Pirmasens Ball-Klone nehmen Publikum mit

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Dada kommt an. In Pirmasens und beim Publikum. Mit der Weltpremiere „Zuzüglich Zürich“ feierte die Stadtbücherei Pirmasens am Samstagabend den „Tag des Buches“ im völlig ausverkauften Carolinensaal. Kerstin Bachtler, Bodo Redner und Claudia Albrecht chauffierten ihr Publikum im „Texttaxi goes Dada“ mit Tempo, Drive und Spaß – ganz wie sie es versprochen haben. Ja, es war eine vergnügliche Fahrt, auch wenn nicht alles auf die Art Dada war, wie Kenner es sich vorstellen.

Kerstin Bachtler, Bodo Redner und Claudia Albrecht haben sich einer schwierigen Herausforderung gestellt. Ein Dada-Festprogramm für Pirmasens auf die Beine zu stellen, der Stadt, in der alle die avantgardistische Kunstrichtung schon mit der Muttermilch aufgesogen haben. Jedenfalls sind die drei davon ausgegangen. Sie betraten als Hugo Ball im Kostüm des magischen Bischofs die Bühne – als Klone des berühmten Pirmasenser Künstlers – und veralberten in choraler Sprache deutsche Verordnungen und Vorschriften. Dann ließen sie die türkisfarbenen Stoffhüllen und die übergroßen weißen Pappkartonkragen fallen und präsentierten Dadaisten und solche, die es ihrer Meinung nach waren, nur selbst nicht wussten. Hermann Hesse, Christian Morgenstern und sogar Goethe, der schließlich nichts dazu könne, wofür er letztendlich berühmt geworden sei, so Bachtler. Hugo Ball stand dabei nicht im Mittelpunkt. Von ihm wurde unter anderem das Gedicht „Die Wolken“ vorgetragen. Protagonisten waren eher der Pfälzer Werner Laubscher, vielleicht weil sein Werk klanglich anmutet wie eine Fremdsprache und nach und nach im pfälzischen Dialekt mündet, und der Kabarettist Friedhelm Kändler, der seine Stilrichtung in Anlehnung an Dada als „Wowo“ bezeichnet. Das Trio hatte eine enorme Textauswahl zu Dada gefunden. Die Textauswahl war so groß, dass es schwierig war, einen roten Faden zu erkennen. Der wurde durch die Kommentare und Moderation von Kerstin Bachtler eingeflochten. Das schönste Kostüm hatte Bodo Redner. Er trug einen selbst gestrickten Pullover mit vier Ärmeln. In zweien steckten seine Arme, einer sah aus wie ein Elefantenrüssel, der andere auf dem Rücken wie ein Schwanz. Auf dem Kopf trug er einen Hut, der aussah wie ein Schafskopf. Dabei hatte er das Kuschelbett seiner verstorbenen Katze zu einem Hut geschnürt. Die beiden Damen trugen einfach farbgeladene Kleidung, passend zu ihrer kunterbunten Show. Sehr schön gelungen war Kurt Schwitters Liebesgedicht an Anna Blume. Bodo Redner betörte Kerstin Bachtler mit den schmeichelnd-unsinnigen Worten Schwitters. „Je t’aime“ hauchte sie ihm zu und schmiegte sich an ihn. Doch dann hielt Claudia Albrecht mit dem Juno-Gedicht von Erich Fried dagegen. Schwitters sei ein „annaler Annalphabeth“. Mann könne sie gar nicht von hinten wie von vorne lesen wie er meint und lieben würde nur er sie ganz und gar. „Mir ist ganz mulmig vor Liebe – wie es sich gebührt“, sagte sie verwirrt. „Texttaxi“ holte Dada am Samstagabend in die Menge. Es war nichts abgehoben Intellektuelles. Nein, Dada wurde am Samstagabend vom Publikum mitgestaltet. Mit Wörtern, Klängen und Geräuschen. Und die Pirmasenser, die waren am Samstagabend einfach gut gelaunt in den Carolinensaal gekommen und wollten sich amüsieren. Da waren sie beim „Texttaxi plus Albrecht“ genau an der richtigen Adresse. Gern waren sie verantwortlich für die Hintergrundgeräusche zu Hermann Hesses „Wallfahrerlied. Von Vögeln gesungen“. Dafür lutschten sie lautstark Lollis, knisterten mit Bonbonpapier und wurden selbst zu Dadaisten. In einer weiteren Interaktion durften die Zuschauer aus der RHEINPFALZ wahllos ein Wort ausreißen, das von den dreien danach aufgeschrieben und zu einem dadaistischen Gedicht kombiniert wurde. Damit war belegt, dass viel an der dadaistischen Kunst nur durch die Betonung der Akteure zu Dada wird, während es sonst eine leblose, unzusammenhängende Textmasse bleiben würde. Von der Dramaturgie her hält sich „Texttaxi“ an die originale Vorgabe. Wie die Dadaisten trugen Bachtler, Redner und Albrecht Lautgedichte oder unkonventionelle Tänze vor. Wenn die Allgemeinheit im Saal zu überfordert war, sprang Emmy Hennings einst im Cabaret Voltaire in die Bresche, sang ein Lied und beruhigte die Gemüter. Im Carolinensaal lief es nach Cabaret Voltaire-Manier: Einem Textbeitrag folgte Gesang, „um das Ganze etwas aufzulockern“, wie Bachtler meinte. Die Dadaisten wollten die Stimme erheben gegen den Krieg, lehnten den althergebrachten Wertekatalog ab. „Texttaxi“ ist motiviert, sein Publikum zu unterhalten. Mit einem breitgefächerten, bunten Programm, ein wenig Dada und auch Klamauk. Mit einer Text-Revue zum Mitmachen.

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