Speyer Die dunklen Ecken der Stadt

Jürgen Preek kann über gefühlte Wahrheiten reden, er kann aber auch Zahlen sprechen lassen. Er ist seit 20 Jahren Verkehrssachbearbeiter der Speyerer Polizeiinspektion und weiß um die Gefahren der dunklen Jahreszeit. An den Autos könnten Beleuchtungsanlagen auf dem neuesten Stand Unfällen vorbeugen, bei Fußgängern und bei Radfahrern sei jetzt helle, reflektierende Kleidung dringend angeraten. „Gerade viele ältere Leute sind im Dunkeln nicht gerne unterwegs“, weiß Preek. Er kennt zwar trotz detaillierter Auswertungen keine besonderen Problemstellen in Speyer und Umland, sieht aber bei einer Analyse seiner Statistik: „Die Unfallanzahl ist in dieser Zeit leicht erhöht, das muss aber nicht nur auf die Dunkelheit zurückzuführen sein.“ Preek hat für die RHEINPFALZ die Unfälle zwischen 18 und 21 Uhr von Mai und Juni, wenn es noch hell ist, sowie von den Beleuchtungs-Monaten November und Dezember verglichen. Ergebnis: von 2009 bis 2013 hat es jeweils in der zweiten Periode häufiger gekracht. 300 Unfälle waren es in Speyer, Otterstadt und den Dörfern der Verbandsgemeinde Römerberg-Dudenhofen in den fünf Jahren insgesamt im Mai und Juni, 339 im November und Dezember. Zwischen zwei und 17 betrug jährlich die Differenz. Ein Erklärungsansatz dafür – aber laut Preek nicht der einzige – ist die steigende Gefahr von Wildunfällen. 7,8 Unfälle dieser Art waren es im Fünf-Jahres-Schnitt monatlich von Juli bis September, 11,2 im Oktober, 13 im November. Wenn es dunkel wird in Speyer, muss das Licht angehen. Ganz konkret die Straßenbeleuchtung. Sogenannte Dämmerungsschalter sorgen für den rechten Zeitpunkt. „Die Betriebsstunden stehen in Wechselwirkung zur Sonnenscheindauer.“ So erklären das die Stadtwerke. Sie haben für die RHEINPFALZ die Werte der letzten Monate verglichen. Im Juni wurde die geringste Anzahl an Betriebsstunden vermerkt, im Dezember die höchste, mehr als doppelt so viel. Die Werte: September (2013) 332 Stunden, Oktober 400, November 437, Dezember 475, Januar (2014) 462, Februar 377, März 359, April 294, Mai 253, Juni 215, Juli 246, August 285, September 329. Nun hat sich die Stadt Speyer ehrgeizige Umweltschutz-Ziele verordnet, und ihre Stadtwerke, die für sie die Straßenbeleuchtung betreiben, sollen beim Energiesparen mit gutem Beispiel vorangehen. Der Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid über die Straßenbeleuchtung lag im Dezember mit 291.554 Kilowatt um 60 Prozent über dem Wert vom Juni. Weil der natürliche Hell-Dunkel-Rhythmus nicht zu verändern ist, setzen die Stadtwerke also auf eine Sanierung der Beleuchtung. Nach und nach werden energiesparende Leuchten, zum Großteil LEDs, eingesetzt. Seit 2008 sei so der Verbrauch elektrischer Energie um 20 Prozent verringert worden, was im Jahr 330 Tonnen Kohlendioxid einspare. „Auch 2015 werden wir weiter daran arbeiten“, so die Werke. Und noch etwas hat sich im Monat November geändert. „Meine Hauptsaison hat begonnen. Sie dauert bis Januar“, sagt Otmar Geiger. Der Heimathistoriker stellt in Stadtführungen den „Nachtrath“ von Speyer dar und braucht für seine stimmungsvollen Rundgänge gerade die Dunkelheit. Ihn „Nachtwächter“ zu nennen, wäre zu kurz gegriffen, betont er. Von Stadt zu Stadt seien die Aufgaben dieser Funktionsträger anders zugeteilt gewesen, in der Freien Reichsstadt Speyer, einst eine der wichtigsten im Reich, habe er nachts vor allem Schutz- und Polizeifunktionen gehabt. Für die Straßenbeleuchtung, die erst nach dem Stadtbrand von 1689 aufgebaut wurde, sei er nicht zuständig gewesen: Es habe eigene Lampenanzünder gegeben. Auch wenn Geiger den oft zitierten Ausdruck vom „dunklen Mittelalter“ nicht mag, gibt er zu, dass es in den Jahrhunderten nicht so einfach gewesen sei, sich nach Einbruch der Dunkelheit in den Gassen der Stadt zu bewegen. Wenn die Domglocken 18 Uhr, im Sommer 19 Uhr, geschlagen hatten, wurden die Stadttore geschlossen, Frauen und Kinder waren dann draußen nicht mehr erwünscht. Die Männer durften bis zur Sperrstunde um 22 Uhr unterwegs sein, mussten aber eine Laterne mitführen oder – wenn sie es sich leisten konnten – einen „Lichtjungen“ mieten. Der Nachtrath leuchtete allenfalls Ratsherren nach Hause. „Seine wichtigste Aufgabe in der dunklen Jahreszeit war eigentlich der Brandschutz“, berichtet Geiger von der großen Gefahr der Zeit: Kerzen konnten sich die Wenigsten leisten, in Harz getauchte Holzspäne sorgten in vielen Häusern für Helligkeit. Die konnten tropfen – auf Holz- und Strohböden wohlgemerkt.

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