Neustadt Tränen, aber auch Zustimmung

Große Ehre: Seit 1976 trägt der Sonnenweg, einer der schönsten und meistgenutzten Spazierwege Neustadts, offiziell den Namen von
Große Ehre: Seit 1976 trägt der Sonnenweg, einer der schönsten und meistgenutzten Spazierwege Neustadts, offiziell den Namen von Leopold Reitz. Auch ein Gedenkstein erinnert hier an den Schriftsteller und ersten Ordensmeister der Weinbruderschaft der Pfalz.

«Neustadt». Rudi Brenzingers auf seiner jüngst erschienenen Broschüre über den Gründer der Weinbruderschaft der Pfalz, Leopold Reitz, basierender Vortrag hat am Montag beim „Förderverein Gedenkstätte für NS-Opfer“ in Neustadt ein geteiltes Echo gefunden. Fritz Schumann, langjähriger „Ordensmeister“ der Weinbrüder, warf dem Referenten „üble Nachrede“ vor.

Für Schumann, der von 2002 bis 2014 an der Spitze der Weinbruderschaft stand und damit der Nachnachfolger des 1972 verstorbenen Reitz in diesem Amt war, geriet der Abend zu einer in hohem Maß emotionalen Angelegenheit. Eberhard Dittus, der Vorsitzende des Fördervereins Gedenkstätte, hatte den Bad Dürkheimer für die Mitgliederversammlung quasi als Gegenpart zu Brenzinger eingeladen. Dessen Thema: der Weg des Leopold Reitz vom Nazi-Funktionär zum Ehrenbürger seiner Heimatgemeinde Böbingen und Träger des Bundesverdienstkreuzes. Brenzinger, der ebenfalls in Böbingen wohnt, hat eine Broschüre über den Heimatdichter herausgegeben, die den Fokus darauf setzt, wie Reitz, der in der NS-Zeit unter anderem Kulturreferent der Stadt Neustadt war, nach 1945 als Ordensmeister der Weinbruderschaft wieder zu Ehren kam (wir berichteten). Schumanns Stimme war bereits brüchig, als Dittus ihm nach dem Vortrag das Wort erteilte. Wenn Reitz menschlich oder politisch ein „Schweinehund“ gewesen wäre, hätten nicht Leute wie der Verleger Daniel Meininger mit ihm zusammengearbeitet, argumentierte er. Am meisten empörte Schumann sich über Äußerungen Brenzingers zur Weinbruderschaft, vor allem über diese: „Welcher Geist diese Weinbruderschaft umwehte, vielleicht heute noch umweht, zeigen zwei Affären ...“ Schumann dazu: „Das ist üble Nachrede.“ Bei den „Affären“, die Brenzinger anspricht, ging es unter anderem um einen umstrittenen Aufsatz des Ordensmeisters Theo Becker von 1997, in dem dieser seine Zeit als Hitler-Junge ohne kritische Distanz als „schöne Jahre, an die ich gerne zurückdenke“ beschrieb. Brenzinger, so kritisierte Schumann weiter, habe in seiner Darstellung von Reitz „Worthülsen herausgegriffen“, und das sei ungerecht. Dass man einem Menschen nicht gerecht werde, wenn man ihn nur anhand von schriftlichen Äußerungen beurteile, diese Erfahrung habe er selbst gemacht, erzählte Schumann und verlor völlig die Fassung. Aus dem Publikum erhielt er für seine Antwort einigen Applaus. Organisator Dittus brachte der Gefühlsausbruch etwas in Verlegenheit. Dass hier „so viele Wunden angerührt“ würden, sei ihm nicht bewusst gewesen, sagte er. Die weiteren Redebeiträge führten die Diskussion wieder auf eine sachlichere Ebene. Vereinsmitglied Walter Rummel, Leiter des Landesarchivs in Speyer, machte deutlich, dass die Entnazifizierungsakten „kaum belastbare Fakten“ enthielten. Aus der ersten Runde unter Leitung der Franzosen seien nur noch die Urteile vorhanden. Die Revisionsverfahren 1948/49 hätten dann schon sehr stark unter dem Eindruck des Kalten Krieges gestanden. „Das Ganze versickerte dann, weil alle raus wollten“, so Rummel. Zu den zahlreichen Ehrungen für Reitz sagte er: „Es war in den 50er Jahren bundesdeutsche Normalität, dass alle, die sich irgendwie für die Heimat einsetzten, geehrt wurden.“ Widerspruch in Sachen „Affäre Theo Becker“ erhielt Schumann von der Grünen-Politikerin Ruth Ratter, die an der Debatte damals beteiligt war. Becker habe die Zeit auch im Nachhinein nicht kritisch reflektiert. Und auch Reitz hätte diese Notwendigkeit in Bezug auf seinen eigenen Lebensweg sehen können. Aus diesen Gründen sei die Entscheidung, in Neustadt den Sonnenweg in „Leopold-Reitz-Weg“ umzubenennen, seinerzeit auch durchaus umstritten gewesen. Abschließend berichtete Brenzinger, dass er auf den RHEINPFALZ-Artikel über seine Broschüre hin etwa 30 Anrufe von Bürgern erhalten habe, die die kritische Auseinandersetzung mit Reitz begrüßten.

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