Speyer Schwimmende Samariterin

Hassloch. Still, warm, und gemütlich ist es im Wohnzimmer von Maren Jesske. Besser gesagt im Wohnzimmer ihrer Eltern und Geschwister – denn ihre eigene Wohnung hat die 22-jährige Kinderkrankenschwester wegen ihrer Hilfseinsätze abgemeldet. Einen Raum für sich alleine hatte die junge Frau in den vergangenen zwölf Monaten praktisch nie: In der Republik Kongo, im autonomen Hafen von Pointe-Noire, der zweitgrößten Stadt nach der Hauptstadt Brazzaville, hat die aus Haßloch stammende Helferin auf dem Hospitalschiff „Africa Mercy“ der internationalen Hilfsorganisation „Mercy Ships“ Patienten betreut. Nach einem „Marine Safety Training“, bei dem sie zwei Monate lang in Texas in den USA den Umgang mit Rettungsbooten oder das Löschen von Feuer lernte, flog Jesske im Herbst 2013 weiter in den Kongo. Ohne Bezahlung – und gegen Bezahlung untergebracht in einer Kabine mit fünf weiteren ehrenamtlichen Fachkräften, wie Ärztinnen oder Krankenschwestern. Für die zierliche Haßlocherin drehte sich während dieser Zeit alles um lebensverbessernde Operationen an Augen, an der Schilddrüse oder am Knochengerüst ihrer Patienten: Die Ärmsten der Armen kommen zum Hospitalschiff, um teils jahrzehntelang bestehende, oft unvorstellbar große Wucherungen, lang ausgehaltene Zahnprobleme oder Knochendefekte operativ behandeln zu lassen. „Schon als Kind wollte ich in Afrika helfen“, pointiert Maren Jesske, was sie zu diesem Schritt bewogen hat. Die Familie, freie Christen mit evangelischem Hintergrund, habe sich schon früh mit Geschichten über Missionare beschäftigt, erzählt Marens Mutter Anne: „Das ist typisch für Maren, dass sie anderen hilft. Sie investierte sozusagen sich selbst und ihre Arbeitszeit. Und Familie, Freunde und Bekannte investierten in sie.“ Das funktioniert so: Bei „Mercy Ships“ hat jeder Helfer eine Art eigenes Spendenkonto auf das Unterstützer einen Betrag einzahlen können. Damit werden auch die 450 Euro aufgebracht, die Unterbringung und Verpflegung auf dem Schiff kosten. „Es wäre ja nicht richtig, wenn man die Hilfsorganisation noch etwas kosten würde“, betont die Krankenschwester. Ihr Umfeld habe sich gerne beteiligt, „weil sie da wussten, was mit ihrem Geld gemacht wird“. Sechs Monate bevor das Schiff anlegt, kommt ein Team in das jeweilige Land an der Westküste Afrikas und prüft, welche Fälle tatsächlich chirurgischer Natur sind, sagt Jesske. „Am ersten Screeningtag kamen mindestens 7000 Leute.“ Operiert wurden in den zehn Monaten, die das Schiff bis zur Wartung und Überfahrt zum nächsten Einsatzort benötigt, 2500 Menschen. 82 Patientenbetten und vier Operationssäle mit eigenen Stromaggregaten sind an Bord der „Africa Mercy“. Für die eigene Blutbank spenden vor großen Eingriffen auch Mitarbeiter mit passender Blutgruppe. Auf dem Festland befanden sich, eine halbe Stunde Autofahrt entfernt im extra umgebauten „Hope Center“, weitere 133 Betten. An eine Patientin kann sich Jesske besonders gut erinnern. „Sie hatte eine fußballgroße Wucherung unter dem Kinn“, sagt sie. Denn anders als in Europa wurde eine Unterfunktion der Schilddrüse bei ihr nicht therapiert. „Die Familie stößt die Betroffenen dann aber irgendwann aus Scham aus, so dass meist Missionare oder Betreuer sie zu den Ärzten bringen.“ Das Mädchen konnte in vier Eingriffen geheilt, ihre überschüssige Haut entfernt werden, sagt Jesske und zeigt Fotos, auf denen sie gemeinsam mit den Patienten musiziert. Die Helfer müssen das Boot nicht unbedingt verlassen, es sind Speisesäle, Sport- und Geselligkeitsräume vorhanden. Doch Jesske hat sich mit der Familie einer elfjährigen Patientin angefreundet und mit ihr auch öfter gekocht, wenn ihre Schicht vorbei war. „40 Stunden pro Woche wurde gearbeitet, alles ganz normal.“ Die Armut der Bevölkerung bekam sie bei einem Landgang mit einem Kollegen zu spüren: „Vier als Polizisten verkleidete Einheimische wollten umgerechnet 100 Euro von uns, waren aber unbewaffnet. Ich hatte nur Geld im Gegenwert von zehn Euro dabei, aber das haben sie genommen und sind verschwunden.“ Eigentlich wäre die „Africa Mercy“ nach einer Wartungsphase vor Gran Canaria ins westafrikanische Land Benin weitergefahren, aber der Ausbruch von Ebola im Nachbarland Nigeria zwang die Helfer, die Pläne zu ändern und nun Madagaskar anzusteuern. Weil Jesskes Zeit als Helferin nach dieser verzögerten Fahrt vorüber gewesen wäre, reiste sie vor rund vier Wochen zurück nach Deutschland: „Angst hatte ich keine“, betont sie, „aber wären wir nach Benin gefahren, wären wir womöglich zum Ebola-Schiff geworden.“ Solche Erfahrungen halten die 22-Jährige, die schon als 16-jährige Schwesternschülerin zu Hause ausgezogen ist und im Wohnheim in Landau ein Zimmer bezogen hat, nicht vom Helfen ab: Im November will sie mit einer Freundin erneut nach Afrika reisen– diesmal für drei Wochen nach Uganda.

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