Zweibrücken Malleus Bourreau ist der neue Sherlock Holmes

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Nichts. Absolut nichts. Der neue Roman von Markus Heitz bietet rein gar nichts. Keinen Anlass zur Kritik, keine Schwächen, keine Klischees – und schon gar keinen Anlass, in den Krümeln zu suchen, um doch noch etwas zu finden, an dem sich kritteln ließe. Wäre Heitz Fußball-Trainer, er hätte mit „Aera – die Rücker der Götter“ gerade die Champions League gewonnen.

Der Roman ist einfach rundum gelungen. Daneben erscheinen alle anderen Werke wie Test- oder Vorbereitungsspiele, um bei der Fußball-Sprache zu bleiben. Meist reichen zwei, drei Adjektive um einen Roman zu beschreiben, bei Aera braucht’s zwei Hände voll. Der Roman ist mal spannend, mal tiefgründig, mal lustig, mal boshaft, mal philosophisch, mal traurig, dabei oft blutig, immer mysteriös und stets wendungsreich. Sprich: Das Lesen macht so unheimlich viel Spaß wie seit Langem nicht mehr. Klar, man kann anführen, dass alles Neue stets einen gewissen Reiz hat. Das spielt sicher eine Rolle. Eine noch größere Rolle spielt allerdings, dass der Autor die größten Schwächen seiner jüngsten Werke abgestellt hat. Statt eines leidlich spannenden und mäßig gelungenen Krimi-Versuchs – wie in „Totenblick“ – präsentiert Heitz zehn originelle, kreative Kriminalfälle, die alle über eine Hintergrundgeschichte mehr oder weniger miteinander verbunden sind. Statt Protagonisten, zu denen der Leser nur schwer eine Bindung aufbauen konnte – wie im „Triumph der Zwerge“, der im Frühjahr erschienen ist – erweckt Heitz geheimnisvolle, eckige und zum Teil ziemlich unzugängliche Figuren zum Leben – und das bis in die Nebenrollen hinein. Unzugänglich deshalb, weil sich der Leser die Figuren erarbeiten muss. Heitz ist kein Erklärbär, der die Motive seiner Protagonisten bis ins letzte Detail vorkaut oder ihre Vergangenheit bis in die dunkelste Ecke ausleuchtet. Die Figuren muss man Stück für Stück zusammensetzen. Das ist nicht immer einfach, macht aber viel Spaß und ist entscheidend für die Identifikation mit ihnen. Hauptfigur in „Aera“ ist der Interpol-Ermittler Malleus Bourreau – der faszinierendste Charakter, den Heitz bis dato erschaffen hat. Bourreau ist Atheist und das in einer Welt, in der alle Götter, an die die Menschen jemals glaubten, zurückgekehrt sind. Vielmehr als dass Bourreau ein „ziemlich harter Hund“ ist, früher beim Militär war und ein Trauma davongetragen hat, weiß man anfangs nicht. Später wird klar, dass Heitz den wohl genialsten wie coolsten Ermittler seit Sherlock Holmes geschaffen hat, der sogar dessen Vorliebe für gesundheitsschädliches Rauchen teilt. Doch welche Rolle spielt dieser Ermittler? Was treibt ihn an? Warum sind die Götter ihm gegenüber meist wohlwollend? Heitz erklärt es nicht, sondern verstreut Hinweise, lässt den Leser rätseln und knobeln und hält somit die Neugier ganz weit oben. Ist der Polizist selbst ein Gott oder Halbgott? Oder vollstreckt er unwissentlich ihre Befehle? Hinweise gibt es viele. Toll, dass Heitz dem Leser Platz für Interpretationen einräumt. So bedeutet Malleus Hammer. Ein Hinweis auf den Hexenhammer (malleus maleficarum), der im 15. Jahrhundert die Hexenverfolgung legitimieren sollte? Tatsächlich spielen Hexen eine große Rolle. Der Name Bourreau ist französisch und bedeutet Henker, Scharfrichter, Peiniger. Ist Bourreau ein Hexenjäger im Auftrag eines Gottes? Das ist eine von vielen Möglichkeiten. Ebenso faszinierend wie die Hauptfigur ist die Welt, die der Autor erschaffen hat und in der mindestens so viel Kreatives steckt wie seinerzeit in seiner „Ulldart“-Reihe. Statt der von schwer gerüsteten Zwergen platt getretenen Pfade des Geborgenen Landes, stößt Heitz den Leser unvermittelt in eine ebenso vertraute wie völlig fremde Welt. Nichts ist mehr wie es war, seit 2012 die alten Götter zurückgekommen sind. Alle, außer dem Gott der Christen, Juden und Moslems. Oder den Dreien – je nach Sichtweise. Auch hier nimmt Heitz seine Leser nicht bei der Hand. Diese Welt muss erarbeitet, Hintergründe Stück für Stück zusammengetragen werden. So hat man das Gefühl, dass man selbst Heitz neue Welt erkundet. Dass Heitz gleich zwei Erzähler in den Roman eingebaut hat, macht das Werk extrem unterhaltsam. So wird die Geschichte immer wieder von den Kommentaren eines wahnsinnigen Serienkillers unterbrochen, der einen Narren an Bourreau gefressen hat, ihm wie einen Schatten folgt und ihn beschützt. Warum? Achtung, Meuchler-Logik: „Wenn ihn einer tötet, dann ich.“ Viel erfährt der Leser nicht über den Killer. Dafür erfährt man durch ihn viel von der Welt und über den Polizisten. Und das auf ziemlich witzige und unterhaltsame Art. Denn wie es sich für einen wahnsinnigen Mörder gehört, verzichtet der Killer bei seinen Erklärungen auf jedwede politische Korrektheit oder religiöse Gefühle. Das ist oft brüllend komisch, regt aber an gewissen Stellen zum Nachdenken an – ähnlich wie bei einem Hofnarren. Lesezeichen Markus Heitz, „Aera – Die Rückkehr der Götter“, Roman, Knaur-Verlag München 2015, 782 Seiten, 9,99 Euro.

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