Neustadt Körperlust und Lebensfreude

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Neustadt. Wieder einmal begeisterten die Studierenden der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Mannheim unter Leitung der ehemaligen Weltklasse-Primaballerina Birgit Keil beim alljährlichen Ballettabend im Saalbau. Sie tanzten eigene Choreografien sowie Werke ihrer Professoren Alexandre Kalibabchuk und Joseph Willems und der international bekannten Choreografin Young Soon Hue und boten, passend am Faschingsdienstag, viel Lebensfreude.

Seit vielen Jahren dient die Aufführungsreihe der Akademie des Tanzes dazu, die Studierenden früh an die Bühnenpraxis heranzuführen und neben technischer Präzision auch die individuelle künstlerische Persönlichkeit der Tänzer in einem Strauß klassischer und moderner Fächer auszubauen. Damit setzt die Mannheimer Hochschule eine Tradition fort, die 1762 von Kurfürst Carl Theodor ins Leben gerufen wurde, wodurch die Mannheimer Ausbildungsstätte heute eine der traditionsreichsten in ganz Deutschland ist. Mit dem Shakira-Hit „La Quiero a Morir“ setzte ein junges Tanzpaar einen schlichten, harmonisch-„swingenden“ Auftakt. Einstudiert wurde dieses Stück von dem Niederländer Joseph Willems, der bereits mit namhaften Choreografen zusammen gearbeitet hat. Einen Kontrapunkt setzte danach ein klassischer „Pas de Trois“ mit zwei Frauen und einem Mann, die – auch in den Soli – hohe Virtuosität bewiesen. Einstudiert wurde er von Birgit Keil selbst, die vor zwei Jahren 70 wurde und bereits seit 1995 die Mannheimer Ballett-Abteilung leitet. Ihre tänzerische Ausbildung erhielt sie unter anderem in Stuttgart und London. 1963 wurde sie Solistin in Stuttgart. Als Weltklasse-Primaballerina tanzte sie dort alle bedeutenden klassischen und modernen Hauptrollen und hatte Gastauftritte an den großen Ballettbühnen der Welt. Es folgte ein bunter Reigen von choreografischen Eigenleistungen der Hochschulstudenten nach zeitgenössischen Musikstücken und Klassikern wie „Claire de Lune“ von Debussy. Einzeln, in Paaren und meist asymmetrisch-modernen, nicht immer völlig durchschaubaren Formationen tanzten die jungen Leute. Klassische Ballettabläufe wechselten mit zeitgenössischen, schwingenden Körperbewegungen im Stehen oder Schreiten. Spannende, technisch höchst anspruchsvolle Bewegungsabläufe brachen um in stille und abwartende Gesten – und umgekehrt. Unglaublich, was ein menschlicher Körper so alles „hinkriegt“. So manches versetzte hier in Staunen. Mal wurde in Ballettschuhen unterschiedlicher Art getanzt und gesprungen, dann wieder barfuß, mit vielen Verschlingungen auf dem Boden. Hektisch, aggressiv ging es zu in Stücken wie „Fate“ oder „Verbal Violence“, dann wieder lyrisch verträumt bei „Claire de Lune“. Schnell vorbei war dieser studentische Reigen. Ihm folgte die Choreographie „The Edge of the Circle“ der weltweit gefeierten südkoreanischen Choreografin Young Soon Hue auf der Basis eines ausdrucksstarken Streicher-Musikstückes – mit bewusst gesetzten Brüchen ins Frech-Moderne. Zwei Höhepunkte im Fach „Lebensfreude“ setzten schließlich „Gopak“, ein rasanter ukrainischer Tanz aus dem 16. Jahrhundert, sowie ein alter französischer Holzschuhtanz, beide kreativ umgearbeitet vom Mannheimer Professor Alexandre Kalibabchuk. Rasant, kraftvoll und lebensfroh wirbelten beim „Gopak“ komplexe Figuren und Formationen auf der Bühne. Der Ukrainer war nach seiner Ausbildung in Kiew und Moskau Solotänzer an der Staatsoper Kiew und am Badischen Staatstheater in Karlsruhe. Es folgte ein Jahr als Ballettmeister in Nürnberg und zwei Jahre in Karlsruhe unter Birgit Keil. Seit 2010 ist er Professor in Mannheim. Klimax und Schlusspunkt setzten dann seine „Sabotiers“, die „Holzschuhtänzer“ – in frech rosafarbenen Lederschuhen und Langstrümpfen, was erhöhten Kraftaufwand für die Muskeln bedeutete. Klasse Soli der vier Tänzer , die die „Tollpatschigkeit“ junger Burschen auf die Schippe nahmen, rissen die Zuschauer im ausverkauften Saalbau förmlich von den Sitzen. Dazu passte auch ein rutschender Hosenträger, der einen zusätzlichen Lacher einbrachte. Das Publikum forderte Zugabe und erhielt dafür noch ein paar tolle Possen der vier Ballett-Akrobaten. Nur ganz winzige Patzer trübten hie und da das positive Gesamtbild, etwa, wenn ein roter Stiefel des tanzenden Hundertfüßlers mal einen Sekundenbruchteil zu langsam hochflog. Oder mal ein winzig kleiner „Nachhüpfer“ wie anfangs beim sehr schwierigen „Pas de Trois“. Doch das rückte bei dem Reichtum an Virtuosität und Vielfalt in den Hintergrund. Höchstbegabte Lernende zeigten hier eindrucksvoll, dass Ballett eigentlich auch eine Olympiadisziplin sein könnte. Man möchte am liebsten mittanzen – wenn man es denn könnte …

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