Kaiserslautern Seelentrost im Dauer-Wipp-Modus

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Man will’s nicht kompliziert. Man will nur weg. Von alledem, was man nicht mehr will. Zum Alltags-Vergessens-Trip geht’s in die SAP Arena, wo Andrea Berg drei Stunden lang vom Belogen- und Verlassenwerden und Trotzdem-Weitermachen singt. Dazu gibt’s Drachen und Feuer.

„Montag ist noch so lange hin!“ Soweit die Theorie von Andrea Berg, hineingerufen in die Arena. Ungefähr 28 Stunden vor Wochenbeginn drückt sie den Stop-Knopf. Werktags-Grübeln wird durch Märchentraum ersetzt und öder Alltagsschritt durch Diskofox. Macht irgendeiner dieser 10.000 Menschen hier tatsächlich „eine neue, verrückte Reise ins Wunderland“, „zu den Glücksdrachen und Feuervögeln“, wie es Berg zu Beginn der Show vorschlägt? Egal. Die Sekretärin muss heute nicht ihrem anstrengenden Chef die Kaffeetasse reichen, die Mutter nicht zwischen schreiendem Kind und Spülmaschine pendeln und der Manager ist weit weg von Meetings und Mitarbeitergesprächen – räumlich und, viel wichtiger, gedanklich. Das Verdienst des Schlagers ist es, den Alltag samt Problemen in die Ferne zu schieben. Berg hat das perfektioniert. Ihr Album „Seelenbeben“ war das zweiterfolgreichste des Jahres 2016 – hinter Udo Lindenberg. „All das vergessen, was uns Kummer und Sorgen macht“, erklärt die Rothaarige zum Credo. Neidlos muss man anerkennen: Es funktioniert. Auf der Bühne steht an diesem Samstagabend Andrea Ferber, verheiratet, gelernte Krankenschwester, 50 Jahre alt. Seit etwa 24 Jahren ist sie für Millionen CD-Käufer und Konzertgänger vor allem Andrea Berg, Seelentrösterin, Stimmungsmacherin, gute Freundin im Geiste und Powerfrau. Musikalisch betrachtet sind ihre meisten Songs harmlose Eins-zwei-drei-vier-Beat-Disko-Synthie-Pop-Mischungen. Der arglos Zuschauende erwischt seinen linken Zeh im Dauer-Wipp-Modus auf 120 Schlägen pro Minute. Doch es geht um etwas anderes. Dort steht eine, die sagt, was zu denken der Alltag verbietet: Alles kann irgendwie gut werden, wenn man nur will. „Drachenreiter“, ihr erster Song. Andrea Berg steht auf dem Kopf des riesigen Fantasietiers. Feuer speien kann das 19 Meter lange Deko-Wesen. Virtuelle Flügel hat es auf der Leinwand noch dazu. Andrea Berg hat auch Flügel, feuerrote. „Furchtlos und frei, mit brennenden Flügeln bis zur Sonne hinauf, keine Macht hält uns je auf“, singt sie. Kinderträume, Drachenmärchen, unendliche Kraft. Der Drachenschwanz, ein Laufsteg. Um Feuer, Flammen, Fliegen soll es die nächsten drei Stunden immer wieder gehen. Der Kampf mit den Flammen ist der Kampf mit den Schwierigkeiten im Leben – im Schlager endet er immer erfolgreich. Andrea Berg ist auch Showmacherin. Eine Lieblingsgeste: den Arm mit Schwung in die Höhe schnellen. Siegerpose. Selbstbewusst. Nicht unterkriegen lassen. Das kann man alles irgendwie albern und oberflächlich finden. Kann man aber auch bewundern. Denn es hilft Menschen, zu verdrängen und zu feiern, drei Stunden lang verdammt glücklich zu sein. „Mannheim! Flipp jetzt aus!“, ruft Berg. Auch der Mond steht plötzlich auf der Leinwand bereit, um jemanden hinaufzuschießen, bevorzugt den enttäuschenden Ex-Mann. „Ich werde lächeln, wenn du gehst, wenn du dann vor den Scherben stehst.“ Hüft- und Beinaktion auf der Bühne Andrea-seits, professionelle Tänzer dazu. Und die Background-Sängerinnen so: Schritt rechts, Schritt links, schnipp, schnipp. „Ist auch mein Herz noch schwer verletzt, ich werde tanzen bis zuletzt.“ Zwischendurch kiekst sie ein „Kuckuck“ in den Raum. Sie sucht den Kontakt mit dem Publikum, wagt gegen Ende den fußläufigen Weg durch die Menge. „Wie geht es dir?“ „Wie heißt du?“ Wenn sie singt, ist Bergs Stimme das, was eine gute Schlagerstimme sein muss: eine Mischung aus mädchenhaft-naiv, verführerisch („Wenn du mich willst, dann küss` mich doch.“) und resolut („Ich liebe das Leben“). An zwei Stellen wird’s ruhig, melancholisch, anrührend. Auf ihrem aktuellen Album „Seelenbeben“ hat auch die Endlichkeit ihren Platz gefunden. Vom Tod singt sie. So nennt sie ihn natürlich nicht. Es ist stattdessen die Aussicht, „Sternenträumer“ zu werden. „Nein für mich bist Du lebendig, wo auch immer du jetzt bist.“ Nur sie, Klavier, leichte Elektronik und eine Diskokugel. Genauso, wenn sie ein altes Volkslied singt: „Weißt du, wie viel Sternlein stehen?“ Das ist schön, anders, ein Innehalten im Dauer-Alles-wird-gut. Aber egal für welche Stimmung sie sich entscheidet – die Berg beherrscht ihre Show. Sie weiß, dass die Party ganz ans Ende gehört, wenn sie Nena, Udo Jürgens und Opus covert. Pärchen schunkeln, Männer tanzen (was sie sonst sichtlich nicht tun würden), Zuschauer lächeln verklärt. Noch einmal schnellt Bergs Hand gen Himmel. Die Show ist vorbei. 10.000 Menschen schwelgen im Gedränge des Nachhausegehens noch ein bisschen. Leider die Erkenntnis: Heute ist wieder Montag. Ganz bestimmt.

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