Speyer Karrierestart am 18. Geburtstag

Die Leitz-Ordner mit seinen Zeitungsartikeln von damals hat Wolfgang Büchner aufbewahrt. Für gute Erinnerungen an schlechten Tagen vielleicht. Wenn der 48-Jährige heute zurückschaut, klingt er gelassen. So wie jemand, dem viel Gutes widerfahren ist – seit dem 23. Juli 1984.

Dieser 23. Juli war der 18. Geburtstag des Jungen aus Speyer-Nord. Seine ersten 40 Zeilen erschienen an diesem Tag in der 2002 eingestellten „Speyerer Tagespost“. Zum Sommernachtsfest der Naturschutz- und Vogelfreunde in Hanhofen hatte Peter Schmidt ihn geschickt. Ein Job, den er einigermaßen gut erledigt hat, wie der damalige Redaktionsleiter urteilte. Dass aus dem Neuling einer der Top-Journalisten des vereinigten Deutschland werden sollte, konnte Schmidt nicht ahnen. Dutzende Male schon hat Büchner diese Geschichte vom Sommernachtsfest in Hanhofen inzwischen erzählt. Schließlich will ja jeder wissen, wie jemand angefangen hat, den man in seiner später sehr erfolgreichen Zeit als Chef der Deutschen Presse-Agentur zum „Herr der Nachrichten“ machte. Seinem Ausscheiden als Chefredakteur des größten deutschen Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ Ende 2014 war ein medialer Kulturkampf vorausgegangen. „Bitte keine Zitate“, sagt Büchner auch noch sechs Monate nach dieser intensiven Zeit, die sich für einen, dessen Karriereleiter keine Sprossen, sondern nur Sprünge hatte, furchtbar anfühlen musste. Ein Gezerre war das. Hier Büchner, der sich im sich anbahnenden Zeitalter ultimativer Digitalisierung dem Konzept „Spiegel 3.0“ verschrieben hatte, also der optimalen Verzahnung von Online-Inhalten und Printausgabe. Dort die Printredaktion, die aufbegehrte gegen einen Chefredakteur, der in ihren Augen zu viel Manager anstehender Veränderungen und zu wenig redaktioneller Impulsgeber war. Einige warfen ihm vor, es mangele ihm an der journalistischen Qualität seiner Vorgänger. Eine neue Erfahrung für den Speyerer, denn Scheitern hatte es in seinem Berufsleben bis dahin – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung – nicht gegeben. Sein Twitter-Profil hat er nach seiner „Spiegel“-Zeit geändert. „Hinfallen. Macht nichts. Aufstehen. Besser hinfallen“, heißt es dort seither in englischer Sprache. Büchner, das wird während des 35-minütigen Gesprächs rasch klar, ist anders als die meisten Zeitungsredakteure, denen es oft um die Bewahrung eines Status quo geht. Der Journalist habe sich von seinem Job entfernt, findet er. Büchner ist mutiger, bricht sein Studium in Hamburg ab, geht voran, lotet aus, erspürt neue Wege. Heute durchforstet er täglich den internationalen Medienmarkt. Er schaut, wie man es in England und Amerika macht mit der Vereinigung von Print- und Online-Journalismus. Er ist neugierig. Er ist Kulturoptimist. Er ist weniger Autor als Manager. Ein Begleiter in der Speyerer Zeit am Hans-Purrmann-Gymnasium erinnert sich an den 18-jährigen Abiturienten Wolfgang Büchner, dessen Vater zunächst als Bäckermeister und später bei der LVA arbeitete. Büchner sei damals schon sehr zielstrebig gewesen. Ein überragender Schüler? Das nicht. Aber einer, der wusste, was er wollte. Ein Eishockey-Fan. Früh bezog er eine eigene Bleibe in der Johannesstraße, in der Nähe der der Ökumenischen Sozialstation, wo er seinen Zivildienst leistete. Büchner selbst erinnert sich an Abende im Café „Durchbruch“ und im „Easy“, dem heutigen „Philipp Eins“. Gearbeitet hat er in seiner journalistischen Anfangszeit auch für die katholische Bistumszeitung „Der Pilger“. Der damalige Chefredakteur Klaus Haarlammert war es, dessen Tipp Büchner befolgte, als er ans Institut zur Förderung des publizistischen Nachwuchses in München ging. Mit Stipendium. Die richtige Wahl. Büchner empfindet das heute als Glücksfall. Ohnehin habe er anfangs öfter Glück gehabt. So zum Beispiel als die Mauer aufging und er für die „Hannoversche Allgemeine“ über Leute berichtete, die in Zügen in die Bundesrepublik kamen. Züge voller Geschichten über Menschen aus dem Osten. Mit einer Story über eine Frau, die hochschwanger durch die Neiße in den Westen gelangt war, machte Büchner auf sich aufmerksam. Das war 1990. Wendezeit. Speyer feierte gerade seine 2000-Jahr-Feier. Als Jugendlicher habe er einfach aus der Domstadt weg gewollt. Heute, nach Jahren des Erfolgs bei der „Neuen Presse“ in Halle, bei der „Bildzeitung“ in Magdeburg, bei „Reuters“ in Bonn, bei „Financial Times Deutschland“, bei Spiegel-Online als Chefredakteur, bei der Deutschen Presse-Agentur und letztlich beim „Spiegel“ in Hamburg, sieht er Speyer wieder als erlebenswerte Heimat. Hin und wieder trifft man ihn in der „Wunderbar“ oder „Zwischen den Engeln“. Zwei von Büchners Kindern aus erster Ehe leben sieben- und elfjährig in Speyer. Ein drittes Kind hat Büchner in seiner neuen Beziehung, die mit ihm vor neuen Herausforderungen steht. In der kommenden Woche, am 1. Juli, startet er in Zürich beim Schweizer Medienhaus Ringier als Geschäftsführer des großen Boulevardblattes „Blick“. Als „europäischer Top-Journalist“ wurde er dort Anfang Mai begrüßt. Er soll die digitale Transformation von Medienmarken vorantreiben. Der alte Leitz-Ordner aus Tagespost-Zeiten wird ihn dann daran erinnern, wie es früher mal war.

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