Speyer Das Wohnzimmer der Dartsfreunde

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Abseits der Touristenströme wurde das Gebiet im Erlich erst nach dem Zweiten Weltkrieg flächendeckend bebaut, um die Wohnungsnot abzumildern. Dementsprechend ist das Stadtbild längs der Kurt-Schumacher-Straße weniger pittoresk als im übrigen Teil der Stadt. Weil das Gebiet durch die Bahnlinie von der Stadt getrennt, nur über Brücken erreichbar ist, hat es auch einen eigenen Charme und seine eigene Nahversorgung mit Supermärkten, Apotheken und Kneipen. So zum Beispiel das Valentino an der Kurt-Schumacher-Straße.

Im selben Gebäude wie ein italienisches Restaurant beherbergt das Bistro die nordwestlichen Dartsmannschaften. Neben dem „Zorniggel“ am Eselsdamm hat das Valentino die zweitgrößte Kolonie der Pfeilwurffreunde zu Gast. Von den fünf Teams spielt das höchstplatzierte in der A-Liga. Dementsprechend sind auch die Öffnungszeiten dem Spielplan angepasst und TV-Fußball hat keine Chance. Samstagsmittags und Montagabends geht es um „Triple-20“, „Bull`s Eye“ und wer zuerst von 501 Punkten genau die Null erworfen hat. Seit 2000 betreibt Christine Reppel den kleinen Laden mit typischer Eckkneipenatmosphäre. Davor hatte sie bereits kurzzeitig Ende der 1990er Jahre das Valentino neben ihrer damaligen Hauptgaststätte „Zum Erlich“. Als selbstständige Gastronomin gehört sie allerdings schon zu den Dienstälteren in Speyer. Seit 1994 ist sie gute Seele und Mutter der Kompanie in einem und hinter verschiedenen Tresen im Einsatz. Seit 2006 jedoch hinter dem eigenen, denn seit diesem Jahr hat sie die Gaststätte ersteigert und wieder mit Leben gefüllt. 2012 gingen auch die Spielautomaten in ihren Besitz über. Das Handwerkszeug einer Kneipenwirtin hat sie sich selbst beigebracht. Die steigenden bürokratischen und formalen Anforderungen deckt sie allerdings durch regelmäßige Lehrgänge ab, die der Gaststättenverband zum Thema Jugendschutz und Suchtprävention anbietet. Gerade die Automaten geraten dabei immer wieder in den Fokus der Öffentlichkeit. Bei Darts spielt das nur eine untergeordnete Rolle, denn zum Glück ist das ein Geschicklichkeitsspiel, wie 1908 von einem Gericht in Leeds festgestellt wurde. Damals hatte Wiliam „Bigfoot“ Anakin dem Richter seine Treffsicherheit demonstriert und somit nachgewiesen, dass Glück nichts damit zu tun hat, wo der Pfeil landet. Seine Nachkömmlinge treffen heute meist Samstagsmittags oder Montagsabends zu Ligaspielen zusammen. Deshalb darf im Valentino auch nach Herzenslust geraucht werden und zu zwei Dritteln geht „Zielwasser“ über die Theke. Für ihre Stammkunden ist Reppel fast so etwas wie die Ersatzmutti. Mit ihrer kernigen Art hat sie den Laden im Griff und die Sportkameraden spuren. Da drückt ihr schon mal ein Stammgast einen dicken Schmatzer auf die Wange zum Abschied. Die raue Schale hat sie auch nötig, denn überall in der Kneipe finden sich Verweise auf ihre Lieblingsfußballmannschaft. Wer den Rekordmeister der Bundesliga unterstützt, hat es nicht immer leicht im FCK-Land, aber Reppel quittiert das nur mit einem souveränen Blick, der Clint Eastwood zur Ehre gereichen würde. Die Serie Jeder kennt sie, die Speyerer Kultkneipen. Doch was macht sie zum Kult? Dieser Frage geht die RHEINPFALZ in „Wirtschaftskunde“ nach. Die Auswahl ist nicht repräsentativ, die Bewertung subjektiv.

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