Pirmasens „Jedes Porträt enthält eine Botschaft“

Suzanne Bohn.
Suzanne Bohn.

Suzanne Bohn spaziert literarisch durch Frauenleben aus ganz unterschiedlichen Epochen. Anhand von Briefen, Gedichten, Buchauszügen, Zitaten und auch Frauenliedern der Belle époque umreißt die Germanistin die Biografien, die eins gemeinsam haben: Sie transportieren Botschaften. Jede der von ihr auserwählten Frauen zeigt eine Facette ihres Landes – und gemeinsam werden sie zu einem Stück Kulturgeschichte, die vom Wandel Frankreichs zeugen. Am heutigen Donnerstag kommt Suzanne Bohn in den Pirmasenser Carolinensaal. Ihre Lesung „Frauenleben – Fragmente“ ist aber nicht nur für Frauen. Eingeladen sind alle Frankophile und Literaturliebhaber. Mit Suzanne Bohn sprach Christiane Magin.

Was interessiert Sie an den Frauen, die Sie porträtieren?

Die Schicksale, die dahinter stecken, die auch ein Stückchen Zeitgeschichte sind. Bei Camille Claudel zum Beispiel verbindet sich eine persönliche Geschichte mit der Geschichte des flagranten Feminismus. Wie konnte es dazu kommen, dass eine hochbegabte geniale Künstlerin, die heute zu den Großen zählt, in der Psychiatrie landen konnte? Das finde ich sehr spannend. Heute würde das bestimmt nicht mehr passieren. Dann habe ich noch die bewegende Geschichte einer Frau, einer Lehrerin in Marseille, die sich 1969 umgebracht hat, weil sie ein Verhältnis mit einem Schüler hatte. Sie wurde regelrecht einer Hexenjagd unterzogen. Heute hat Frankreich einen Präsidenten, der eine Frau hat, die 24 Jahre älter ist als er und die er als Schüler kennengelernt hatte. Ich möchte, dass man über solche Geschichten nachdenkt, die den Wandel der Gesellschaft zeigen. Wie wählen Sie Ihre Protagonistinnen aus? Meistens sind das Herzensangelegenheiten. Ich lese sehr viel und durch die Lektüre, oft durch Biografien, werde ich auf dieses oder jenes Schicksal aufmerksam. Und wenn ich das Gefühl habe, das gibt etwas her, beginnt meine Arbeit. Jedes Porträt enthält eine andere Facette und eine kleine Botschaft, die ich senden will. Ich habe zum Beispiel auch eine Schauspielerin im Programm, die absolut nicht bekannt ist: Pauline Carton. Die war eine ganz große Ulknudel in Frankreich und wurde fast 100 Jahre alt: 1884 geboren, 1974 gestorben. Ihr eigentlicher Name war Pauline Aimée Biarz. Sie war total hässlich und hat aus ihrer Hässlichkeit Kapital geschlagen. Das ist auch eine Art von Humor, mit seinen eigenen Defiziten Erfolg zu haben. Der gemeinsame Nenner, der alle Mosaiksteinchen zusammen hält, ist die Kulturgeschichte. Ich schreibe mit meinen Texten ein Stück Kulturgeschichte Frankreichs, mit der ich als Französin sehr vertraut bin. Oder soll ich sagen Frauengeschichte. Wie kam es überhaupt zu dem Programm? Es ist ein Programm, das ich für den Internationalen Frauentag zusammengestellt habe. Leider kann ich darin nicht alle Frauen präsentieren, die dazu gehören würden, aber ich möchte mein Publikum anregen, selbst weiter zu recherchieren, zu lesen und sich mit dem Thema zu befassen. Brauchen wir eine Frauenquote? Man muss die Besten nehmen. Nicht eine Frau bevorzugen, weil sie Frau ist. Wenn man Frauen nur nimmt, damit sie sich durchboxen, ist das unsinnig. Aber solange man in der Gesellschaft die Frauen überhaupt nicht an die Führungspositionen lässt, damit sie sich beweisen können, braucht man die Frauenquote schon. Was denken Sie über die „Me-too“-Debatte und Catherine Deneuve, die sich im Grunde auf die Seite der Männer geschlagen hat? Catherine Deneuve ist eine Frau, die von den Männern ihr Leben lang hofiert wurde. Sie wurde geehrt, geliebt und angebetet. Sie hat nie Gewalt von Männern erfahren. Das ist eine typisch französische Haltung, wenn die Frauen schön sind. Die Emanzipation in Frankreich ist eine ganz andere. Die Frauen sind dort nicht orthodox feministisch. Deswegen hassen die Amerikanerinnen die Französinnen. Was unterscheidet Ihrer Meinung nach Frauenbilder in Frankreich und Deutschland? Ich denke, dass die Französinnen, solange sie jung und schön sind, von den Männern auf ein Podest gestellt werden. Frankreich ist ein sexistisches Land, ein Land mit einem ganz besonderen Dialog zwischen den Geschlechtern. Die Frauen, die das Glück haben, schön zu sein, kämpfen natürlich um die Bewunderung der Männer, um deren Gunst. Alle Menschen sind Brüder, sage ich, aber nicht alle Frauen sind Schwestern. Catherine Deneuve hat zum Ausdruck gebracht, wie die Mentalität des Landes beschaffen ist. Es gibt einen wunderbaren Spruch, den zwei Frauen, Margerite Duras und Colette, unabhängig voneinander gesagt haben: Die Frau braucht den Blick des Mannes, um Frau zu sein. So wie der Mann den Blick der Frau braucht, um zum Mann zu werden. Wir brauchen uns gegenseitig, um uns als geschlechtsspezifische Wesen zu definieren. Warum sollte sich keiner, ob Mann, ob Frau, Ihre Lesung entgehen lassen? Es gibt drei Gründe: Das Interesse für Frauen, Literatur und natürlich für Frankreich. Und dann bin ich vielleicht der vierte Grund, weil ich eine besondere Art des Vortrags habe: lebhaft, antiakademisch, das Gegenteil von langweilig. Und warum ist das Programm auch für Männer interessant? Weil Männer sich meistens für Frauen interessieren und viele deutsche Männer auch frankophil sind. Hoffen wir, dass sie sich trauen... Infos —Die Lesung „Frauenleben – Fragmente“ beginnt am heutigen Donnerstag um 19.30 Uhr im Carolinensaal in Anwesenheit der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Pirmasens. Einlass ist ab 19 Uhr bei freier Platzwahl. Im Anschluss an die Veranstaltung besteht bei einem Sektumtrunk die Möglichkeit für persönliche Begegnungen und Gespräche. —- Eintrittskarten zum Preis von acht Euro sind in der Stadtbücherei, Dankelsbachstraße 19, erhältlich. Telefonische Kartenreservierungen sind unter 06331/842358 möglich und auch per E-Mail unter stadtbuecherei@pirmasens.de.

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