Speyer Ein musikalischer Exorzismus

Ein Abenteuer für die Ohren und ein Vergnügen selbst für Zuhörer, bei denen zeitgenössische Moderne nicht oben auf der Wunschliste steht, ist das Abschlusskonzert der Reihe „Kontrapunkte“ gewesen: Das Sonar Quartett hat am Sonntagabend im Historischen Ratssaal in Speyer zeitgenössische amerikanische Musik dargeboten.

Das Adagio aus Samuel Barbers Streichquartett op. 11, eines der populärsten Stücke der Moderne, in seiner Orchesterfassung einst von der Hörern der BBC zum „traurigsten klassischen Stück“ gewählt und entsprechend eingesetzt – sei es bei Beerdigungen wie der von J.F.Kennedy oder als Filmmusik („Platoon“) – trennte als Mittelstück des Programms Steve Reichs „Different Trains“ und George Crumbs „Black Angels“. Steve Reich aus New York gehört zu den Pionieren der Minimal Music. „Different Trains“ entstand 1988 und wurde im gleichen Jahr vom Kronos Quartett uraufgeführt. Es hat drei ineinander übergehende Sätze: „America Before The War“, „Europe During The War“ und „After The War“. Gemeint ist der Zweite Weltkrieg. Reich, geboren 1936, fuhr während der Kriegszeit als Kind mit dem Zug zwischen New York und Los Angeles hin und her. Später dachte er, wie anders die Zugfahrten als Jude in Europa gewesen wären. Das Stück hat einen technisch vorgefertigten klanglichen Hintergrund aus Geräuschen eines fahrenden Zuges und kurzen Sprachaufnahmen, die ihre eigene Rhythmik haben, zuerst Ansagen der Schaffner, dann Äußerungen von Holocaust-Überlebenden. Im dritten Teil hört man „War Is Over“. Dazu kommen Teile eines elektronisch verstärkten Streichquartetts, und dazu spielt das Sonar Quartett live. Alles zusammen entfaltet eine hypnotische Wirkung. Ein steter rhythmischer Strom verändert sich minimal in den Details. Das Ganze hat in seiner Konstruktion Ähnlichkeit mit einem sehr langen Schlagzeugsolo, bei dem der Grundrhythmus beibehalten wird. „Black Angels. Thirteen Images From The Dark Land“ von George Crumb entstand 1970 unter dem Eindruck des Vietnamkriegs. David Bowie hat es in einem Artikel zu seinen wichtigsten Inspirationsquellen gezählt und geschrieben: „At Times, it sounds like the devil’s own work.“ Und tatsächlich: Es klingt wie Musik zu einem Horrorfilm, der mit religiösen Inhalten spielt; wie ein Echo hört man Zitate alter Kirchenmusik, und der Klang eines sich nähernden und entfernenden Fliegenschwarms am Anfang und Ende erinnert daran, dass „Beelzebub“ übersetzt „Herr der Fliegen“ heißt. Neben den Streich- spielen die Musiker auch Perkussionsinstrumente; zu Gong und auf Brettern befestigten Trinkgläsern kommen Schnalzen, Sprechen und Flüstern. Es wirkt bösartig, ganz ohne Technik-Spielereien, und den Horrorfilm dazu gibt es tatsächlich: „Der Exorzist“ hat die Klänge als Filmmusik.

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