Pirmasens Traurig und dramatisch

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Große Literatur aus Frauenhand stand zum Internationalen Frauentag bei der Stadtbücherei auf dem Programm. Büchereileiterin Ulrike Weil lud am Donnerstag zu einer szenischen Lesung mit Marjam Azemoun in den Carolinensaal ein, die Auszüge aus Werken von Literaturnobelpreisträgerinnen präsentierte.

Bestimmt 60 Frauen, aber auch eine Hand voll Männer, waren in den Carolinensaal gekommen, um, wie es die städtische Gleichstellungsbeauftragte Angelika Fallböhmer treffend nannte, „eine bereichernde Zeit“ mit ausgezeichneter Literatur zu erleben. Seit 1901 wird der Nobelpreis für Literatur vergeben. Nur 14 Frauen wurden mit ihm ausgezeichnet. Durch die zeitlichen Lücken entsteht eine beeindruckende Zeitreise durch die sich wandelnde Gesellschaft, Politik und das sich verändernde Frauenbild. Präsentiert wurden Grazia Deledda, Pearl S. Buch, Nelly Sachs, Toni Morrison, Elfriede Jelinek, Herta Müller und Svetlana Alexijewitsch. Marjam Azemoun ließ es sich nicht nehmen, mit der Autorin einzusteigen, die 1909 als erste Frau den Nobelpreis für Literatur erhielt: Selma Lagerlöf (1858-1940). Über sie erzählte Azemoun Spannendes. Denn sie kannte Nelly Sachs (1891-1970), die 57 Jahre nach ihr den Nobelpreis für Literatur erhalten sollte. Mit Lagerlöfs Hilfe gelang es Nelly Sachs, von Deutschland nach Schweden zu immigrieren und der Bedrohung durch die Nazis zu entkommen. „Wer im Dunkeln sitzt, zündet sich einen Traum an“, ist ein berühmtes und berührendes Zitat der Autorin, die nach dem Krieg zur Stimme Israels wird, weil sie schonungslos das Leid benennt. Sie veröffentlicht Prosa und Gedichte. Das Schreiben sei für die Jüdin „Atemhilfe“ gewesen, trägt Azemoun vor, ein Rettungsanker für die Seele. Doch „sie entrann dem Holocaust, aber sie entkam ihm nicht“. Zeitlebens leidet sie an Verfolgungsängsten, bis sie 1970 in Stockholm stirbt. So traurig und dramatisch die Biografien der Frauen auch sind, Azemoun präsentiert sie unbeschwert, mitreißend und ausdrucksstark. Hätten die USA eine Nationalschriftstellerin, wäre es Toni Morrison. So führt sie die Schwarzamerikanerin ein, die 1993 den Nobelpreis für Literatur bekam. In Morrisons Romanen, die alle im Rowohlt Verlag erschienen sind, stehe eine von Rassekonflikten geprägte Welt im Mittelpunkt. Marjam Azemoun inszenierte im Carolinensaal ein „Nobel Times Interview“, um die Autorin näherzubringen, bei der Authentizität und Glaubwürdigkeit im Mittelpunkt stehe und nicht Glamour. Die zierliche Schauspielerin schlüpfte abwechselnd in die Rolle des Journalisten und der Schriftstellerin und fesselte das Publikum, das die Präsentation genoss. Auf amüsante Weise erzählte sie, dass Morrison sich katalogisiert fühle, wenn sie als schwarze Autorin benannt werde, aber dass sie sich als Ehrenweiße fühle, wenn ihre Hautfarbe nicht thematisiert werde. Viel Raum gab Azemoun auch Herta Müller, von der sie aus „Vater telefoniert mit den Fliegen“ vorlas, und über deren Roman „Mein Vaterland war ein Apfelkern“ sie sprach. Müller erhielt 2009 den Nobelpreis für Literatur wegen „der Verdichtung der Poesie und dem Freimut der Prosa, mit der sie die Landschaft der Vertriebenen zeichne“. Die Sprache Müllers sei unverkennbar, voller Poesie. Die Schönheit stehe bei der Autorin im Mittelpunkt, als Raum, den man nicht kontrollieren kann, illustrierte Azemoun – als Gegenpol zur Ideologie. Berühmt sind die Kollagengedichte Müllers, für die sie Worte ausschneidet, die sie aus einem Text heraus anschauen. Daraus entstehen unbeschwerte, manchmal wirre, aber immer faszinierende Wortspiele, die entfernt an Dada erinnern. Man könnte stundenlang weiter zuhören und nicht nur Literatur entdecken, sondern auch Frauenleben. „Dieses Mal war es trauriger als das letzte Mal“, fand Marjam Azemoun, die schon im Vorjahr in Pirmasens Literatur-Nobelpreisträgerinnen vorgestellt hatte. Dem Publikum hat es hervorragend gefallen. Der begeisterte Applaus bezeugte es. Denn die vielleicht schwere Kost wurde mit Leichtigkeit und Herz gereicht.

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