Zweibrücken Showdown im Schlossberg

Geheimnisvoll: die Homburger Schlossberghöhlen.
Geheimnisvoll: die Homburger Schlossberghöhlen.

An Ostern erscheint bei Rowohlt die deutsche Übersetzung des neuesten Bernie-Gunther-Krimis von Philip Kerr. Es ist der zwölfte – und der letzte; denn der britische Bestseller-Autor ist voriges Jahr gestorben. Seine Fans schmerzt das, zumal es in diesem Band mit dem Titel „Berliner Blau“ (im Original von 2017: „Prussian Blue“) eine Passage gibt, die durchaus Hoffnung auf eine Fortsetzung der Serie machen konnte. Andererseits wird es (nicht nur) die saarpfälzische Lesergemeinde reizvoll finden, dass wesentliche Teile der Handlung nicht im Kiez der Reichs- und späteren Bundeshauptstadt spielen, sondern in Homburg. Die Schlossberghöhlen stehen dabei im Mittelpunkt. Wie es dazu kommt, ist eine lange, aber sehr spannende Geschichte. In ihr sind ein erfundenes Verbrechen und viele historische Details so glaubwürdig miteinander verwoben, dass man sich schon fragt, woher konnte der britische Autor das alles eigentlich wissen? Wenn er eine Szenerie am historischen Marktplatz beschreibt, hat man den Eindruck, er schaut gerade aus einem Fenster im Obergeschoss von Karl Leysers Eisenwarengeschäft. Nicht alles, was Ich-Erzähler Bernie Gunther von dort aus notiert, ist allerdings schmeichelhaft. Von der Stadtkirche heißt es zum Beispiel, mit ihrem sechseckigen Turm sehe sie eher aus wie ein Hochsicherheitsknast. Die Kreisstadt lässt dem Kommissar das als langweilig empfundene Saarbrücken wie Paris erscheinen. „Das Beste, was man in Homburg tun kann, ist: wieder abhauen!“ (jeweils eigene Übersetzung). Das ist nur eines der Negativetiketten, die Bernie dem Saarland und der Saarpfalz gern anhängt. Kommissar Gunther ist eine Art James Bond. Er war wegen seiner Spürnase trotz SPD-Parteibuchs bei den Nazis hoch im Kurs. Und nach dem Krieg wollte auch die Stasi mit ihm ins Geschäft kommen. Daher hat das Buch zwei Zeitebenen. Wir sind zuerst im Jahr 1939, kurz vor dem Überfall auf Polen. Auf dem Obersalzberg, Hitlers Alpenresidenz, wird jemand erschossen. Bernie soll im Auftrag von Martin Bormann aufklären. Der Mordverdächtige flieht aus dem Bayerischen Richtung Lothringen, wo er sich auskennt – als Veteran, der sich für den Kaiser bei Verdun geschlagen und jetzt günstigerweise sogar eine Schwester in Homburg hat, die ihm beim Verstecken helfen kann. So wie es beschrieben ist, hat sie als Sekretärin von Christian Weber dem Älteren (1876-1946) bei der Brauerei gearbeitet und am Anfang der heutigen Karlsbergstraße gewohnt, die ja damals aus falscher Heimatliebe „Deitsch Gass“ genannt wurde. Ein Saarbrücker aus dem Führungsteam von Martin Bormann hilft Gunther bei der Verfolgung. Wie sein Chef ist dieser Nazi-Offizier mit viel krimineller Energie ausgestattet. Das eher Verstörende ist: Als historische Figur hat es diesen durchtriebenen Wilhelm Zander wirklich gegeben, er war zuletzt „Staf“, also Standartenführer und damit im zweithöchsten Offiziersrang bei der SS. Arroganz gehörte zu seinem Geschäft, und so ist es kaum verwunderlich, dass er an einer Stelle kokett behauptet: „Als 1793 das Schloss angesteckt wurde, ist in Homburg zum letzten Mal was Interessantes passiert.“ Ein Saarbrücker halt. Den Unterschied zwischen Schloss Karlsberg und der Hohenburg verwischt Philip Kerr ein bisschen – wohl aus dramaturgischen Gründen, das ist künstlerische Freiheit. Aber die Quelle für eine Begegnung mit der Homburger Polizei in der oberen Eisenbahnstraße zu kennen, das wäre schon amüsant. „Sie bewegten sich so lahm, wie das nur Kleinstadtpolizisten hinbekommen“, und als Bernie sie auf die Fährte des Verbrechers setzt, kam ihm das vor, „als würde man einem Esel den Auftrag geben, einen Hasen zu fangen“. Wie geht das Ganze aus? In den Schlossberghöhlen, und das ist wirklich ebenso authentisch wie spannend beschrieben, kommt es zum Showdown des Jägers Bernie Gunther und des Gejagten, der sich – in weiser Voraussicht nicht ohne seine Parabellum 9 mm – dort im Finsteren verschanzt hat. Der Kommissar schafft es aber irgendwie, mit heiler Haut davonzukommen, der Verfolgte nicht. 1956 dann ist Bernie in der gleichen Situation am gleichen Ort. Allerdings ist er dann der Verfolgte, weil die Stasi hinter ihm her ist. Er hat sich geweigert, für Erich Mielke einen Auftragsmord zu begehen, und jetzt hat der DDR-Bonze, der kurz vor der Ernennung zum Geheimdienstchef unter Erfolgsdruck steht, den eher gutmütigen Bernie selbst im Visier. Sehr schöne Szenerie in der noch naturbelassenen Höhle, und ein unerwarteter Ausgang dieses erneuten Zweikampfs! Man muss kein Krimifreund sein, um dieses Buch zu mögen und es trotz seines Backsteinvolumens lustvoll zu verschlingen. Der Leser entdeckt tausend Details aus dem Alltag des als Gau Saarpfalz schon Reich gewordenen Saarlandes von 1939 und des autonomen Saarstaats von 1956. Philip Kerr hat es meisterhaft geschafft, diese Atmosphäre glaubwürdig entstehen zu lassen. Es gibt im Lauf der 500 Seiten viele Verdächtige. Und wenn man das Gefühl hat: „Jetzt hab ich’s!“, dann geht es gerade auch nochmal andersrum. Außerdem ist sein Bernie Gunther #12 ein gutes Stück Aufarbeitung. Denn er schildert die Nazi- und die Stasi-Vollstrecker vor allem auch als das, was sie sind: geltungsgeile Kriminelle mit stets gezinkten Karten – korrupt, hedonistisch und jederzeit rücksichtslos, wie in Freyming-Merlebach beim mutwilligen Schuss auf ein verspieltes Kätzchen. Lesezeichen Philip Kerr: „Berliner Blau“, Kriminalroman, Wunderlich Verlag (Rowohlt), Hamburg 2019, erscheint am 16. April, 544 Seiten, 23 Euro (Hardcover), 19,99 Euro (Kindle).

Start in Berlin: Detektiv Bernie Gunther.
Start in Berlin: Detektiv Bernie Gunther.
Kannte sich in der Saarpfalz aus: Philip Kerr.
Kannte sich in der Saarpfalz aus: Philip Kerr.
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