Speyer Vom Ochsenkarren zum Rettungsdienst

91-87383848.jpg
Ludwigshafen

. Die Geschichte der Arbeitsmedizin begann im Dezember 1866, als Karl Knaps der erste Betriebsmediziner der BASF wurde. Möglicherweise sogar der erste überhaupt in ganz Deutschland. Das vermutet Stefan Lang aus Speyer, der heutige Leiter der BASF-Arbeitsmedizin. Von Knaps Nachfolger Ludwig Ney (ab 1871) ist überliefert, dass es damals bereits eine kostenlose Behandlung für die Mitarbeiter gab. Sein Nachfolger wiederum, Ernst Westhoven, war nicht nur erstaunliche 40 Jahre lang im Dienst, sondern in Personalunion gleichzeitig Ärztlicher Direktor des Städtischen Klinikums. Im Ersten Weltkrieg richtete er zwei Lazarette auf dem Werksgelände ein und baute die erste Werksambulanz mit auf. Stefan Lang beschäftigt sich heute vor allem mit Vorsorge. Das war früher noch ganz anders. Tuberkulose etwa war eine weit verbreitete Krankheit, mit der auch Betriebsärzte zu tun hatten. Auch hat sich noch kaum jemand um den Arbeitsschutz der Mitarbeiter gesorgt. Unfälle passierten häufig, weil die Maschinen nicht richtig gesichert waren. Wirklich große Unglücke gab es zwei in der Geschichte des Werks und damit auch der Arbeitsmedizin. 1921 explodierte das Düngemittelsilo in Oppau, 1948 ein Kesselwagen mit 30 Tonnen Dimethyläther. Die Folge der letzten Katastrophe: 3818 Verletzte, 207 Tote. Dazu mehrere Hundert Opfer im Stadtgebiet. Lang sagt: „Heute passiert wegen unserer hohen Sicherheitsstandards zum Glück kaum noch etwas.“ Während des RHEINPFALZ-Gesprächs liegt der dicke Prospekt „Sport und Gesundheit 2016“ neben ihm auf dem Tisch. Eine Broschüre mit den heutigen Angeboten für BASF-Mitarbeiter: Sportabzeichen-Kurse, vegane Küche, Raucherentwöhnung, Yoga. Lang spricht von einer gestiegenen „Awareness“, also Bewusstsein, der Mitarbeiter für Stress. Die BASF ermittelt für ihre Standorte einen „Health Performance Index“. Begriffe, die im 19. Jahrhundert niemand in den Mund genommen hätte. Früher wurden Kranke auf dem Werksgelände mit Ochsenkarren transportiert. Heute hat die BASF einen eigenen Rettungsdienst. Für bestimmte Berufe gibt es vorgeschriebene Untersuchungen. Wer zum Beispiel schweren Atemschutz tragen muss – Chemiearbeiter, auch die Feuerwehr – wird auf gute Herz-Kreislauffunktion untersucht. Etwa 9000 Impfungen macht die Arbeitsmedizin im Jahr: für Mitarbeiter, die ins Ausland reisen, aber auch die vorgeschriebenen Standard-Impfungen wie Polio sind darunter, viele Grippe-Impfungen. Und wie ist das mit Arbeitsstress und seinen gesundheitlichen Folgen? Stress habe es schon immer gegeben, sagt Lang. Nur: „Heute ist es weniger stigmatisierend, darüber zu sprechen.“ Die BASF ist auch für den Katastrophenfall gerüstet. „Wir haben für alle denkbaren Szenarien Notfallpläne“, erklärt Lang. Dann gibt es bestimmte Mitarbeiter, die in Gremien zusammenkommen; ein Bereitschaftsdienst ist ohnehin 24 Stunden vor Ort. Doch für Notfälle arbeitet die BASF auch mit den Kliniken in der Region zusammen. Umgekehrt haben BASF-Feuerwehr und Ärzte beispielsweise nach der Gasexplosion in Oppau 2014 geholfen, die nichts mit dem Unternehmen zu tun hatte. Eine andere Aufgabe der BASF-Ärzte: Wenn der Kampfmittelräumdienst anrückt, was bei Bauarbeiten auf dem Werksgelände häufig vorgeschrieben ist, ist präventiv auch ein Mediziner dabei. Einfach mit allen Beschwerden zum Betriebsarzt gehen? Man könne kommen mit „allem, was akut ist und nicht ins Hausärztliche eingreift“, nennt Lang hier als Richtlinie. Der Vorteil eines Arztes am Arbeitsplatz: die Nähe zum Büro, die flexible Besuchszeit. So kommen auch Menschen zur Untersuchung, etwa zur Darmkrebsvorsorge, die sonst nicht zum Arzt gehen. Auch das Unternehmen profitiert. Ein gesunder Mitarbeiter ist leistungsstärker als ein kranker. Und: Durch die betriebsärztliche Untersuchung wurden schon einige Krankheiten erkannt, die sonst im Verborgenen geblieben wären.

91-87383849.jpg
91-87384090.jpg
x