Stolpersteine Eine Familie trauert um die Opfer der „Hitlerbande“

Vor den Türmen der Josephskirche: Flora und Ruth Heymann mit einer Freundin, um das Jahr 1930.
Vor den Türmen der Josephskirche: Flora und Ruth Heymann mit einer Freundin, um das Jahr 1930.

Am Donnerstag werden in Speyerer Straßen zum sechsten Mal Stolpersteine als Mahnmale für NS-Opfer verlegt. Die RHEINPFALZ stellt in dieser Serie deren Biographien vor. Recherchiert und verfasst wurden sie von der Stolperstein-Initiative Speyer. Heute: Familie Heymann.

Gustav Heymann, geboren 1848 in Dortmund, war Textilkaufmann und Vertreter. Er wohnt zunächst in der Kleinen Pfaffengasse, dann in der Webergasse. Nach dem Tod seiner ersten Ehefrau Amalia Philipp vermählt er sich 1886 mit der Speyererin Eugenie Sara Altschul (geboren 1852). Das Paar hat vier Kinder: Neben den Söhnen Theodor (geboren 1887) und Edmund (geboren 1889) bekommen sie, nach dem Verlust eines Kindes im Säuglingsalter, Tochter Adele (geboren 1894). Gustav Heymann zieht 1894 mit Sohn Edmund nach Hamburg, zwei Jahre später lässt das Ehepaar Heymann sich scheiden, kurz danach stirbt Gustav. Edmund wandert 1904 in die USA aus. Adele lebt seit 1912 in St. Ingbert im Saarland.

Mutter Eugenie Heymann ist 1897 als Eigentümerin des Hauses Nummer 36a in der neuen Kämmererstraße nachgewiesen. Sie stirbt im September 1915 nach kurzer Krankheit im Alter von 62 Jahren im Vincentius-Krankenhaus und wird auf dem jüdischen Friedhof in Speyer bestattet.

Bedrohungen kurz vor dem Tod

Sohn Theodor Heymann, wie sein Vater Textilkaufmann, wohnt zunächst in der Paulstraße, im Mai 1922 zieht er in das Anwesen Kämmererstraße 32a, das er wenige Monate zuvor erworben hat. Sein dortiges Geschäft firmiert unter „Putz- und Modewarenfabrikation und Taschentücher en gros“. Als Prokuristin ist Lina Heymann (geboren 1891) eingetragen, die seit April 1914 mit Theodor verheiratet ist. Sie haben zwei Töchter: Flora (geboren 1915) und Ruth (geboren 1921). Theodor stirbt im September 1935 in Mannheim und wird in Speyer beerdigt. Er hat die Bedrohungen durch die Nationalsozialisten noch zu spüren bekommen und musste den Boykott jüdischer Geschäfte und die Ausgrenzungen florierender Unternehmen miterleben.

Seine Witwe Lina und Tochter Ruth erreichen am 30. Oktober 1936 mit dem Schiff „SS Manhattan“ New York. Die Weiterfahrt geht nach Chicago, wo die ältere Tochter Flora auf Mutter und Schwester wartet. Sie war schon 1934 in Chicago eingetroffen. Laut Aussage von Linas Enkel, Ron Guinsburg, finden seine Mutter Ruth und Tante Flora dort Arbeit in einem sehr bekannten Feinkostgeschäft. Lina Heymann lebt bis zu ihrem Tod 1974 in Chicago. Ruth stirbt 2011 und hinterlässt einen Sohn und drei Enkel. Ihre Schwester Flora heiratet zweimal und ist 2009 kinderlos verstorben.

Briefe nach Deutschland

Emma Kolbinger aus Speyer arbeitete als Buchhalterin in der Firma Heymann. Sie hatte ein sehr gutes Verhältnis zur Familie. Aus den USA erhielt sie mehrere Briefe. So schildert ihre ehemalige Chefin im Januar 1947: „Wir sind soweit wohlauf, arbeiten täglich acht Stunden und haben unser Auskommen. Wir sind zufrieden. So viel liegt dazwischen! Beide Töchter sind verheiratet. Ruth hat einen Jungen von drei Jahren. Von unserer nächsten Verwandtschaft sind über 30 Männer, Frauen und Kinder von der Hitlerbande umgebracht worden. Wären Sie so freundlich, nach dem Grab meines Mannes in Speyer zu sehen. Ich hörte indirekt vom Bürgermeisteramt, dass der Friedhof nicht beschädigt wurde.“

Sie schickt der früheren Buchhalterin ein Paket, um ihr eine Freude zu bereiten. Die Artikel darin sind aufgelistet: „zwei getragene Kleider, eine getragene Bluse, eine Kanne [= Dose] Kaffee, eine Kanne Fett, eine Kanne Chocoladepulver, eine kleine Milch, drei kleine Fleisch, eine Tafel Schokolade, zwei Päckchen Cigaretten“.

Vor der Kämmererstraße 32a werden am Donnerstag Stolpersteine für Theodor Heymann, seine Frau Lina Heymann geborene Adler sowie ihre Kinder Flora und Ruth verlegt.

Familienfoto: die Heymanns mit ihren beiden Töchtern.
Familienfoto: die Heymanns mit ihren beiden Töchtern.
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