Zweibrücken Verträumter Robocop, magische Botschafterin

Wenn heute, Dienstag, das Kammgarn International Jazzfestival in seine 20. Runde geht, bedeutet das fürs Publikum an fünf Abenden die Begegnung mit achte Formationen, die alle ihren eigenen Stil pflegen. Zur Einstimmung und Orientierung stellen wir ihre aktuellen CDs vor.

Marcin Wasilewski Trio Heute, Dienstag, 20 Uhr Kammgarn, Cotton Club

„Robocop“ wird Marcin Wasilewski gern genannt. Aufgrund seiner, sagen wir mal, etwas härteren Spielweise, die auch schon mal zu einem doppelten offenen Beinbruch führte. Wer nun stutzt, tut dies zurecht. Denn Marcin Wasilewski, der Fußballer, ist in Ausübung seiner Kunst ein ganz anderes Temperament als Marcin Wasilewski, der Musiker, obwohl beide in der ersten Liga ihres Metiers mitmischen. Beim Wohlklang-Label ECM veröffentlicht der polnische Pianist, der als 15-Jähriger sein erstes Klaviertrio gründete und seitdem einen beachtlichen Werdegang mit seinem Mentor Tomasz Stanko und Größen wie Manu Katché absolvierte. Und ganz anders als sein sportlicher Landsmann, zeichnet sich seine Handschrift durch feines Linienspiel und verträumte Lyrismen aus. Fünf der elf Titel von „Spark of Life“ stammen aus seiner Feder, sind feinsinniger, klassisch geprägter Kammerjazz, stets zurückgenommen, selbst im forcierteren Passagen niemals aufdringlich oder allzu dominant. Ein feines Gespinst der Linien also, anders als bei seinen Kollegen Jacob Karlzon oder Sam Barsh (Avishai Cohen Trio) liegen ihm eruptive Ausbrüche weniger. Zwar stellt er, wie in dem Sting-Cover „Message in a Bottle“ oder in der Herbie-Hancock-Adaption „Actual Proof“, auch mal einen musikantischen Mutwillen unter Beweis, der ihn in die Nähe von Fusion, Neo-Bop und Free-Jazz führt. Ein ruhiges, klares Saxofonspiel steuert Joakim Milder bei. In der Klarheit ist der Schwede zwar der nordischen Tradition eines Jan Garbarek verpflichtet, aber nicht in der schneidenden Stringenz. Eleganz und Dezenz sind ihm da wichtiger. An diesen Rahmen halten sich auch Bassist Slawomir Kurkiewicz und Schlagzeuger Michal Miskiewicz, beides langjährige Weggefährten des Pianisten, die auch eigene Gedanken, eigenständige Linien und Schlagfolgen entwickeln. Es entsteht ein geschlossenes, ästhetisierendes Bild, vielleicht ein wenig allzu frei von Ecken und Kanten, aber klangvollendet und detailverliebt allemal. Und damit schon ein Genuss für die Ohren. Marcin Wasilewski Trio/Joakim Milder: „Spark of Life“, ECM, elf Tracks, 2014. Ida Sand & Band Morgen, 20 Uhr Gärtnerei Koch-Christmann Es ist noch nicht allzu lange her, dass die Schwedin Ida Sand mit ihrer eher unskandinavischen Stimme auf sich aufmerksam machte: Vor etwa sieben, acht Jahren trat sie ihren Siegeszug auf die Jazzbühnen der Welt an, unterstützt durch niemand Geringere als Nils Landgren und Ulf Wakenius. Womit die Tochter eines Opernsängers aufhorchen ließ, war keine der klaren, kühlen Stimmen, die für den Norden so typisch sind. Vielmehr klang und klingt sie warm, erdig, an manchen Stellen regelrecht soulig. Mit einer Mischung aus eigenen Nummern und Covers von Jimi Hendrix über Elvis Costello und Bob Marley bis zu Neil Young wartete auch ihr 2009er Album „True Love“ auf, das sie seinerzeit im Kaiserslauterer Kulturzentrum Kammgarn vorstellte. Young hat es ihr offensichtlich derart angetan, dass die Stockholmerin nun, 2014 (2015 in Deutschland veröffentlicht), mit einem reinen Neil-Young-Coveralbum aufwartete: „Young at Heart“ heißt es mehrdeutig und umfasst 13 Nummern der kanadischen Folkrocklegende. Mentalitätsmäßig seien sich Schweden und Kanadier sehr nah, merkt die 37-jährige Sängerin an und bezieht sich dabei vor allem auf eine grundlegende Melancholie. Diese durchzieht auch tatsächlich etliche Nummern, bleibt aber beileibe nicht der einzige Tonfall. Sand drückt den Stücken dabei einen deutlichen Stempel auf, ohne sie jedoch allzu sehr zu verfremden. Es entstehen hörenswerte Neuadaptionen, jede für sich in Tonfall und Atmosphäre anders gehalten. Dazu trägt die umfangreiche Instrumentierung bei. Neben der Frontfrau, die bekanntermaßen auch das Klavier bedient, spielt Jesper Nordenström ein facettenreiches Keyboard, ihr langjähriger musikalischer Weggefährte und Ehemann Ola Gustafsson eine ebenso wandlungsfähige Gitarre, Dan Berglund Bass und Christer Jansson Schlagzeug/Percussion. Dazu kommen je nach Grundstimmung satte Bläsereinwürfe, als Satz oder solistisch (und wieder mischt Nils Landgren mit), oder auch mal ein schlagkräftiger Backgroundchor. Gleich der Opener „Cinnamon Girl“ wird zur psychedelisch getouchten Rockballade, äußerst groovig kommen „Don’t Let It Bring You Down“ und „Sea of Madness“ daher, poppig-sommerleicht „Harvest Moon“, eine Soulballade ist „Helpless“ mit Bo Sundström. Und ein wahrer Soulkracher ist „Woodstock“, der als einziger Titel nicht von Young, sondern von seiner Landsfrau Joni Mitchell stammt. Und wer weiß: Vielleicht nimmt sich die schwedische Sängerin in Zukunft ja ebenfalls vermehrt dieser Kollegin an – wir wissen ja nun, wie nahe Kanada und Skandinavien beieinander liegen. Der Einstieg jedenfalls ist schon gelungen. Ida Sand: „Young at Heart“, ACT, 13 Tracks, 2015 Simin Tander Donnerstag, 20 Uhr Kammgarn, Cotton Club Geheimnisvolle Botschaften aus fernen Ländern überbringt Simin Tander in den besten Momenten ihres Silberlings „Where Water Travels Home“. Dabei mischt sie die Sprachen Paschtu, Englisch, Französisch zusammen, meist ist für den Hörer die Aussage so eher emotional erfahrbar – doch wofür gibt es ein Begleitheft mit englischen Übersetzungen. Die Magie der Atmosphäre überzeugt aber auch ohne Textverständnis, ob es nun um Herzensdinge, Naturerfahrung oder Sehnsuchtsziele geht. Den Großteil der Inhalte der 13 Nummern – auch eine Brel-Adaption findet sich kurioserweise darunter – strickt die Kölnerin, die in den Niederlanden Jazzgesang studierte und von dort den hervorragenden Pianisten Jeroen van Vliet mitbrachte, gemeinsam mit ihrer Schwester Mina. Diese ist übrigens als erfolgreiche Schauspielerin („Tatort“, „Doctor’s Diary)“ bekannt. Doch zurück zur Musik, und für diese zeichnet Simin Tander in den allermeisten Fällen alleine verantwortlich. Immer neue Temperamente weisen die Titel aus ihrer Feder auf, veredelt mit einer quecksilbrig-oszillierenden Stimme, die in den Mitten belegt wie Rebekka Bakken klingt. Und doch geht sie in der melismatisch-gewundenen Stimmführung und manchmal opernhaften Drastik in eine ganz andere Richtung. Eint der erzählerische Gestus die Titel, so sind sie bis auf wenige Ausnahmen auch im verschatteten, melancholischen Tonfall gehalten. Entsprechend dezent verhält sich ihre Begleitmannschaft, neben van Vliet Cord Heineking am Bass und Etienne Nillesen am Schlagzeug. Immer neue Klangfarben überraschen beim Hören; etwa der kehlige Scat-Gesang der Frontfrau, die manches an Temperament wohl ihrem afghanischen Vater verdanken dürfte, oder auch schon mal eine Klezmer-nahe Klarinette (Alex Simu) und die Klänge des Tabla-Spielers Niti Ranjan Biswas. Eine Musik also zum Ein- und Abtauchen. Simin Tander: „Where Water Travels Home“, Jazzhouse Records, 13 Tracks, 2014.

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