „I Got Up At 10.09 A.M.“ Und den Durchbruch für den Kurator Hans Ulrich Obrist bedeutete eine Ausstellung im Pariser Hotel Carlton Palace, die geheim blieb, bis „Le Monde“ berichtete. Obrist hatte 70 Künstler, viele Berühmtheiten wie Gerhard Richter darunter, gebeten, in einem Zwölf-Quadratmeter-Zimmer künstlerisch zu intervenieren. Zum Schluss war bis zum dekorierten Abfluss in der Duschkabine alles in Chambre 763 Kunst. Für die Baden-Badener Schau ist die Aktion aus dem Jahr 1993 so etwas wie eine Blaupause. Nicht nur, dass sie in der Museumsschau dokumentiert wird. Im Europäischen Hof hat Obrist eine allerdings vergleichsweise läppische Neuauflage gestartet. Auf dem Bett liegt ein Riesen-Leckerli-Objekt von Reiner Ruthenbeck. Die Anziehsachen im Schrank, von Sarah Lucas zum Beispiel ein Hut mit Bommel-Männchen, darf man sogar anprobieren. So angefixt, begibt man sich weiter auf dem durch sechs Hotels entlang der Oos angelegten „Kunstparcours“. Bald schon kommen die Zweifel. Ist da Kunst drin? Oder hat der Künstler Lee Kitt im „Rathausglöckel“ das Duschzeug doch nicht ausgetauscht? Im üppigen „Belle Epoque“ lümmelt man auf dem Fünfsterne-Bett und schaut einen Film von Warhol. Zwischen den Porsches im Parkhaus von Brenners Park-Hotel läuft ein Video, auf dem Hotelgäste in prothesenartigen Kleidern obskur durch Flure schleichen. Überhaupt wagt das Hotel, in dem mit Vorliebe Promis und sehr Reiche aufschlagen, was. Nicht nur, weil es zwei Fotos von Cindy Sherman in die Lobby hat hängen lassen, auf denen sie als kaputtgebotoxte Society-Lady posiert und damit einen Teil der Brenners-Kundschaft spiegelt. Naneci Yurdagül offeriert ein Zimmer der Nobelherberge zum Stundentarif, für 23,50 Euro, einem Vierundzwanzigstel des tatsächlichen Preises. Und Christian Jankowski durfte sogar den Boden rausreißen. Wie im Museum sieht das von ihm als Entscheidungsraum inszenierte Einzelzimmer jetzt aus. Alles leer und weiß. Wer sich hier zum Grundpreis von 100 Euro für eine Nacht einmietet, darf sich die Einrichtung des Zimmers aus dem Hotelfundus selbst aussuchen. Als Gegenleistung wird erwartet, dass die Gäste für sich eine Lebensentscheidung treffen und am nächsten Tag taxieren, wie viel sie ihnen wert war. Wie die Kunst, glaubt Jankowski, verändert ein Hotel, wenn es gut ist, den Menschen über den Tag hinaus. Auch das soll einem klar werden. Museumsdirektor Johann Holten, Jankowskis erster Gast, hat sich jedenfalls zwischen Echtholzgarderobe und weiß bezogenem Bett dafür entschieden, ab jetzt alle drei Monate in Klausur zu gehen. 350 Euro hat er für den Entschluss bezahlt.

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