Kaiserslautern Eine stimmliche Urgewalt

Beschwingt im Bernstein-Hit „Westside Story“: Adrienn Cunka, mit ihrer Mentorin Astrid Vosberg.
Beschwingt im Bernstein-Hit »Westside Story«: Adrienn Cunka, mit ihrer Mentorin Astrid Vosberg.

Verabredung in einem Café in der Lauterer Altstadt. Die meisten Gäste sitzen draußen, den RHEINPFALZ-Redakteur schickt die Kellnerin hinein in den nach Röstkaffee duftenden Salon. Suchender Blick, Brille auf, Brille ab. Noch einmal schweift das Auge. Der einzige Gast hier drinnen ist eine Frau mit Glatze. Sitzt da etwa Sinéad O’Connor? Oder die kahle Weltraum-Offizierin Ilia vom „Raumschiff Enterprise“? Die Unbehaarte winkt dem Eintretenden zu, schickt ihm dieses wunderbare Lächeln, das nur eine besitzt. Es ist tatsächlich Adrienn Cunka vom Pfalztheater, haarlos zwar, aber unverkennbar.

„Ich musste im ,Everyman’ unter der Perücke eine Glatze haben“, erklärt sie das ungewohnte Erscheinungsbild. „Der kahle Schädel wurde mir von den Maskenbildnern geklebt. Aber das war in der Sommerhitze einfach mörderisch heiß und sehr schweißtreibend.“ Also verzichtete die Sängerin aufs Latex und setzte stattdessen das Rasiermesser an. „Wächst ja schnell wieder nach“, schiebt sie nach, als müsse sie den Interviewer beruhigen. „Everyman“ ist Hoffmannsthals „Jedermann“ in der Rockmusical-Fassung des Lauterers Andy Kuntz. Schon in der 2015 am Pfalztheater umjubelten Uraufführung, die der damalige Intendant und Kuntz-Förderer Johannes Reitmeier als wuchtig-morbides Bombast-Spektakel inszenierte, war Adrienn Cunka dabei: als Buhlschaft, hier Paramour geheißen, und als Gute Taten des vom Tod bedrängten Edelmanns Randy Diamond. Im vergangenen Frühjahr lockte Reitmeier die Darsteller und Sänger aus der Pfalz an seine neue Wirkungsstätte, um den „Everyman“-Erfolg auf den Brettern des Tiroler Landestheaters Innsbruck zu wiederholen. So wurden Adrienn Cunka und ihre Mentorin, die großartige Astrid Vosberg in der Rolle von Jedermanns Mutter, zu Pendlerinnen auf der 550-Kilometer-Strecke zwischen Innsbruck und Kaiserslautern. Wie Vosberg ist auch Cunka eine gesangliche Urgewalt. Natürlich vermag sie das Stille, Scheue, Bedrängte und Verunsicherte glaubhaft über die Rampe zu bringen, etwa in der Saison 2015/16 als vornehme Hausdame Pearce in Cusch Jungs grandioser Inszenierung von „My fair Lady“ oder kürzlich als eine der Töchter des Milchmanns Tevje in „Anatevka“. Doppelbödige Figuren wie die welke, ihre Verzweiflung hinter dick aufgetragener Schminke verbergende Lebedame Hortense in der Musical-Fassung des „Alexis Sorbas“, die 2012 bei den Burgfestspielen Mayen zu sehen waren, sind bei ihr bestens aufgehoben. Zur höchsten Form läuft Adrienn Cunka auf, wenn sie (über-) schäumen, vibrieren und moussieren kann. Im Vor-Musical-Zeitalter wäre die Soubrette ihr Rollenfach gewesen, allerdings deckt das Attribut „munter“ weder ihre enorm beweglich-plastische Stimme noch ihre schauspielerische Verve angemessen ab. Und während die klassische Operette zwischen der hell strahlenden „deutschen“ Soubrette und ihrer dunkleren, fast in lyrische Alt- und Mittellagen klingenden „französischen“ Schwester unterschied, ist das quellengleich naturhafte Organ der Adrienn Cunka hier wie dort heimisch. Vor 34 Jahren in der Operettenstadt Budapest geboren, kam sie im Kindesalter nach Kaiserslautern. Ihre Mutter Veronika Máré ist langjähriges Mitglied des Pfalztheater-Chors, der 2004 verstorbene Schauspieler Ingulf Michel war ihr Ziehvater. Die Musen beschirmten also schon ihre Wiege, so dass sie sich frühzeitig von Tanz, Gesang und Spiel angezogen fühlte. Nach dem Abitur 2004 am Albert-Schweitzer-Gymnasium wurde sie nahtlos von der Münchner Everding-Akademie angenommen. Sie verkörperte den „Pinocchio“ in Konstantin Weckers gleichnamigem Kindermusical und belegte 2007 in der Musical-Sparte des Bundeswettbewerbs Gesang den dritten Platz. Erste Engagements führten sie an die Freilichtspiele Tecklenburg, das Wiener Raimund-Theater und auf die Mayener Burg, wo ihr vor drei Jahren mit dem Song „Ein Bild von dir“ aus Carsten Brauns „Genoveva“-Musical „eine Sternstunde großer Gefühle“ gelang, wie die „Rhein-Zeitung“ schrieb. Vom Publikum geliebt und der Kritik gefeiert, reihte sie sich 2012 als Geliebte des von Andy Kuntz verkörperten Vampirs in dessen „Chronik der Unsterblichen“ ins Pfalztheater-Ensemble ein. Hier bekam sie von der eigensinnigen Zofe im „Vetter aus Dingsda“ über die Amneris in Elton Johns „Aida“-Musical und das Förstertöchterlein in Tom Waits’ Rock-„Freischütz“ bis zur properen Freundin des jungen Helden im „Kleinen Horrorladen“ reizvolle Aufgaben, die ihrer mitreißenden Mischung aus Kameraderie und Eros, Temperament und Verliebtheit, tänzerischer Anmut und behutsamer Stimmgewalt entgegenkamen. Adrienn Cunka scheint – auch darin dem Vorbild der aufrichtig verehrten „Freundin, Lehrerin und Kritikerin“ Astrid Vosberg folgend – alles zu können, was auf der Bühne „bella figura“ macht. Sie singt, tanzt, spielt auf so natürliche, funkensprühende Weise, dass sie sogar das junge Publikum der Kinderoper „Prinzessin Anna oder: Wie man einen Helden findet“ bezauberte. „Mein Herzblut hängt halt dran“, sagt sie knapp, nippt an ihrer Tasse „Elfendufttee“ und lenkt das Gespräch auf Sohn Liam, der kommende Woche eingeschult wird. Mit ihm zusammen hat sie sich gerade noch einmal die Astrid-Lindgren-Verfilmung „Ronja Räubertochter“ angesehen, die Bühnenfassung hat im November Premiere am Pfalztheater, mit Cunka als eine der Mütter. Im Übrigen kann sie das Lauterer Publikum in der nächsten Saison als Göttin Diana in Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ sowie noch einmal als Zeitel in „Anatevka“ erleben. Auf die Frage nach einer Traumrolle denkt Adrienn Cunka überraschend lange nach. Dann sagt sie: „Ich würde sehr gerne mal ,Mary Poppins’ spielen.“ Bis dahin - und bis das Haar nachgewachsen ist - könnte sie durchaus über „Die kahle Sängerin“ nachdenken. Aber die taucht im gleichnamigen Stück von Eugène Ionesco gar nicht auf – und auf Adrienn Cunka wollen wir ja nun wirklich nicht verzichten! Theaterfest Zum Spielzeitauftakt findet am Samstag, 9. September, ein Theaterfest im und vor dem Pfalztheater statt. Auf dem Programm stehen öffentliche Proben, Lesungen, Musik und Tanz für alle Altersgruppen und am Abend ein Eröffnungskonzert im Großen Haus, bei dem es erste Ausschnitte aus dem neuen Spielplan 2017|2018 zu sehen und zu hören gibt; Infos: www.pfalztheater.de.

Entspannt im Großen Haus: Adrienn Cunka.
Entspannt im Großen Haus: Adrienn Cunka.
Verängstigt im „Kleinen Horrorladen: Adrienn Cunka.
Verängstigt im "Kleinen Horrorladen: Adrienn Cunka.
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