Speyer Virtuelle Reise als kurze Flucht aus der Demenz

Besonderes Erlebnis: Die Senioren sind begeistert von der virtuellen Reise.
Besonderes Erlebnis: Die Senioren sind begeistert von der virtuellen Reise.

«RÖMERBERG.» Nur einige Zentimeter vor sich sieht Erika F. einen kleinen Baby-Elefanten. „Er steht direkt vor mir“, sagt sie und versucht nach dem jungen Tier zu greifen, doch da ist nichts als Leere. Die 87-Jährige wohnt im evangelischen Seniorenzentrum Amalie-Sieveking-Haus in Berghausen. Sie ist eine von fünf Bewohnern, die zum ersten Mal eine VR-Brille – die Abkürzung steht für „Virtuelle Realitäten“ – aufsetzen und durch diese virtuell nach Afrika reisen. Während die Seniorin die VR-Brille benutzt, ist von ihrer Demenz nichts zu merken. Die frühere Grundschullehrerin, die in ihrem Leben viel gereist ist, genießt den Moment und ist komplett eingetaucht in das virtuelle Afrika. Mit entspanntem Gesicht und geschlossenem Mund genießt auch Georg G. die Minuten in Afrika. „Er ist gerade vollkommen entspannt, das kommt sehr selten vor“, erklärt Pflegedienstleiterin Gabriele Fritsch. Kleine, kurze Bewegungen oder mal ein „Ja“ zeigen die Freude an dem, was der 60-Jährige gerade mit der VR-Brille erlebt. Georg G. ist seit seiner Geburt geistig und körperlich behindert und seit 2000 in dem Seniorenzentrum. Zwischen ihm und Gabriele Fritsch besteht eine große Vertrauensbasis und so kann sie auch erkennen, dass er dieses Erlebnis gänzlich genießt. „Alles, was für meine Bewohner positiv ist, unterstütze ich“, sagt Fritsch, die bereits seit zehn Jahren Pflegedienstleiterin ist. Das evangelische Seniorenzentrum will den Bewohnern möglichst viel Abwechslung bieten. So kommt einmal im Monat eine Mitarbeiterin als Clown verkleidet, Ausflüge werden organisiert und die Räume individuell gestaltet. Georg G.’s Zimmer ist vom Fußballverein Bayern München und seiner Lieblingssängerin Andrea Berg geprägt. Die Bewohner sollen sich wohlfühlen. Fritsch erklärt: „Wir sind nur die Gäste, sie wohnen hier.“ Einige Studien beschäftigen sich damit, VR-Technik zu nutzen, um Demenz vorzubeugen oder zu verlangsamen. Ein wissenschaftlicher Beleg steht noch aus, doch zumindest in Römerberg wird die VR-Brille positiv aufgenommen. „So ist’s brav“, sagt Gertrud B. mit ruhiger Stimme zu dem kleinen Tier, das sie dank der High-Tech-Brille vor sich sieht. Sie ist ganz aufgeregt, und auf die Frage, ob sie sich wie in Afrika fühlt, kommt prompt die Aussage: „Ja, aber dick unterstrichen!“ Die 94-Jährige setzt die VR-Brille wieder ab und bedankt sich. Fröhlich erzählt sie von dem Erlebnis und ihren Eindrücken: „Das muss man gesehen haben, wunderschön!“ Die Bewohnerin hat den Pflegegrad drei und ist dement. Schon am Abend wird sie sich wahrscheinlich nicht mehr an ihren Ausflug erinnern. „Selbst, wenn sie es gleich wieder vergessen, es ist ein Stück Lebensqualität und für den Augenblick war es perfekt“, sagt Rebecca Sowodniok. Die Alltagsbegleiterin kennt die Bewohner gut und weiß, dass es nicht darauf ankommt, ob durch die neue Technik wirklich Krankheiten verlangsamt werden. Zunächst zählt das Wohlbefinden der Bewohner und dass durch solche Momente Lebensqualität geschaffen wird. Die Begeisterung der Bewohner macht die Runde und schnell wollen noch mehr nach Afrika reisen. Auch Alois S. zieht sich die VR-Brille voller Neugier auf das Gesicht. Als ein Löwe auf ihn zuläuft, erschrickt der 88-Jährige und hebt die Arme schützend vor sich. „Wo kommen die alle her?“, fragt sich der Bewohner. Es sei, „als wäre man direkt dabei“. Die VR-Technologie könne Training für Gedächtnis, Orientierung und Körpergefühl sein, sagt Professor Jens Schröter. Der Medienwissenschaftler kann allerdings nicht sagen, ob diese Technik Krankheiten tatsächlich verlangsamen oder sogar heilen kann. Er ist davon überzeugt, dass man durch VR-Brillen „Einsamkeit im Alter abbauen kann“ und dass es wichtig ist, die ältere Generation am Medienwandel teilhaben zu lassen. Die Bewohner erzählen ihren Pflegern, Besuchern und den anderen Bewohnern von ihrer Reise nach Afrika. „Unfassbar“, „wunderschön“ und „muss man gesehen haben“, hallt es durch die Eingangshalle des Seniorenzentrums. Dankbar und mit dem gemeinsamen Ausruf „Afrika!“ zeigen sie, dass ihnen die virtuelle Reise Freude bereitet hat. Die Autorin Thea Konrad wohnt in Speyer und studiert an der SRH Hochschule Heidelberg Medien- und Kommunikationsmanagement. Die Reportage aus dem Römerberger Seniorenzentrum hat die 19-Jährige als Prüfungsleistung verfasst. Sie hat zu diesem Zweck mit einer VR-Brille das Seniorenzentrum besucht und einigen Bewohnern einen VR-Film gezeigt.

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