Zweibrücken „Wie ein Fließbandarbeiter“

„Unser Register, das Rechtssicherheit gibt, wird im Ausland beneidet und zu kopieren versucht. Aber wir sind dabei, unser System kaputt zu machen“, warnt Thomas Steinhauer, stellvertretender Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Rechtspfleger und Rechtspfleger beim Amtsgericht Zweibrücken, im Gespräch mit der RHEINPFALZ. Und betont, dass dies kein lokales Problem sei. Der Haushaltsplan 2014 weise für Rheinland-Pfalz 663,5 Planstellen aus, wovon nur 2,4 unbesetzt seien. Aber laut Personalbedarfsberechnung der Landesjustizverwaltung fehlen in der ordentlichen Gerichtsbarkeit und den Staatsanwaltschaften landesweit rund 190 Planstellen für Rechtspfleger, beklagt Steinhauer. Zudem sollen bis 2016 noch 25 Stellen gestrichen werden, wodurch die Personalsituation noch weiter verschlechtert werde. Bereits jetzt werde rechnerisch nur ein Personal-Deckungsgrad von etwa 75 Prozent erreicht. Beim Amtsgericht Zweibrücken liegt dieser Deckungsgrad bei 78 Prozent, teilt Justizamtmann Christian Bold mit. Demnach seien ab Dezember 10,4 Rechtspfleger-Stellen besetzt. Bedarf bestehe jedoch für 13,26. Es fehlten rein rechnerisch somit 2,86 Rechtspfleger im Amtsgericht Zweibrücken. „Das ist ein riesiges Problem. Nicht nur bei uns , sondern im ganzen Land“, sagt Bold. Die Situation werde sich aber in den nächsten Jahren drastisch verschärfen, da bis zum Jahre 2018 das Datenbank-Grundbuch eingeführt werden solle, erklärt Steinhauer. Das bedeute eine weitere Automatisierung der Grundbücher, so dass Berechtigte, auch große Wirtschaftsfirmen, über ein Zugangsportal direkt – ohne Notar und Gericht – das Grundbuch einsehen können; das erfordere ein ganz neues Programm. Um dieses Projekt in einer vernünftigen Zeit durchzuführen, würden nach ersten vorsichtigen Schätzungen weitere 35 bis 40 Rechtspfleger benötigt. Geplant sei derzeit eine Umschreibungsphase von fünf Jahren. Erst nach vollständiger Einführung des neuen Systems könne dieses Vorteile für die Wirtschaft bringen. Bei der Planung müsse berücksichtigt werden, dass die Rechtspflegerausbildung drei Jahre dauert, so dass dem höheren Personalbedarf bereits mit dem Einstellungsjahrgang 2015 Rechnung getragen werden müsse, sagt Steinhauer und warnt vor einem neuen Millionengrab. Bereits derzeit fühlten sich die Rechtspfleger wie Fließbandarbeiter, die nur an der Quantität der erledigten Arbeit gemessen werden, nicht aber an der Qualität. „Dies ist menschenunwürdig und entspricht auch nicht unserem Selbstverständnis in der Auffassung unserer Arbeit. Denn hinter jedem Verfahren stehen Menschen und oftmals auch deren Schicksale.“ „Die Entscheidung muss stimmen“, formuliert Steinhauer den Anspruch der Rechtspfleger an ihr Tun und die Erwartungen der Bürger und der Wirtschaft. Die dauerhafte Überforderung durch zu hohes Arbeitspensum, verbunden mit ständigen Gesetzesänderungen, neuen Aufgaben – etwa durch IT-Projekte – steigende Verfahrenszahlen, anspruchsvollere und kritischere Bürger führe zu höheren Rückständen. Aber auch zu immer mehr Krankheitsausfällen und steigenden Burn-out-Erkrankungen sowie zu Beschwerden und Nachfragen von Rechtsuchenden und damit wieder zu Zusatzarbeit. Häuslebauer und Wirtschaftsunternehmen müssten länger auf die Erledigung – zum Beispiel von Handelsregister- und Grundbucheintragungen – warten, die aber ihrerseits die Voraussetzung etwa zur Auszahlung von Bankkrediten seien. Auch dem Land gingen Gelder verloren, wenn etwa Prozesskostenhilfe-Überprüfungen nicht mehr zeitnah und sorgfältig durchgeführt werden könnten, so Steinhauer. Auf die unhaltbare Personalsituation sei mit Unterstützung der Landgerichts- und Oberlandesgerichtspräsidenten und des Justizministeriums vielfach hingewiesen worden. „Die Politik weiß Bescheid“, sagt Steinhauer. Aber das Finanzministerium verweise auf die Schuldenbremse und verweigere die notwendigen Gelder für Ausbildungs- und Übernahmestellen. „Man verschließt die Augen davor, welch verheerende Auswirkungen eine funktionsunfähige Justiz für die Wirtschaft und Gesellschaft hat“, warnt Steinhauer eindringlich. Er hofft, dass die neue Finanzministerin die Wichtigkeit erkennt und die Ministerpräsidentin die Sache zur Chefsache erklärt. (arck/yah)

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