Speyer „Populisten fallen nicht vom Himmel“

Lingenfeld. Als Jens Przygode in der Wahlnacht gegen 23 Uhr ins Bett geht, ist er „fest davon überzeugt, dass Hillary Clinton das Rennen macht“. Als der Lingenfelder am nächsten Morgen gegen 6 Uhr den US-amerikanischen Nachrichtensender CNN einschaltet, ist Donald Trump fast am Ziel, nur noch wenige Wahlmänner fehlen ihm zum Sieg bei den Präsidentschaftswahlen. „Da habe ich erst einmal die Luft angehalten“, sagt Przygode und schüttelt dabei den Kopf. Sein Vater war Bundeswehrsoldat und auf einem Militärstützpunkt im Bundesstaat Georgia stationiert. „Ich war sechs Jahre alt, als wir in die USA gegangen sind“, erzählt der Lingenfelder, der in den Staaten eine amerikanische Schule besucht hat. Fünf Jahre hat er mit seiner Familie auf der anderen Seite des Großen Teichs gelebt, doch der Kontakt zu dem Land ist nach der Rückkehr nach Deutschland nicht abgebrochen. „Ich fliege noch immer mindestens ein Mal pro Jahr hin“, sagt Przygode. Auch deshalb hat er den US-Wahlkampf aufmerksam verfolgt. Als er im Sommer Urlaub in Florida gemacht hat, hat er sich mit vielen Menschen über Clinton und Trump unterhalten. Immer wieder ist dabei vor allem unter Trump-Unterstützern die Sprache auf die Probleme vieler US-Amerikaner gekommen: finanzielle Sorgen, Angst um den Job. Probleme, für die viele die etablierten Parteien verantwortlich machen, sagt Przygode. Eine Begebenheit ist für ihn sinnbildlich für die Gefühlslage vieler US-Bürger: „Wir wollten mit unserer Tochter in den Themenpark Seaworld fahren. Viele, mit denen ich gesprochen habe, haben gesagt, dass sie sich noch nicht einmal den Parkplatz leisten können – der kostet 15 Dollar.“ Doch trotz der Wut vieler US-Amerikaner, die er erlebt hat, hätte Przygode, der für die FDP im Verbandsgemeinderat Lingenfeld sitzt, nicht gedacht, dass Trump die Wahl gewinnen könnte. „Hillary hat ja auch zwei Millionen Stimmen mehr geholt. Mir wäre sie lieber gewesen, aus zwei Gründen“, sagt er. „Sie ist berechenbarer. Und mich hat die Schmutzkampagne sehr gestört, die Unwahrheiten, die vor allem von Trump und seinem Team verbreitet worden sind.“ Beispielsweise, dass die Arbeitslosigkeit während der Amtszeit Obamas gestiegen sei, „dabei ist das Gegenteil der Fall“. Oder, dass die US-amerikanischen Städte unsicherer geworden seien. Oder, dass Obama Moslem sei. Verdrehte Fakten, bei denen Przygode nur den Kopf schütteln kann. Zu der Wahrheit gehöre aber auch: „Trump hat viele Probleme angesprochen, die die Menschen bewegen – wenn auch polemisch.“ Es stimme, dass viele Betriebe aus den USA abwanderten und dadurch Arbeitsplätze verloren gingen. Die Arbeitslosigkeit sei zwar unter Obama gesunken, doch viele Menschen hätten zwei oder gar drei Jobs, um über die Runden zu kommen, und es gebe eine unkontrollierte Zuwanderung aus Lateinamerika – Przygode zeichnet ein sehr differenziertes Bild von der politischen und wirtschaftlichen Lage der USA. „Natürlich bleibt abzuwarten, ob Trump all diese Probleme wird lösen können“, betont er. Schließlich habe der Republikaner politisch keinerlei Erfahrung. Wer sich mit dem Lingenfelder über die amerikanische Politik unterhält, merkt, dass er sich viele Gedanken macht. Seine Worte wählt Przygode mit Bedacht. Zum Beispiel dann, wenn er davor warnt, „Trump nun als Bösewicht zu brandmarken“. Er sagt: „Trump muss seine Chance bekommen.“ Welche Politik er als Präsident schlussendlich verfolge, wisse niemand. „Das ist Kaffeesatzleserei“, sagt der 50-Jährige. Zumal Trump ja schon etliche Aussagen aus seinem Wahlkampf zurückgenommen, seine negativen Äußerungen in Bezug auf die Nato relativiert habe und Clinton nun doch nicht hinter Gitter bringen wolle. „Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird“, betont Przygode. Wichtig dabei sei: „Andere Regierungen müssen die neue US-Regierung einbinden, sie an die Hand nehmen.“ Das Wahlergebnis in den USA spiegele einen Trend wider, der in vielen Ländern zu beobachten sei. Der Lingenfelder sagt: „Es hat einen Grund, warum Populisten in solche Ämter kommen. Die fallen ja nicht von Himmel.“ Dass sich Bürger von den etablierten Parteien nicht mehr vertreten fühlen, dass viele politische Entscheidungen im Geheimen fallen, sieht er als ein großes Problem an. „Dann interessieren weniger Fakten. Bei der US-Wahl hat der Wutbürger gesprochen“, sagt Przygode. Obama habe es in den vergangenen acht Jahren nicht geschafft, die Gräben zwischen Republikanern und Demokraten zuzuschütten und damit das Land wieder zu einen. Przygode betreut als Lehrer an der Integrierten Gesamtschule Kandel seit Jahren den Schüleraustausch mit einer Schule in Florida. Derzeit baut er auch eine Partnerschaft zwischen dem Landkreis Germersheim und dem dortigen Landkreis Pasco County mit auf. Der Bezirk sei republikanisch regiert. Dass die Wahl Auswirkungen auf seine Arbeit haben könnte, davon geht der 50-Jährige nicht aus. Auch wenn viele in dem County bekennende Trump-Wähler seien, „sind sie in keiner Weise populistisch oder radikal“, so Przygode. Im März führt ihn seine nächste Reise in die Staaten.

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