Pirmasens Winzler Viertel: Das „Reiwerverdel“ mit bewegter Vergangenheit

Gästeführer Wolfgang Brendel (rechts mit Hut) informiert über das Winzler Viertel, hier an der Einmündung Richard-Dippold-Straße
Gästeführer Wolfgang Brendel (rechts mit Hut) informiert über das Winzler Viertel, hier an der Einmündung Richard-Dippold-Straße. Im Hintergrund liegt der Walter-Slodki-Platz.

Mit der geplanten prunkvollen Erweiterung wurde es nichts, stattdessen wurde das Winzler Viertel das Räuberviertel genannt. Der Stadtteil hat trotzdem eine bewegte Geschichte hinter sich, die Thema einer Stadtführung war.

Nachdem im vergangenen Jahr der südliche Teil des Winzler Viertels erkundet wurde, ging die Stadtführung am vergangenen Samstag durch den nördlichen Teil. Los ging es wieder am Walter-Slodki-Platz am Winzler Tor, wo aber nie ein Tor in der Stadtmauer war. Der Platz wurde vor wenigen Jahren nach dem Sohn des letzten Kantors der jüdischen Gemeinde in Pirmasens umbenannt. Bis 1939 gab es ein lebhaftes jüdisches Leben in Pirmasens, erklärte Gästeführer Wolfgang Brendel. Walter Slodki, geboren im April 1914, schloss die Oberrealschule, das heutige Leibniz-Gymnasium, als bester Abiturient ab. Vor den Nazis flüchtete er in die USA. Nach dem Krieg fungierte er als Türöffner in Amerika für Pirmasenser Firmen. Neben dem Preis für den besten Schüler des Leibniz-Gymnasiums stiftete er auch Geld für die Begrünung der Stadt. Er starb 2013.

Im 19. Jahrhundert war durch den Bahnanschluss und das Aufblühen der Schuhindustrie die Einwohnerzahl der Stadt von ursprünglich 11.000 Einwohnern im Jahre 1875 bis 1890 auf das doppelte gestiegen. Die wohnten aber immer noch im Oval aus der Landgrafenzeit, obwohl die Stadtmauer bereits 1820 verschwunden war. Deshalb beauftragte die Stadt 1890 Theodor Fischer von der Technischen Universität München, um ein Konzept für die Erweiterung der Stadt für 40.000 Einwohner zu erarbeiten. Der Plan sah eine Verlängerung der Straßen aus dem Oval heraus vor. An den Schnittpunkten sollten Schulen oder Fabriken stehen und überall sollten Mischgebiete entstehen. Das Winzler Viertel sollte der prunkvollste Teil der Erweiterung werden. Alleen sollten gebaut werden, was aber nicht so umgesetzt wurde. 1890 wurde die Mauerstraße, die an der früheren Mauer entlang führte, aufgeteilt und neue Straßen drangebaut.

Kein Licht, kein Wasser, kein Weg, kein Steg

Das Winzler Viertel sei zunächst als „Insel“ entstanden; „kein Licht, kein Wasser, kein Weg, kein Steg“, erzählte Brendel. Der Volksmund nannte es „Reiwerverdel“ – das Räuberviertel. Mit Leiterwagen mussten die Bewohner das Wasser aus einem Brunnen im Gersbacher Weg (heute: Richard-Dippold-Straße) holen. Die erste Ansiedlung bestand aus nur vier Familien. 1899 wurde eine Baugenossenschaft gegründet, ein Jahr später Gas und Wasser verlegt.

Es entstand das Wittelsbacher, das bayerische Viertel. Rupprecht-, Maximilian-, Arnulfstraße wurden nach bayerischen Prinzen benannt. Die Maria-Theresien-Straße hat nichts mit der Kaiserin von Österreich zu tun, betonte der Gästeführer. Sie ist nach der Mutter des bayerischen Prinzen Rupprecht benannt, die Karl-Theodor-Straße nach dem pfälzischen Kurfürsten. Otto Pasquay und Friedrich von Gerichten förderten im Bauamt und in der Baugenossenschaft das neue Viertel, in dem auch nach ihnen Straßen benannt wurden.

Ordnungsamt statt Landschaftsschule

1910 wurde die Wittelsbachschule als Prachtbau mit hoher Außenmauer und platzenden Granaten am hinteren Ausgang erbaut. Die Mauer grenzte die Lehranstalt von der Umgebung ab und hinderte die Schüler am vorzeitigen Verlassen. Um den Bau von Wittelsbachschule, Lyzeum und Straßenbahn zu finanzieren, hatte die Stadt einen Kredit von einer Million Goldmark aufgenommen – eine enorme Summe, lag doch der Stundenlohn in der Schuhbranche damals bei zehn Pfennig. 1917 diente es als Lazarett.

In den 1980er Jahren wurde die Adam-Müller-Straße verlängert. Ihr Namensgeber hat sich sehr für den Bau einer Landwirtschaftsschule eingesetzt, die aber erst nach 1924 gebaut wurde. Heute befindet sich das Ordnungsamt darin. 1922, in der Inflationszeit, baute Eduard Rheinberger in der nach ihm benannten Straße zwei Häuser mit 28 Wohnungen. Weiter ging die Tour zur evangelischen Pauluskirche. Sie war als Gegenentwurf zur katholischen Kirche St. Anton geplant. Aber das Geld fehlte. Die Diakonie baute ein „Heim für gefährdete Mädchen“, also diejenigen, die ohne Familie aus Pommern und Schlesien nach Pirmasens gekommen waren. Aus der damaligen Turnhalle wurde später die heutige evangelische Pauluskirche, ein schlichter Saal. Mit der Währungsreform entstand ab 1949 das Viertel am Weishof. Die Bauhilfe baute und verkaufte die Häuser dann an die Eigentümer.

Waisenhaus, Altenheim, Hospiz

Das protestantische Waisenhaus, heute das Diakoniezentrum, in der Waisenhausstraße wurde 1904 eingeweiht. Der Gerbereibesitzer Louis Leinenweber stiftete das Gelände, nachdem das erste Waisenhaus in der Landauer Straße abgebrannt war. 1924 wurde ein Altersheim gebaut, in den 2000er Jahren das Hospiz „Haus Magdalena“, das 2019 erweitert wurde.

„PS: Patio“ an der Winzler Straße ist das gemeinschaftliche Projekt von Diakonie, Bauhilfe und Stadt. Alt und Jung sollten generationsübergreifend wohnen und sich gegenseitig im Alltag unterstützen, so die Idee. Tatsächlich wohnen aber eher Senioren darin, weniger Junge, sagte Brendel.

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