Saarbrücken Landeskunstausstellung Saar: Der Blick weitet sich

Saarbrücken: Karin Magar kombiniert farbenfrohe Bilderreliefs aus Strumpfwaren.
Saarbrücken: Karin Magar kombiniert farbenfrohe Bilderreliefs aus Strumpfwaren.

40 Künstlerinnen und 20 Künstler an elf Orten im Saarland – und in einer Galerie in Berlin: Die Landesausstellung Saarart ist ein Großprojekt, das Ausdauer verlangt. Ein Rundgang mit Yoga in Saarlouis, Höhleerkundungen in Saarbrücken, verstörenden Videos in Völklingen und fantastischen KI-Wesen in Merzig.

„Wie viele Leute haben sich denn schon auf die Matte gelegt?“, frage ich die Aufsicht. „Wenn Sie sich hinlegen, sind Sie die Erste“, lautet die Antwort. Die Yogamatte ist künstlerisch gestaltet, leidlich bequem und sorgt für einen Wow-Effekt. Den hat man relativ oft bei der Landeskunstausstellung des Saarlandes.

Gemalte hochragende blaue Bahnen auf der einen Seite, und in Orange auf der anderen Seite sieht man, wenn man auf der von Anne-Marie Stöhr (54) ebenfalls in Bahnen bemalten Yogamatte im Museum Galerie Ludwig (Saarlouis) liegt. Die ungewohnte Perspektive sorgt dafür, dass man auch andere Kunstwerke in dem Backsteingewölberaum anders wahrnimmt.

Etwa die drei Meter hohe schwarze geschwungene Plastik von Sigrun Olafsdottir (60), die sich nun scheinbar bewegt, wenn man den Kopf schnell dreht, und die dadurch zu dem wird, was ihr Titel besagt: „Vitesse“ (Geschwindigkeit). Und wenn man sich selbst durch den Bereich gegenüber bewegt, in dem die konstruktivistische Malerei der Künstlerfamilie Ickarth (Vater Joachim, 83, Sohn Sebastian, 58, Enkelin Lilith, 26) hängt, erkennt man eine ähnliche Linienführung inmitten der Buntheit der durchweg quadratischen Arbeiten.

Saarlouis: Die Yogamatten und Bahnen von Anne-Marie Stöhr fordern zum Aktivwerden auf.
Saarlouis: Die Yogamatten und Bahnen von Anne-Marie Stöhr fordern zum Aktivwerden auf.

Keine Frage, die Ausstellungsstücke sind klug ausgewählt und angeordnet. Das gilt auch für die anderen elf Orte quer durch das kleine Saarland und den einen in Berlin, auf die die saarländische Landeskunstausstellung Saarart verteilt wurde. Die Bedingungen lauteten: Die Künstler müssen im Saarland geboren sein, dort leben oder dort studiert haben, analog gilt das für Kunstschaffende aus den angrenzenden Ländern Lothringen und Luxemburg, die erstmals dabei sein dürfen, weil Kunst nicht an der Grenze haltmacht und der Austausch rege ist, so Andrea Jahn, Vorstand der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz. „Au rendez-vous des amis“ lautet folgerichtig der Untertitel der in jeder Beziehung anregenden und anstrengenden Schau.

Saarbrücken: Claire Hannicq verändert in ihrer Videoinstallation den Himmel.
Saarbrücken: Claire Hannicq verändert in ihrer Videoinstallation den Himmel.

Außerdem mussten die eingereichten Arbeiten sich mit den Themen Identität, Isolation oder Vergänglichkeit befassen – was jedoch ein weites Feld ist, unter dem sich im Prinzip alles fassen lässt, wenn die Kunstschaffenden nur den richtigen Titel für ihr Werk wählen. Egal. Aus über 200 Bewerbungen hat eine dreiköpfige Jury knapp 61 Künstler und Künstlerkollektive ausgesucht (47 Frauen, 20 Männer), manche sind an zwei Orten vertreten, was die Sache nicht einfacher macht.

Saarbrücken: Elodie Grethen spielt in „Odalisque“ mit der Kunstgeschichte und der Zensur.
Saarbrücken: Elodie Grethen spielt in »Odalisque« mit der Kunstgeschichte und der Zensur.

Dazu gehört neben Sigrún Ólafsdóttir (im Skulpturengarten der Modernen Galerie, also im Freien, lockt noch ihre sichelartige geschwungene Drei-Meter-Skulptur „Tänzer“) die Französin Claire Hannicq (38), die in den Vogesen lebt. Ihre Videoinstallationen sind atemraubend. Auf großer Leinwand zeigt sie ganz trivial einen blauen Himmel mit Wolken. Doch peu à peu werden die Wolken heller, grauer, undurchsichtiger, ein Nebel entsteht.

Saarbrücken: In der kaum bekannten Fußgängerunterführung zwischen Deutschland und Frankreich an der Goldenen Bremm geht es nun b
Saarbrücken: In der kaum bekannten Fußgängerunterführung zwischen Deutschland und Frankreich an der Goldenen Bremm geht es nun bunt zu.

Dabei wechseln die Bildeindrücke schneller, als man es verarbeiten kann, und so wird die Wahrnehmung als solche in Frage gestellt. Zudem korrespondieren die Videobilder mit vier großen Podesten, auf denen Fotos von Höhlen, Fossilien, Samen und Erden auf mundgeblasenes Glas projiziert wird. Wie wichtig das Licht ist, kann man sehen, wenn man ihre Arbeiten im schwarz ausgekleideten Raum in der Modernen Galerie und dem hellen, weißen Abteil im Saarländischen Künstlerhaus (beide in Saarbrücken) miteinander vergleicht.

St. Wendel: Anne Harings monumentale Skulptur erinnert an Kanonenrohre, ist aber aus Filz.
St. Wendel: Anne Harings monumentale Skulptur erinnert an Kanonenrohre, ist aber aus Filz.

Dagegen kann einem bei der Videoinstallation „Blue“ der Berlinerin Paulette Penje (38) in der Völklinger Hütte schwindelig werden: Sie stand offenbar im blauen T-Shirt auf dem Dach der Möllerhalle, hielt eine blaue Spraydose hoch und sprühte in einen ohnehin schon strahlend blauen Himmel, während sich die Kamera in Michael-Ballhaus-Manier 360 Grad um sie dreht – recht schnell und im Loop. Dabei wird das gesprühte Blau zu einem Strahl, zu einem feinen Nebel und verschwindet schneller, als man gucken kann (in der Modernen Galerie dreht sie sich in einer Videoperformance auch am Boden zu wild angesprühten verknäulten Linien). „Ich denke mit dem Körper“, sagte sie von sich, das lernen die Saarart-Besucher nun auch – zwangsläufig.

Elodie Grethen (35) wiederum kommentiert die aktuelle Cancel Culture und die Kunstzensur auf ebenso einfache wie witzige Weise – sie lässt sich als liegender Akt fotografieren und verhängt das Bild mit einem durchsichtigen faltenreichen Vorhang im Kulturbahnhof (Saarbrücken). Dort finden sich auch die ungewöhnlichsten durchsichtigen Materialarbeiten – in einer regelrechten Werkschau mit zwei Dutzend Arbeiten: Karin Magar (61) nimmt einfarbige bunte Nylonstrumpfhosen und Kniestrümpfe, zerschneidet und verspannt sie zu Bildern, in denen die Bahnen durchsichtig bleiben und sich zu geometrisch ornamentalen Reliefs mit Gemälde-Charakter verdichten. Nur schwer lässt sich sagen, ob da nun zehn oder 20 Elemente übereinanderliegen.

Merzig: Stefan Zöllner sammelt Artefakte und lässt eine KI neue schaffen, die bizarr aussehen.
Merzig: Stefan Zöllner sammelt Artefakte und lässt eine KI neue schaffen, die bizarr aussehen.

Ohne Künstliche Intelligenz geht es auch in der Kunst nicht: Stefan Zöllner (63) bringt eine KI mit wenigen Worten (prompts) dazu, synthetische Objekte auf den Bildschirm zu zaubern, die aussehen wie eine Mischung aus Schmucksteinen, Tieren, Pflanzenelemente und bizarren Wesen von einem anderen Stern: in Knallfarben lackiert, mit Glas- und Metallelementen, Perlen, Pelzen und Augen. Die überbordende Fantasiewelt ist eingebettet in eine Vitrine mit ähnlich bizarren Artefakten – zu sehen im Museum Schloss Fellenberg (Merzig).

Völklingen: Paulette Penjes Videoinstallation „Blue“ zeigt die Entstehung und die Vergänglichkeit von Kunst.
Völklingen: Paulette Penjes Videoinstallation »Blue« zeigt die Entstehung und die Vergänglichkeit von Kunst.

Dort ist auch der einzige Pfälzer zu sehen, O.W. Himmel (56) aus Ludwigshafen überrascht mit grauen verfremdeten Plattenspieler-Linoldrucken – und Julia Baur (59) mit subtiler Malerei direkt auf die Wände, auch um die Ecken und Kanten herum. Mit dicken Linien in Gelb bemalt dagegen die Französin Stefania Crisan (30) die Wände und auch die Schaufenster der Saarländischen Galerie in Berlin. Der Clou: Die Buchstaben stehen seiten-, aber nicht spiegelverkehrt und erfordern volle Konzentration beim Entziffern: „Frauen malen nicht so gut, das ist ein Fakt“, steht da, natürlich eine Provokation, und ein Satz, den die Saarart mit ihrem Frauenüberschuss natürlich munter Lügen straft.

Info

Details über die Ausstellungorte (jede Schau hat eine andere Laufzeit, andere Öffnungstage und Öffnungszeiten) und die Künstler findet sich unter saarart.eu und in dem Blog saar-art.de.

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