Zweibrücken Der Soldat, der Evas Oma erschießt

Sie sieht streng aus und liest emotional aufwühlende Texte: Bärbel Schäfer in Homburg.
Sie sieht streng aus und liest emotional aufwühlende Texte: Bärbel Schäfer in Homburg.

Im Homburger Bistro 1680 sorgte die Autorin, Journalistin und Moderatorin Bärbel Schäfer am Dienstagabend für Gänsehaut, als sie aus ihrem Roman „Meine Nachmittage mit Eva: Über Leben nach Auschwitz“ las. Die Geschichten riefen viele Emotionen hervor.

„Ich habe das Buch aus zwei Sichten geschrieben: Einmal geht es um meine Begegnungen mit Eva Szepesi, und dann erzähle ich in Rückblicken, was Eva in Auschwitz erleben musste“, erzählt Bärbel Schäfer. Mit ihrem dunklen Jackett und der weißen Bluse wirkt sie, als könne sie sich gut durchsetzen. Im Buch aber zeigt sie ihre zerbrechliche Seite, ihre Trauer und das große Leid das sie empfindet, wenn sie Eva zuhört. „Eva Szepesi war mit elf Jahren vor den Nazis auf der Flucht. Getrennt von ihren Eltern wurde sie schließlich ins Konzentrationslager Auschwitz gebracht. Davon erzählt sie mir bei unseren Treffen.“ Schäfers Stimme ist klar. Auch wenn sie ganz leise spricht, kann man jedes Wort gut verstehen. Noch heute drückt ihre Stimme die tiefe Trauer aus. „Jeden Mittwoch treffen wir uns. Heute ist Eva 85. Wir halten uns an den Händen und erzählen, was uns bewegt. Während ich Evas Geschichten von damals höre, ist meine Sicht durch ein Tränennetz verschleiert.“ Solche Zeilen sind es, die den eigenen Körper mit Gänsehaut überziehen. Sie zeigen, welche Grausamkeiten ein Mensch einem anderen antun kann. In Rückblicken erfahren die Zuhörer auch immer etwas über Evas Vergangenheit. „Ein Soldat ging zu Evas Mutter hin und fasste ihr an die Brust. Ihre Mutter blickte ihm fest in die Augen und wischte seine Hand fort. Der Soldat richtete sein Gewehr in der Menge auf Evas Oma und drückte ab. Der Schnee verfärbte sich rot vom Blut“, liest die ehemalige Talkshow-Moderatorin. Dafür braucht sie keine Effekte, keine Kunstpausen oder Betonungen. Es genügt, dass die 54-Jährige liest. Still ist es geworden in der Kneipe. Jeder lauscht gebannt den Worten aus ihrem Buch, das Dinge beschreibt, die über unseren Verstand gehen. Das bemerkt auch die Autorin: „Sie können sich ruhig bewegen“, sagt sie grinsend. „Sie müssen jetzt nicht die gesamte Lesung still dasitzen!“ Sympathisch kommt sie rüber, die Frau, die selbst einiges durchgemacht hat: Durch einen Autounfall hat sie vor 20 Jahren ihren Lebensgefährten verloren, 2013 starb ihr Bruder, als er mit seinem Porsche unterwegs war. Vielleicht versteht Bärbel Schäfer ihre Freundin deswegen so gut: Trauer und Schrecken können furchtbare Folgen haben. Aber manchmal schaffen sie auch Verbindungen und führen zu einer tiefen Freundschaft. Mit den Gesprächen mit Eva, die sie in ihrem Buch festgehalten hat, rüttelt die Frankfurterin wach und zeigt gleichzeitig auf, wie grausam sich Menschen gegenüber ihresgleichen verhalten können „Die Narben auf ihrer Seele tun mir weh“, liest Schäfer. „Ich sehe ihre Nummer am Unterarm und möchte weinen.“ Mit ihrer ganz eigenen, brillanten Schreibweise und ihren klaren, unverhüllten Beschreibungen entführt sie die Zuhörer in eine andere, von Gewalt beherrschte Welt. Obwohl sie nur am Anfang der Lesung wenige Minuten lang über das Buch erzählt, hat sich die Lesung gelohnt. Alles, was Bärbel Schäfer zu den schrecklichen Ereignissen hätte sagen können, hat sie bereits aufgeschrieben. Mit Zeilen wie „Wann haben die Menschen aufgehört, aufeinander aufzupassen?“, macht sie klar, dass es genau darauf ankommt: füreinander da zu sein, sich umeinander zu kümmern. Öfter fragen, ob man helfen kann. Leid teilen. Das macht die Menschen zu liebevollen Wesen. Die Worte der Autorin hallen auf dem Nachhauseweg noch lange nach. Lesezeichen Bärbel Schäfer: „Meine Nachmittage mit Eva: Über Leben nach Auschwitz“, Gütersloher Verlagsanstalt 2017, 224 Seiten, 19,90 Euro.

x