Pirmasens Einfach unbeschreiblich schön

Er wies als erster auf die Probleme hin, die ein Anrufbeantworter bringen kann. Mit „Kein Schwein ruft mich an“ wurde Max Raabe 1992 zum Star. Erstmals durfte man den singenden Botschafter der 20er und 30er Jahre jetzt in Zweibrücken erleben. Am Samstag trat er im Rahmen des Festivals Euroclassic in der komplett ausverkauften Festhalle auf.

Perfekt sitzender Frack, weißes Hemd, Fliege, Lackschuhe – so kennt man den Wahlberliner seit er vor als 30 Jahren seine Karriere begann. Damals gründete er sein Palastorchesters, das aber nicht mit nach Zweibrücken reiste. Vielmehr stand Max Raabe zusammen mit seinem Pianisten Christoph Israel auf der Bühne. Im Mittelpunkt des Konzerts standen die Komponisten und Textdichter der ausgehenden Weimarer Republik. Jene wahrhaft begnadeten Schriftsteller und Musiker zumeist jüdischer Herkunft, die nach 1933 aus Nazi-Deutschland fliehen mussten. Etwa Max Colpet, Friedrich Hollaender, Robert Gilbert, Werner Richard Heymann, Walter Jurmann, Ralph Benatzky, Hans May, Walter Reisch oder Fritz Rotter. Max Raabe hatte sich intensiv mit diesen Künstlern beschäftigt, kannte alle ihre Namen, ihre Schicksale und benannte auch die Jahre, in denen die mehr als zwei Dutzend Lieder, Schlager und Couplets erschienen waren, die an diesem Abend das Publikum begeistern sollten. Zugegeben, es hätte ein Konzert mit unsterblichen Gassenhauern werden können. Doch auf den kleinen grünen Kaktus verzichteten Raabe und Israel ebenso wie auf andere Lieder, die unvermeidlich auftauchen, wenn es um die Zeit der Weimarer Republik geht. Vielmehr waren es Texte leiserer Art, manche fast vergessen, die aber dennoch im Laufe von 90 Jahren nichts an Wortwitz und Raffinesse eingebüßt haben. Die präsentierte Max Raabe in einer verblüffenden Art. Nicht nur sein Äußeres schien aus der Zeit gefallen zu sein. Ganz so, wie man es von alten Tonaufnahmen und Filmen kennt, klang seine Stimme, wenn er die Lieder einer längst vergangenen Zeit interpretierte. Eine Art zu singen, die schnell in ihren Bann zog. Auf populäre Gassenhauer wie den „Kleinen grünen Kaktus“ verzichtete er. Stattdessen hob er Liedgut aus der Vergangenheit, das ebenfalls über Dekaden nichts von seinem Wortwitz eingebüßt hat: Durchaus mit einer frivolen Zweideutigkeit. Etwa wenn in „Ich kenn“ zwei süße Schwestern“ ein vermeintlicher Flirt mit einem Zwillingspärchen geschildert wird, die sich aber letztendlich als die Töchter des Sängers entpuppen, die er mit väterlichem Stolz zu Bett bringt. Frech-süffisant das Fremdgeh-Verhältnis in „Sag nicht du zu mir, wenn meine Frau dabei ist“. Heute eher vergessen die Zunft des Eintänzers, der in „Wir tanzen ein und sehen aus“ porträtiert wurde. Dessen Berufsbild unterscheide sich vom Gigolo insofern, so Raabe, als dass Ersterer nur, Letzterer auch tanzt. Und immer wieder das komplizierte Wesen Frau, das damals wie heute die Männer zur Verzweiflung bringt. „Sag ich blau, sagt sie grün“ war ein humorvolles Beispiel an diesem Abend, das nichts an Aktualität verloren zu haben scheint. Fast noch schöner waren die melancholischen Lieder. Etwa „Was weißt denn du“ vom Österreicher Walter Jurmann. Oder „Ganz hinten, wo der Leuchtturm steht“, einst von Hans Albers populär gemacht. Höhepunkte sicherlich Friedrich Hollaenders „Stroganoff“ und „Rotkäppchen“ mit bissiger Ironie und überraschendem Witz. Viel zu schnell vergingen die beiden Stunden des Konzerts und es war kein Wunder, dass am Ende stehender Applaus der Lohn der Mühe war. Mit drei Zugaben dankten Raabe und Israel. Davon mit „Der perfekte Tag“ auch ein Lied aus neuerer Zeit aus der Zusammenarbeit mit Annette Humpe. Und ganz zum Schluss das wehmütige „Lebe wohl, gute Reise“. Einfach unbeschreiblich schön.

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