Pirmasens Das bewegte Leben des Ossi Rohr: Graphic Novel über den ersten deutschen Fußball-Profi

„Die Zeitumstände zwangen ihn, ins Ausland zu gehen, und er wurde dann von den Nazis zum Vaterlandsverräter erklärt“, sagt der T
»Die Zeitumstände zwangen ihn, ins Ausland zu gehen, und er wurde dann von den Nazis zum Vaterlandsverräter erklärt«, sagt der Texter der Graphic Novel »Ein Leben für den Fußball«, Julian Voloj.

Ossi Rohr (1912 - 1988) war der erste deutsche Fußballprofi, schoss den FC Bayern München 1932 zu seiner ersten deutschen Meisterschaft – und er war nach dem Zweiten Weltkrieg Spielertrainer des FK Pirmasens. In diesen Tagen erscheint im renommierten Carlsen Verlag, der die Harry-Potter-Bücher und Comic-Klassiker wie „Tim und Struppi“ herausbrachte, eine Graphic Novel über den Nationalspieler mit besonderem Werdegang.

Der Neustart in den Nachkriegsfußball verlief für den in den 1930er-Jahren so erfolgreichen FK Pirmasens mit Hindernissen. Die erste Nachkriegssaison 1945/46 hatte der FKP als Tabellensechster der auf zehn Vereine abgespeckten Oberliga Südwest beendet. Doch im Herbst 1946 strukturierten die Besatzungsbehörden der französischen und amerikanischen Zone die Ligen neu. Der Betrieb der Oberliga Südwest unter dem Namen „Nordzonenliga“ wurde im November abgebrochen. In den folgenden Ausscheidungsspielen zur neuen Oberliga Südwest konnte sich der FKP nicht qualifizieren und musste ab Januar 1947 in der Landesliga Westpfalz, der sogenannten Ehrenliga, antreten.

Ein echter Coup mitten im Pirmasenser Nachkriegswinter

Die Klub-Verantwortlichen suchten in jenen Monaten händeringend nach einem guten Trainer und nach einem starken Angreifer. Und kurz vor dem Neustart der Runde mitten im Winter gelang ein echter Coup: Oskar Rohr, in Mannheim geborener ehemaliger Nationalspieler und gefeierter Torjäger bei Bayern München und beim elsässischen Spitzenclub Racing Straßburg, unterschrieb in Pirmasens.

4000 Zuschauer bei seinem Debüt auf dem Klub-Platz

Zu seinem Debüt strömten die Zuschauer in Scharen auf den Klub-Platz. In der RHEINPFALZ vom 22. Januar 1947 war zu lesen: „In Pirmasens geht es wieder aufwärts. Der alte Club hat durch die Erwerbung des Nationalspielers Ossi Rohr einen beachtlichen Aufschwung zu verzeichnen. Zwar gelang dem ehemaligen Mannheimer bei seinem Debüt kein Torschuss, allein gut 4000 Zuschauer überzeugten sich von seiner noch immer ausgezeichneten Ballverteilung und seiner reifen Spielübersicht.“

Als Spielertrainer beim FK Pirmasens

Rohr kam als Spielertrainer nach Pirmasens. Bei seiner Verpflichtung muss es einigermaßen turbulent zugegangen sein, denn er hatte wohl vor dem Abschluss mit den Pirmasensern auch mit der Spielvereinigung Mundenheim aus Ludwigshafen verhandelt – offenbar bis zur letzten Minute, denn am gleichen Spieltag, an dem Rohr in der Schuhstadt debütierte, gab es in Mundenheim lange Gesichter. Dort „warteten 2000 Zuschauer vergeblich auf den groß angekündigten Nationalspieler Ossi Rohr“, hieß es in der gleichen Ausgabe der RHEINPFALZ.

Was den Ausschlag für Rohr gab, sich für Pirmasens zu entscheiden, darüber kann heute nur spekuliert werden. Einen Hinweis könnte eine Quelle aus dem Umfeld des Vereins aus dem Privatarchiv des Pirmasenser FKP-Experten Michael Schwarz geben. Dort wird unter der Überschrift „immer wieder die Trainerfrage“ die schwierige Suche nach geeigneten Übungsleitern geschildert. Erwähnt wird dabei der frühere FKP-Nationalspieler der 1930er Jahre, Heinrich „Schepp“ Hergert, der sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit neben anderen vergeblich darum bemüht habe, „die Kondition zu stärken“. Hergert, der als Mittelläufer und Abwehrspieler von 1930 bis 1938 mit dem FKP an den Endrunden um die süddeutsche Meisterschaft teilnahm und später in der neugegründeten Gauliga dreimal Vizemeister wurde, stand am 19. März 1933, unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, beim Länderspiel Deutschland gegen Frankreich gemeinsam mit Ossi Rohr in der deutschen Nationalelf.

Beim DFB Teamkollege des Pirmasensers Hergert

Rohr und Hergert waren also Teamkameraden – möglicherweise spielte diese Beziehung eine Rolle bei der späteren Verpflichtung Rohrs durch den FKP. Im Länderspiel im ausverkauften Berliner Grunewaldstadion, das die Franzosen wegen der in der nationalen Presse konstatierten „Mobilmachstimmung“ zunächst absagen wollten, schoss Ossi Rohr zwei Tore und fiel in Frankreich auf.

Jüdischer Trainer lotst ihn von Mannheim nach München

Rohr spielte damals für Bayern München. Als Nachwuchsspieler hatte ihn sein Trainer beim VfR Mannheim, Richard Krohn, mit nach München gelotst. Die Bayern unter dem jüdischen Präsidenten Kurt Landauer waren schon damals ein modern geführter Verein, der sich unter dem ebenfalls jüdischen Trainer Krohn am Kombinationsspiel der österreichischen, tschechischen und ungarischen Topclubs orientierte.

Torschütze zum 1:0 im Finale der deutschen Meisterschaft

Der Erfolg stellte sich mit der ersehnten ersten deutschen Meisterschaft ein. Am 12. Juni 1932 schlugen die Bayern im Endspiel in Nürnberg die Frankfurter Eintracht mit 2:0. Torschütze zum 1:0 war der 20-jährige Ossi Rohr.

In diesen Tagen erscheint eine Graphic Novel über Ossi Rohr. Der Texter Julian Voloj, geboren in Münster, und der polnische Zeichner Marcin Podolec haben sich die Aufgabe gestellt, den heute vergessenen Torjäger gebührend zu würdigen. Voloj: „Er hätte ein Gerd Müller, ein Robert Lewandowski seiner Generation sein können, den aber die Zeitumstände zwangen, ins Ausland zu gehen und der dann von den Nazis zum Vaterlandsverräter erklärt wurde.“

Oskar Rohr wollte von seinem Sport leben – aber professioneller Fußball wurde von den Funktionären des Deutschen Fußball-Bunds damals vehement abgelehnt. „Asozial“ nannte DFB-Präsident Felix Linnemann den sogenannten „Bezahlfußball“.

Cabrio als Prämie für Wechsel nach Straßburg

Da florierten in vielen anderen Ländern längst die Profiligen, und viele Stars konnten vom Fußball leben. Das wollte Oskar Rohr auch. Er begleitete seinen Trainer Krohn 1933 von München nach Zürich und unterschrieb später beim elsässischen Erstligaclub Racing Straßburg. Seine Prämie: ein nagelneues Sportcabriolet.

Fünf Tore in nur vier Länderspielen

Oskar Rohr, der erste deutsche Fußballprofi, musste seinen Schritt mit dem Ende seiner Nationalmannschaftskarriere bezahlen. In vier Spielen hatte er fünf Tore für Deutschland erzielt.

Er stammte aus einer echten Mannheimer Fußballdynastie. Neben Oskar schaffte es noch ein weiteres Familienmitglied, über die Region hinaus bekannt zu werden: Gernot Rohr, sein Großneffe. Wie sein Großonkel spielte er bei den Bayern, ging dann nach Frankreich, wo er mit Bordeaux dreimal französischer Meister wurde. Er spricht mit großer Zuneigung von „Onkel Ossi“, wie er in der Familie von allen genannt wurde und der ein sehr lebenslustiger Mensch gewesen sei: „Er hat sich in Straßburg sehr wohl gefühlt und war in den 30er-Jahren Publikumsliebling in der Mainau, demselben Stadion, wo auch heute der Racing spielt.“

In Frankreich war Ossi Rohr ein Star

Noch immer, so Gernot Rohr, der die französische Staatsbürgerschaft besitzt und nahe Bordeaux am Atlantik lebt, werde er auf seinen Großonkel angesprochen. Denn in Frankreich war Ossi ein Star. Bis heute ist er Rekordtorschütze des Racing; 117 Erstligatreffer hat er für die Elsässer erzielt.

Doch dann verdüsterte sich sein Leben ebenso schlagartig wie das von Millionen Menschen in Europa. Mit dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg, und Ossi Rohr wurde von den Nazis als Fahnenflüchtiger und Vaterlandsverräter gebrandmarkt. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Frankreich flüchtete er in den Süden.

Erst ins KZ Kieslau, dann an die Ostfront

1942 wurde er verhaftet und ins KZ Kieslau bei Karlsruhe gesteckt. Nach seiner Freilassung schickten ihn die Nazis an die Ostfront – ein Todesurteil. Doch Ossi wurde verletzt und schaffte es, fast wie durch ein Wunder, mit einer der letzten Maschinen zu entkommen: „Dank seiner Vergangenheit bei den Bayern“, erzählt Gernot Rohr, „wurde er von einem der letzten fliegenden Piloten evakuiert, obwohl die Flugzeuge alle proppenvoll waren.“

Pilot und Bayern-Fan rettet sein Leben

Der Pilot war nämlich Anhänger des FC Bayern und erkannte Rohr, worauf er angeordnet habe: „Der Ossi muss mit.“ Gernot Rohr kennt viele Geschichten über seinen Großonkel, den er bis heute verehrt: „Ein sehr liebenswürdiger Mann und obwohl er nicht sehr gesprächig war über seine Vergangenheit, die sehr bewegt war, gab es immer eine große Herzlichkeit, und wir haben uns immer gefreut, wenn er bei uns war.“

Gernot über Ossi Rohr: Typ wie Gerd Müller

Zu seiner aktiven Zeit galt Ossi Rohr als Vollblutstürmer mit sehr hartem Schuss, schnell, kombinationssicher und extrem torgefährlich. „Ein Typ wie Gerd Müller“, sagt Gernot Rohr. Doch selbst spielen sehen hat der 1953 geborene Gernot seinen Großonkel nicht mehr.

Rohr schaffte als Spielertrainer mit dem FKP den Aufstieg zurück in die Oberliga Südwest und spielte noch ein weiteres Jahr in der damals höchsten Spielklasse mit. In 21 Spielen erzielte er dort elf Tore für „die Klub“.

Ein außergewöhnlicher Spieler in Pirmasens

Was bleibt, ist die Gewissheit, dass mit Oskar Rohr ein außergewöhnlicher Spieler in Pirmasens aktiv war, einer, der Fußballgeschichte geschrieben und das düsterste Kapitel der deutschen Geschichte mit knapper Not überlebt hat.

DER AUTOR

Patric Seibel, 1965 in Landau geboren, in Hauenstein aufgewachsen und heute in Hamburg lebend, arbeitet als Fußballreporter, freier Journalist und Autor für Radio und Zeitungen. Er schreibt über Bücher, Kultur, Wissenschaft und Politik. Buchveröffentlichung: „Ich bleibe immer der vierjährige Junge von damals“, Biografie eines griechischen Überlebenden des deutschen Terrors.
Ossi Rohr ist mit 117 Erstliga-Treffern bis heute der Rekord-Torschütze von Racing Straßburg. Weil er dort Profi wurde, endete s
Ossi Rohr ist mit 117 Erstliga-Treffern bis heute der Rekord-Torschütze von Racing Straßburg. Weil er dort Profi wurde, endete seine Nationalmannschaftskarriere früh.
Die FKP-Mannschaft an Ostern 1947 beim Freundschaftsspiel gegen Weingarten mit Ossi Rohr (kniend, Zweiter von rechts).
Die FKP-Mannschaft an Ostern 1947 beim Freundschaftsspiel gegen Weingarten mit Ossi Rohr (kniend, Zweiter von rechts).
Beim Champions-League-Halbfinale 2012 in der Allianz-Arena zwischen Bayern München und Real Madrid: Ossi Rohrs Großneffe Gernot
Beim Champions-League-Halbfinale 2012 in der Allianz-Arena zwischen Bayern München und Real Madrid: Ossi Rohrs Großneffe Gernot Rohr (links), selbst ein erfolgreicher Fußballspieler und -trainer, und Weltmeister Paul Breitner mit dem Fußballschuh von Ossi Rohr, der die Bayern 1932 zu ihrer ersten deutschen Meisterschaft schoss. Dieser Schuh steht nun im Museum des FC Bayern.
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