Zweibrücken „Der Japaner kann auf Lücke lesen“

Lebt für die Kalligrafie: Katharina Pieper.
Lebt für die Kalligrafie: Katharina Pieper.

Die Kalligrafin Katharina Pieper hat im Gut Königsbruch in Bruchhof bei Homburg ein Museum für Schriftkunst und Kalligrafie eröffnet. Sie erklärt, was es mit diesem zwischen Kunst und Funktion stehende Genre auf sich hat.

Frau Pieper, wie sind Sie zur Kalligrafie gekommen?

In meinem Studium Kommunikationsdesign an der Fachhochschule Wiesbaden war Schrift wichtig – Handschrift, Druckschrift, Schriftsetzen, Schriftzeichen. Die Buchstaben werden konstruiert beziehungsweise gezeichnet. Das macht man zum Beispiel, wenn man Logos erstellt. Für eine druckfähige Vorlage muss die Schrift typografisch gestaltet werden. Grafiker kennen sich oft nicht mehr gut mit der Schriftgestaltung aus. Welche Schrift passt zu welchem Inhalt? Eine Werbung für eine Schokoladenverpackung bedarf eines anderen Erscheinungsbildes als ein neues Schild für den örtlichen Bestatter. Und welche Zielgruppe will ich ansprechen? Wie hat Sie diese Ausbildung dann zur Kalligrafie geführt? Ich komme vom Design. Bei der Kalligrafie bin ich nach meinem Studium durch Lehraufträge, unter anderem in Mainz, Wiesbaden und Saarbrücken hängengeblieben. Dann hatte ich eine Gastprofessur in Hamburg an der Fachhochschule für eine Sommerakademie. Und ich hab` das Glück gehabt, dass ich meine Ausbildung noch ohne Computer machen konnte. Wir haben die Schrift gesetzt oder geschrieben. Sie haben angesprochen, dass man beim Design kunden- und inhaltsorientiert die Schriften auswählt. Wie ist das in der Kalligrafie? Gibt es da auch Zuweisungsschemata? Natürlich unterscheidet sich die Kalligrafie in verschiedenen Epochen – Renaissanceschrift, Barockschrift, klassizistische Schrift. In der Renaissance kam die Aufteilung in Handschrift und Druckschrift. In der Handschrift kann ich natürlich anders gestalten. Habe ich etwa einen lieblichen Inhalt, nehme ich Schwingen und Schlaufen – das kann man nur handschriftlich. Im Jugendstil hat man oft Architekten und Maler mit der Buchgestaltung beauftragt – die sind mit ihrer Sicht an die Gestaltung der Schriftzeichen herangegangen. Daraus sind Druckschriften entstanden. Und wie in der Architektur gibt es in der Schrift Stilelemente. Darüber hat man dicke Bücher geschrieben. In der Schrift spiegeln sich immer die Stilelemente ihrer Zeit. Und es macht auch einen Unterschied, ob man eine Schrift nutzt für eine Zeitung, wo man viel Platz auf engem Raum braucht für eine schnelle Lektüre, oder für ein CD-Cover. Als Kalligraf entwirft man auch immer neue Schriften. Kalligrafie ist für Sie also viel mehr als eine Wissenschaft? Natürlich. Mir geht es auch gar nicht um das Historisierende. Mit einer Handschrift kann man wieder ein lebendiges Schriftbild erreichen, Druckschrift bleibt immer stereotyp, um nicht zu sagen steril. Neue Schriften für bestimmte Inhalte zu finden, das ist die Aufgabe der Kalligrafie 2018. Fließen in Ihre kalligrafische Arbeit außereuropäische Traditionen ein? Ja, vor allem japanische und chinesische Kalligrafien. Dabei habe ich den Pinsel kennengelernt. Und dort beschäftigt man sich oft mit spirituellen Inhalten. Auch die arabische Schrift mit ihrem Formenreichtum ist ein großes Inspirationsfeld. Die Grundelemente unserer Schrift sind Kreis, Quadrat und Dreieck, das ist unser analytisches Denken. In Asien herrscht das synthetische Denken vor, das ist ganz anders. Worin besteht dieses Anderssein und wie äußert es sich in der Schrift? Um eine Zeitung lesen zu können, muss man das Alphabet und einen bestimmten Wortschatz kennen. Ein Japaner kennt gar nicht alle 6000 Zeichen für die Lektüre der Schrift. Er kann aber auf Lücke lesen, eine Fähigkeit, die von klein auf trainiert wird. Wie viele Schriftkulturen gibt es eigentlich? Fünf: lateinisch, ostasiatisch, arabisch, persisch/türkisch sowie indisch/hebräisch. Und ich möchte hier im Lauf der Zeit auch nicht nur die lateinische Schrift zeigen. In der Stiftung Schriftkultur geht es schließlich um die Schrift als Kulturgut. Warum haben Sie ein Museum für Schriftkultur gegründet? Das hat viel mit meiner eigenen künstlerischen Entwicklung zu tun. Zum einen kann ich hier auch unterrichten, und durch Workshops hat man viele Kontakte zu Kollegen, zum anderen kann ich meine künstlerische Arbeit zeigen in Ausstellungen. Ich habe bereits bei den Buchmessen in Frankfurt und Leipzig ausgestellt, irgendwann hab` ich eine eigene Edition gegründet, Karten, Kalender und Bücher publiziert. Es gibt einfach in Deutschland nicht viele Orte, wo man etwas über Schrift erfahren kann. Mir ging es immer darum, die Schrift unter die Leute zu bringen. Schreiben ist ein hochkomplexer Vorgang – Gehirn, Auge, Hand und die Kenntnis der Buchstaben sind involviert. Bei der Kalligrafie kommen weitere Elemente dazu: welche Feder, welche Schrift, man braucht einen gleichmäßigen Schreibrhythmus. Der Tod meines Lebensgefährten Jean Larcher vor drei Jahren war ein Wendepunkt in meinem Leben, Tiefpunkt und Neustart zugleich. Als ich damals in der Zeitung erfahren habe, dass dieses Hofgut aufgekauft und für die Scheune noch eine Verwendung gesucht wurde, hat’s bei mir geklingelt. Ich wollte immer schon Räumlichkeiten, wo ich meine Arbeiten zeigen konnte, wo ein Zentrum für Schrift und Kalligrafie entstehen kann. Über einen Verein hat das jetzt geklappt. Was bedeutet Kalligrafie für Sie persönlich? Kalligrafie und Schriftkunst – das ist mein Leben. Ich lege da meine Energie rein, mein Herz, meine Seele. Die Kalligrafie verbindet Menschen – sie macht Freude und Freunde. Man beschäftigt sich mit Texten und Literatur, mit philosophischem Gedankengut. Man begegnet jemandem und hat sofort eine Wellenlänge. | Interview: Konstanze Führlbeck

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