Kaiserslautern Herr der Welt

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Das Computerspiel Civilization ist 25 Jahre alt. Eine Spurensuche nach dem Erfolgsgeheimnis mit Journalist und Youtuber Daniel Blum.

Ach Schatz, nur noch eine Runde.“ Wer diesen Satz im Zusammenhang mit Civilization ausspricht, der lügt. Meistens zumindest. Denn das Rundenstrategiespiel, das in diesem Jahr 25-jähriges Bestehen feiert, ist ein Zeitfresser besonderer Güte – und hat wohl schon die eine oder andere Ehe gekostet. Aber Entschuldigung: Rom wurde nicht an einem Tag erbaut, ganz zu schweigen von einem noch größeren Weltreich. Genau darum geht es in der beliebten Spieleserie, die 1991 von Sid Meier entwickelt wurde. Bis heute haben sich die Civilization-Spiele – nur die der Hauptserie – weit über 35 Millionen Mal verkauft, und bis heute steht „Sid Meier’s“ vorm Spieletitel. Was macht Civilization zu einer der erfolgreichsten Spielemarken seit 25 Jahren? Der Reiz des Unbekannten dürfte ein wichtiger Punkt sein: Jede Partie spielt sich anders, der Zufallsgenerator spuckt zum Spielstart immer neue Welten aus, die es zu erkunden und zu besiedeln gilt. „Man hat das Gefühl, sich eine Welt anzueignen“, sagt Daniel Blum, „während man anfangs quasi vor dem Nichts steht.“ Der Clou bei Civilization sei, dass man die Geschichte der Menschheit nachspielt, „oder besser noch – eine alternative Geschichte erlebt“. Kein Spieldurchgang gleicht dem anderen. Wer sich wirklich für Geschichte und Hintergründe interessiere, bekomme seit Beginn das eingebaute Lexikon, die Civilopädie, an die Hand, mit viel Wissenswertem rund um Spiel und Historie. „Das ist mustergültig“, lobt Blum, „und lädt zum Stöbern ein.“ In den Civilization-Spielen gibt’s zudem nicht nur alle paar Stunden kleine Erfolgserlebnisse, sondern fast im Minutentakt: Die erste Stadtgründung, der Kundschafter trifft auf ein kleines Indianerdorf, neue, erfolgversprechende Plätze für weitere Siedlungen werden gefunden. „Die vielen ungewissen Situationen haben natürlich ihren eigenen Reiz für die Spieler“, schildert Blum. Alle paar Runden gibt’s darüber hinaus eine neue Technologie, die der kleinen Nation auf ihrem Weg vom Stammesvolk zum Weltreich ein bisschen voran hilft. Während erfahrene Staatenlenker ihre Nation genau planen, wissen, wie und wann sie ein Forschungsprojekt zu ihrem Vorteil abgeschlossen haben müssen, dürfen Anfänger einfach drauflos spielen. Selbst dann warten Erfolgserlebnisse auf sie. Dass sowohl Anfänger wie auch Hardcore-Fans ihren Spaß haben, ist ein weiteres großes Verdienst des Spielkonzepts – nicht zuletzt deswegen gibt’s die verschiedenen Schwierigkeitsgrade von Häuptling (ganz leicht) über König (so mittel) bis hin zu Gottheit (Holla, die Waldfee!). Und ganz egal, welches Level man wählt: Für die einzelnen Entscheidungen hat der Spieler alle Zeit der Welt – vorausgesetzt, er spielt nur gegen computergesteuerte Gegner. In Partien gegen echte Menschen sind die einzelnen Runden oft zeitlich begrenzt. „Die Mehrspieler-Partien sind bei Civilization allerdings eher eine Nische für Hardcore-Spieler“, weiß Blum. Der Großteil der Spieler trete gegen vom Computer gesteuerte Konkurrenten an. „Das ist für die meisten entspannter, da erlebt man seltener eine Pleite.“ Greift ein übermächtiger Gegner das liebevoll erschaffene Land an, kann man einen früheren Spielstand laden und entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen: Stadtmauern bauen, Truppen ausbilden oder Bündnisse schmieden. Während sich die Veteranen tief in Statistiken einlesen und stundenlang ihre Städte optimieren, verlassen sich andere Spieler auf die automatische Zuweisung der Stadtbevölkerung für bestimmte Aufgaben wie Landwirtschaft oder Minenarbeit. An diesem Grundkonzept hat sich im Prinzip seit 25 Jahren nichts geändert, die wesentlichen Designentscheidungen von Sid Meier sind bis heute integraler Bestandteil jedes neuen Civilization-Titels. „Bei Vielspielern verliert das Spiel ein Stück seines Zaubers“, sagt Blum fast ein wenig bedauernd, da stünde häufig das Optimieren des eigenen Reiches im Vordergrund, weniger das Erleben einer eigenen Geschichte, „für die ist es dann immer noch ein komplexes, mathematisches Rätsel, das Spiel zu beherrschen“. In die Civilization-Spiele könne man sich „richtig schön reinbuddeln“. Am wohl deutlichsten – und auf den ersten Blick sichtbar – hat sich seit 1991 die Grafik geändert. Im ersten Serienteil sieht alles noch grobkörnig und zweckmäßig aus, die neueren Spiele bieten dagegen farbenfrohe Karten und liebevolle Animationen. Besonders bunt und sehr comichaft ist der Ende Oktober erschienene sechste Teil der Serie geraten, was auch nicht wenige Civilization-Fans kritisieren. Blum: „Gut die Hälfte der Fangemeinschaft war nach den ersten Bildern zum sechsten Teil der Serie geradezu entsetzt. Sie befürchteten wegen der Comicgrafik, dass das Spiel nicht sehr komplex werden könnte.“ Doch schon vor der Veröffentlichung von Civilization 6 habe sich die Stimmung stark gedreht. Hand aufs Herz: Mit Realismus punktete das Rundenstrategieschwergewicht sowieso noch nie. So sehen Hobbygeneräle und -könige auf den ersten Blick, wo sich Armeen befinden oder wo es besonders fruchtbare oder mineralienreiche Böden gibt. „Die Entwickler wollten, dass die Spielumgebung leichter verständlich und übersichtlicher wird“, so Blum. Aus Spielersicht ist sehr erfreulich, dass Civilization nicht zu jenen erfolgreichen Computerspielreihen gehört, die im Jahresrhythmus eine Neuauflage erfahren – wie beispielsweise Call of Duty oder die FIFA-Sportspiele. Dass zwischen den Civilization-Teilen Jahre liegen, tut dem Spiel gut – so spielt sich jede Neuauflage zwar ähnlich wie ihr Vorgänger, dennoch bleibt genügend Raum für Neuerungen. „Bei den Nachfolgern gilt die Ein-Drittel-Regel“, sagt Blum, „jeder neue Teil der Serie besteht zu einem Drittel aus bekannten Teilen, zu einem weiteren Drittel aus überarbeiteten Spielmechaniken des direkten Vorgängers und zum letzten Drittel aus neuen Ideen.“ Sympathisch und keinesfalls selbstverständlich ist es laut Blum, „dass Sid Meier sich nicht gegen die Weiterentwicklung seines Spiels wehrt. Er findet es okay, wenn andere das Spiel verändern.“ Dass das Spiel auch nach zweieinhalb Jahrzehnten immer wieder mit neuen Ideen aufwartet, hat für Serienschöpfer Meier nicht nur mit den wechselnden Hauptdesignern für die verschiedenen Teile zu tun. Im Februar lobte Meier anlässlich einer Entwicklerkonferenz die Kreativität der Spielerbasis, die die Entwicklung bei Civilization nicht nur mit Spielekäufen finanzierten, sondern auch selbst fleißig neue Inhalte für das Spiel erstellten: „Schon sehr viele ihrer Ideen haben es ins Spiel geschafft.“ Seit Civilization 2 geben die Entwickler den Spielern sogenannte Modding-Werkzeuge an die Hand, mit denen neue Landkarten und Zivilisationen, aber auch neue Spielkonzepte erschaffen werden können. Meier: „Damit hob das Spiel endgültig ab.“ Meier ist seit dem zweiten Serienteil nicht mehr selbst aktiv an der Entwicklung beteiligt, sondern eher ein Berater für die jüngeren Kollegen, die sich um den Fortbestand der Serie kümmern. Blum, der sich schon jahrelang intensiv mit der Spielereihe beschäftigt und immer wieder Kontakt zu den Spieleentwicklern bei Firaxis hat, beschreibt Meiers Rolle im Unternehmen: „Klar, Meier ist noch immer der Boss, hält sich aber im Hintergrund. Eine große Stärke von ihm ist es, punktgenau die Schwächen eines Konzepts oder einer Idee aufzuzeigen.“ Dass der Name noch immer prominent auf den Spieleverpackungen prangt, „habe sich eben so ergeben“, erinnerte sich Meier im Februar; weil die ersten Spiele mit „Sid Meier’s“-Label so erfolgreich waren, behalte man das eben bei. Es sei zwar großartig, den eigenen Namen auf den Spielen zu lesen; das sei aber nie sein Ziel gewesen, beteuerte Meier. 1989, als 35-Jähriger, begann er die Entwicklung von Civilization. Gleich mehrere Dinge kamen damals zusammen, erinnert sich Meier in einem Interview. Bevor er Civilization startete, hatte er mit Railroad Tycoon ein weiteres bekanntes Spiel veröffentlicht – sein erstes Aufbauspiel nach einer Reihe von Militärsimulationen. „Jetzt ging es darum, selbst etwas aufzubauen. Vor einer leeren Karte zu sitzen und selbst etwas zu erschaffen.“ Das gefiel Meier. Nach ungezählten Stunden, die er damit verbachte, das Spiel Sim City zu spielen, spann er seine Idee weiter: „Das war wieder ein hervorragendes Beispiel, wie viel Spaß es macht, etwas aufzubauen.“ Eine weitere wichtige Inspiration sei schließlich das Brettspiel Risiko gewesen. Aus all diesen Quellen suchte sich Meier Elemente zusammen, die er in Civilization umsetzte. Ein weiteres Puzzleteil auf der Suche nach dem Erfolgsgeheimnis: Jeder Spielertypus, ein Mindestinteresse an Rundenstrategiespielen vorausgesetzt, findet etwas zu tun. Friedliche Naturen setzen auf Diplomatie, aggressivere Zeitgenossen bezwingen die Gegner mit purer Gewalt, wieder andere forschen friedlich vor sich hin, um das Spiel als Technologiegroßmacht zu gewinnen. Schuld daran, dass Civilization so viele Menschen Stunde um Stunde an den PC gefesselt und womöglich schon die eine oder andere Ehekrise ausgelöst hat, fühlt Sid Meier sich nicht: „Ich glaube, Spiele zu spielen ist eine ziemlich gute Art, seine Zeit zu verbringen. Sie denken dabei, trainieren Ihren Geist, Sie erforschen unterschiedliche, interessante Welten.“ Im selben „Spiegel“-Interview sagte der Firaxis-Mitgründer: „Unser aller Leben wäre ohne Spiele wesentlich weniger interessant. Spiele machen die Welt zu einem besseren Ort.“ Daniel Blum - der Youtuber Daniel Blum ist Radiojournalist, Youtuber und Blogger. Auf der Internetseite www.writingbull.de widmet er sich vornehmlich Strategiespielen – am liebsten der Rundenstrategie. Blum lebt und arbeitet in Köln.

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