Kaiserslautern „Ich bin gerne Eisläuferin“

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Glück gehabt: Wer deutscher Staatsbürger ist, hat einen der besten Pässe der Welt und genießt große Freiheit beim Reisen. Wie erniedrigend Grenzkontrollen aber für Bürger mit vermeintlich schlechten Pässen sein können, hat die Berliner Tanzregisseurin Helena Waldmann mit ihren interkulturellen Teams oft erlebt. In ihrem Stück „Gute Pässe, schlechte Pässe“, das am 4. März im Ludwigshafener Pfalzbau uraufgeführt wird, hinterfragt sie, warum Menschen Mauern brauchen.

Frau Waldmann, Sie sind als Weltreisende in Sachen Tanz viel unterwegs: Hatten Sie schon Probleme bei der Passkontrolle?

Nein, man nimmt meinen Pass, schlägt ihn kurz auf und gibt ihn mir zurück. Meine Mitarbeiter, die Musiker und Tänzer, die aus Iran, Afghanistan, Palästina oder Bangladesch kommen, erleben oft Erniedrigendes oder kommen wie ein iranischer Musiker an der Grenze zu Indien gar nicht durch. Das sind schmerzhafte Erfahrungen. Dabei sagt der Pass selbst kaum etwas über einen aus: wie groß ich bin, was ich für eine Augenfarbe habe, wann ich geboren bin. Und er zeigt mein Bild, das meistens veraltet aussieht. Mehr sagt dieses verdammte Heftchen nicht. Trotzdem sortiert es Menschen. Ist eins Ihrer interkulturellen Projekte schon an der Grenzpolitik gescheitert? Ich hatte viel Glück, weil ich bei diesen Projekten meistens in der Obhut des Goethe-Instituts bin. Das ist ein Türöffner. Aber selbst mit institutioneller Unterstützung ist es für Künstler mit einem „schlechten Pass“ oft eine Tortur, ein Visum zu bekommen. Eine iranische Künstlerin hat auf meinen Proben zu „Gute Pässe, schlechte Pässe“ erzählt, welche Erfahrungen sie in der deutschen Botschaft in Teheran gemacht hat. Sie ziehen einen im so genannten „Interview“ buchstäblich aus - bis auf die Haut. Du musst alles offenlegen und beweisen. Wenn du keine gefüllte Kreditkarte hast, glaubt man dir nicht. Kredit kommt von Credo. Und noch etwas: Die Iranerin sagte, es ist nicht so, dass wir Iraner alle unser Land verlassen wollen. Wir haben uns mit den Umständen arrangiert. Wenn wir leichter die Chance bekommen würden, die Grenze zu übertreten, wäre die Gefahr wegzubleiben, gering. So aber haben wir Angst, beim nächsten Mal kein Visum mehr zu erhalten und im Land gefangen zu sein. Die Mauer in Ihrem Stück wird aus Menschenkörpern gebaut, von 20 Statisten. Warum? An den Grenzen stehen zwar Stein und Stacheldraht, aber eigentlich sind es wir Menschen, die diese Mauern scheinbar brauchen. Wer wählt denn Trump? Wer wählt Orban? Dafür zu plädieren, dass Grenzen eingerissen werden, wäre jedoch etwas simpel. Das wäre naiv, in der Tat. Im Laufe der Jahrhunderte sind immer wieder Grenzen verschwunden und woanders aufgetaucht. Das ist ein unglaubliches Spiel, fast wie eine Choreografie. Nein, ich werfe lieber Zweifel an der Politik auf: warum Sicherheit vor Freiheit geht. Warum Menschen dazu neigen, Mauern zu bauen. Warum Menschen nach Kategorien sortiert werden. In einer Szene steht der Körper eines Akrobaten am Mast wie eine Fahne im Wind. Mit dieser menschlichen Fahne ist das Thema Nationalismus gesetzt. Und dann sortieren wir die Figuren auf der Bühne mit Fragen nach glücklich versus unglücklich, gebildet versus ungebildet, arbeitend versus arbeitslos, also vermeintlich „gut“ versus „schlecht“. Das klingt nach einem Sozialexperiment. Und in Ihrem Stück treffen zwei Gesellschaften in Form von zwei Bewegungssprachen aufeinander. Warum haben Sie zeitgenössische Tänzer und Akrobaten gewählt? Weil mich die Rangordnung interessiert. In der Darstellenden Kunst befindet sich der Zirkus ganz unten, er wird nicht staatlich subventioniert. Dann kommt der Tanz, der immerhin Steuergelder erhält, dann das Schauspiel und ganz oben rangiert die Oper, wo die Macht und das Geld sitzen. Der Dirigent führt die Menschen, die sonst scheinbar aus dem Ruder laufen würden. Mit diesen Theater-Genres spiele ich. Auch in Ihrem aufsehenerregenden Werk „Made in Bangladesh“ haben Sie eine Parallele zwischen ausbeuterischer Textilherstellung und der Theaterproduktion gezogen. Warum halten Sie dem Kulturbetrieb so gerne den Spiegel vor? Der Vergleich wird von Europäern als Provokation empfunden, und ich freue mich, wenn Theater überhaupt noch als Provokation wahrgenommen wird. Ich lege den Finger in die Wunde, weil es im Theater nur noch um Ausnutzung und um Zahlen wie in der Wirtschaft geht. Für die Kunst bedeutet das den Tod. Sie haben Theater studiert, arbeiten aber als Tanzregisseurin. Was schafft der Tanz, was das Theater nicht kann? Es ist furchtbar, was ich jetzt sage, aber ich sage es trotzdem: Als ich Ende der 80er Jahre angefangen habe, mit Schauspielern zu arbeiten, nervte mich schnell ihr ewiges In-Frage-Stellen. Ich muss nicht drei Stunden über etwas diskutieren, wenn ich in fünf Minuten sehen kann, ob etwas auf der Bühne funktioniert oder nicht. Also wollte ich schauen, was Tänzer machen. Sie waren spontaner. Statt permanent „Warum?“ zu fragen, sagten sie bei Aufgaben, die ihnen neu waren: „Warum nicht.“ Seit 1993 arbeite ich mit Tänzern, doch jetzt stelle ich fest: Sie sind wie die Schauspieler geworden. In den letzten zehn Jahren geht es im Tanz zunehmend um Intellektualisierung, und die Tänzer werden zum Selbstzweifel getrieben. Die Akrobaten sind heute so, wie ich damals die Tänzer empfand. Sie sind selbstbewusst, laut und unglaublich lebensbejahend. Sie sind immer auf der Suche nach Neuem, arbeiten mal mit indischem Kathak, mal mit Ballett. Da kennen Sie keine Grenzen? Ich bin gerne Eisläuferin. Ich schlittere und falle gern. Aber ich weiß auch, dass man auf dem Eis großartige Sachen machen kann. Das ist das eine. Andererseits sind die Leute, die ich mir suche, immer auch meine Stifte, mit denen ich das Stück male. Für das Stück über Demenz, über das Vergessen, brauchte ich zum Beispiel unbedingt eine klassische Tänzerin, um mit der höchstmöglichen Fallhöhe spielen zu können – vom klassischen Ballett zur Kreatur. Jedes Stück verlangt andere Genres, andere Tanzsprachen. Und warum begeben Sie sich so oft an heikle Orte wie Kabul? Ich habe mich auch schon gefragt, was mich so anzieht. Dort macht die Not die Menschen auf interessante Weise wendig. In Europa sagt man: „Ich will mich bewegen.“ In Palästina sagt man: „Wenn wir nicht tanzen, werden wir wahnsinnig.“ „Wir riskieren unser Leben dafür“, sagen die Menschen in Afghanistan. In meinem Workshop in Kabul weinte ein Mädchen. Ihre Freundin war von dem Onkel väterlicherseits umgebracht worden, weil sie Theater spielte. Trotzdem poppen überall Mädchen-Theatergruppen aus dem Boden. In Palästina setzten sich die Menschen gegen die Intifada durch, indem sie nachts auf die Straße zu einem Tanz-Workshop gehen. In Iran könnten sie im Knast landen, weil sie versuchen, mit ihrer Kunst Grenzen zu erweitern. Hier wollen die Tänzer oft schön sein, wollen dekorativ tanzen. Und im Foyer dreht sich alles ums Sehen und Gesehen werden. Mein Gott, das langweilt mich zu Tode. In Iran haben Sie selbst versucht, an den Grenzen für Kunstschaffende zu rütteln. In „Letters from Tentland“ tanzen und singen Frauen in Zelten, obwohl sie das eigentlich nicht dürfen. Warum begeben Sie sich so in Gefahr? Die Iranerinnen haben zu mir gesagt: „Mit dir als Europäerin können wir weiter gehen als sonst. Du bist unser Schutzschild und unsere Grenzerweiterin.“ Selbst die Zensoren – das glaubt kein Mensch – haben geholfen, dass dieses Stück herauskommt, indem sie uns vor der Premiere erklärten, was wir machen müssen, damit brisante Szene nicht völlig verboten werden: Zum Beispiel ist Sologesang verboten, aber mehrere Frauen zusammen dürfen singen. Also hat eine Frau nur ganz kurz alleine gesungen, und dann kamen die anderen Stimmen dazu. Wir sind immer wieder an die Grenze gegangen, Zentimeterchen um Zentimeterchen. Erst als alle Vorstellungen geschafft waren und ich im Flugzeug saß, habe ich die Gefahr körperlich gespürt. Wow, du bist wieder rausgekommen, dachte ich. Mein Bruder ist beruflich oft in Iran unterwegs und hat an der Passkontrolle seither ein komisches Gefühl wegen des Namens „Waldmann“. Termine —„Gute Pässe, schlechte Pässe“, Uraufführung Samstag, 4. März, 19.30 Uhr, im Ludwigshafener Theater im Pfalzbau —Karten: Telefon 0621/504-2558 oder E-Mail: pfalzbau.theaterkasse@ludwigshafen.de | Interview: Antje Landmann

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