Kultur Wenn der Funke überspringt

Steht weiter auf der Bühne und spielt „Samba Pa Ti“: Carlos Santana.
Steht weiter auf der Bühne und spielt »Samba Pa Ti«: Carlos Santana.

Für die Jugend der 1970er Jahre spielte er die Partymusik schlechthin. Zumindest aus Sicht der Jungs, die sich zu Songs wie „Samba Pa Ti“ oder „Black Magic Woman“ weniger aufs Tanzen als auf die Nähe ihrer Partnerin konzentrierten. Heute wird der Gitarrist Carlos Santana, der diese Musik zwar nicht alle geschrieben, aber doch durch sein einzigartiges Spiel berühmt gemacht hat, 70 Jahre alt.

Carlos Santana verkaufte mehr als hundert Millionen Tonträger, spielte weltweit vor mehr als hundert Millionen Fans und wurde in die „Rock and Roll Hall of Fame“ aufgenommen. Er wurde mit zehn Grammys ausgezeichnet und stellte 1999 mit neun Preisen für das Album „Supernatural“ (darunter „Album des Jahres“) eine Grammy-Rekordmarke auf. Mit dem 2010er-Album „Guitar Heaven“ zog er mit den Rolling Stones gleich und platzierte im sechsten Jahrzehnt hintereinander ein Album in den Top-Ten der US Billboard Charts. Als Carlos Santana mit seiner Band 1970 sein zweites Album „Abraxas“ auf den Markt bringt, ist schnell klar, dass hier ein neues Kapitel der Rockmusik aufgeschlagen wird. Angekündigt hatte sich dies bereits ein Jahr zuvor beim Woodstock-Festival, als Santana sein vielbejubeltes Debüt gibt. Als Unbekannter angetreten, entfacht er mit seiner Band binnen weniger Minuten eine Party unter den 400.000 Zuhörern. Auch die Musikindustrie ist euphorisiert: Unmittelbar nach dem Konzert unterschreibt Santana einen gut dotierten Plattenvertrag. Das erste Album verkauft sich hervorragend, wird aber hinsichtlich der Absatzzahlen von „Abraxas“, von dem 3,5 Millionen Exemplare über die Ladentheke gehen, und von „Santana III“ noch übertroffen. Die Wurzeln dieses Erfolges setzt sein Vater in Carlos’ mexikanischen Geburtsstadt Autlan de Navarro. José Santana, ein Violinist in einer Mariachi-Kapelle, erkennt früh das musikalische Talent seines Sohnes und bringt ihm das Spiel auf der Geige bei. Mit ihr verdient sich Carlos schon als Zehnjähriger sein Taschengeld als Straßenmusiker. Später spielt er in Bars für US-amerikanische Touristen. Doch die Geige sagt ihm immer weniger zu: „Ich hasste ihren Klang und ihren Geruch. Ich fand einfach keinen Zugang“, erinnert er sich später. Und er beobachtet, dass die Wirkung der Musik mehr vom Auftreten des Künstlers als vom Instrument abhängt. Sein Vater macht nie große Worte, sondern bezieht sein Publikum in die Musik ein, sucht den Blickkontakt. Sobald der zustande kommt und der Funke überspringt, hat er gewonnen, und die Leute vergessen bei der Musik ihre Alltagsprobleme. Dies ist das Höchste, was ein Musiker erreichen kann, und dieses Gefühl nimmt Carlos Santana mit auf seinen Weg. Als Elfjähriger entdeckt er die elektrische Gitarre für sich. „Ihr Klang greift deine Sinne an. Die Gitarre war wie der erste Zungenkuss. Sie ist ein sehr mächtiges Werkzeug, um Menschen aufzuwecken“, sagt Santana. Auf der Straße und im Radio begeistert ihn die Bluesmusik, mit der er sich intensiv auseinandersetzt und mit der er schon als Zwölfjähriger regelmäßig in einem Striplokal auftritt. Als es die Santanas 1961 nach San Francisco verschlägt, saugt der junge Carlos den Geist der Hippies in sich auf und gründet 1966 seine erste eigene Band, mit der er schnell hoch gehandelt wird. Santanas Markenzeichen sind seine klaren, durchdringenden Soli, die vom Timing her oft kurz vor oder hinter dem Beat liegen, was ihnen eine beseelte Leichtigkeit verleiht. Sie reißen die eigentliche Lead-Melodie oft nur an, um sie dann geschickt zu „umschmeicheln wie eine begehrenswerte Frau“, so Santanas Beschreibung seiner Musik. Sein Gitarrenton ist cremig und warm, kann sich in aggressiveren Soli-Spots aber auch schon mal in ein bissiges Monster verwandeln. In bislang nie da gewesener Konsequenz verbindet Santana Latin-Feeling sowie Jazz- und Fusion-Elemente mit bluesgetränktem Hardrock zu einer einzigartigen Mischung. Mehr und mehr legt der Gitarrist dafür seine Hendrix- und Clapton-Fixierung ab. Kein Song zeigt Santanas melodiösen Stil deutlicher als „Samba Pa Ti“, ein eher ruhiges Instrumentalstück vom Album „Abraxas“, das zu einer weltweiten Liebeshymne wurde. Doch es war kein romantischer Anlass, der ihn zu dem Lied inspirierte. „Ich war in meinem Zimmer und sah aus dem Fenster, weil ich einen seltsamen Klang hörte“, erinnert sich der Gitarrist. „Irgendein Typ blies ein paar Töne auf einem Saxofon. Plötzlich kam in mir ein Bild auf, dass der Mann sich in einem Konflikt befindet – er weiß nicht, was er als Nächstes an seine Lippen setzen soll: ein Saxofon oder eine Flasche Schnaps. Ich dachte, er ist ein Gefangener seines Konflikts, und das machte mich traurig. Und dann hatte ich die Melodie im Kopf. ,Samba Pa Ti’ ist eines der ersten Lieder, wo ich mich richtig frei gefühlt habe – so frei, dass ich alles andere vergessen konnte und mich einfach nur treiben ließ. Und obwohl das Stück sehr einfach ist, steckt sehr viel Gefühl darin.“ Tatsächlich: „Samba Pa Ti“ ist ein Stück, das intellektuell nicht erfassbar ist. Man muss es emotional aufnehmen – mit dem Herzen oder der Seele oder wie immer man eine solche intuitive Erfahrung beschreiben mag. Das Lied ist durch und durch spirituell ausgerichtet und steht damit in der Tradition eines Miles Davis oder John Coltrane. Auch nimmt es spätere Experimente Santanas mit John McLaughlin vorweg. Und Carlos Santana sagt: „Ich spiele diese Nummer noch mit der gleichen Begeisterung, mit der ich sie vor über 40 Jahren gespielt habe.“

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