Neustadt Jutta Paulus im Sommerinterview: „Was ist an Klimaschutz links?“

Jutta Paulus wohnt unterhalb der Wolff’schen Anlage, wo sie gerne die Abgeschiedenheit in der Natur und den Weitblick auf die Rh
Jutta Paulus wohnt unterhalb der Wolff’schen Anlage, wo sie gerne die Abgeschiedenheit in der Natur und den Weitblick auf die Rheinebene genießt.

Rheinpfalz-Sommerinterview (5): Ein lockeres Gespräch an einem besonderen Ort, am besten im Freien. Dazu haben wir uns wieder Interviewpartner für die Ferienzeit gesucht. Wie Jutta Paules, die Neustadter Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen.

Wir sitzen hier im Wald der Wolff’schen Anlage oberhalb des Mandelrings. Was verbindet Sie mit diesem Ort?

Der Abenteuerspielplatz meiner Kinder. Wir haben hier Schnitzeljagden organisiert, und mein vierjähriger Sohn wollte Wildschweinfallen bauen, weil er so gerne Wildschweinbraten gegessen hat. Irgendwie ist aber nie ein Wildschwein in die 15 Zentimeter tiefe Grube gegangen … Sie sind im Gießen aufgewachsen. Was hat Sie nach Neustadt gezogen? Ich habe mit dem Vater meiner Kinder ein Labor gegründet. In Neustadt hatte er die geeigneten Räume dafür gefunden. Und dann habe ich erst gemerkt, wie schön es hier ist. Wenn ich von meiner Terrasse hier auf der Haardt in die Rheinebene schaue, kann ich mir kaum schönere Orte vorstellen. Warum haben Sie Pharmazie studiert? Ich weiß, das ist vergleichsweise untypisch für eine Grüne. Die Fachschaft Pharmazie in Marburg war auch eher unpolitisch. Ich war da bei den Asta-Veranstaltungen die Ausnahme. Mich hat Chemie gereizt, aber ich wollte Beruf und Familie vereinbaren können. Und in der Pharmazie fand ich ein vielfältiges Fach, das mir eine breite naturwissenschaftliche Grundlage verschafft hat. Davon profitiere ich noch heute in der Politik. Und es gab Lebensphasen, in denen ich der Familie damit in der Apotheke Brot und Butter zum Leben verdienen konnte. Wie kamen Sie zu den Grünen? Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986. CSU-Innenminister Friedrich Zimmermann erklärte im Fernsehen, dass es keine Gefahr gebe. Mein damaliger Freund , ein Physiker, zeigte mir Faxe aus Schweden, die die große Belastung belegten. Bald darauf saß ich im Stadtparlament von Marburg. Um dann unter Kanzler Schröder und Rot-Grün wieder auszutreten? Den Eintritt in den Kosovo-Krieg und auch andere Entscheidungen wollte ich nicht mittragen. Die Alternative wäre gewesen, mich innerparteilich gegen diese Entwicklung zu wehren. Dafür fehlte mir damals die Zeit. Die Kinder waren noch klein, das Labor noch im Aufbau. Wie antworten Sie heute auf die Frage, was Sie beruflich machen? Sind Sie eine Berufspolitikerin? Ja, das trifft es wohl. Das hängt bei uns Grünen in Rheinland-Pfalz aber noch mit der Trennung von Amt und Mandat zusammen. Anders ist die Aufgabe auch nicht zu bewältigen. Unser Landesverband hat 3100 Mitglieder. Ich bin zwei Tage fest in Mainz. Oft auch noch in Berlin, weil ich dem Parteirat auf Bundesebene angehöre. Und gerade komme ich aus Brüssel. Wie reist denn eine Grüne nach Berlin? Natürlich mit dem Zug. Ich habe mir die Bahncard 100 gekauft. Da müssen Sie nur einsteigen. Ich bin in fünfeinhalb Stunden in der Hauptstadt und kann unterwegs Mails schreiben oder telefonieren. Wenn Sie An- und Abfahrt rechnen, Check-in und Kontrolle, dann ist der Flieger nicht viel schneller, wenn überhaupt. Wie nehmen Sie den Berliner Politikbetrieb wahr? Das ist schon eine große Blase, von Politikern und auch von Journalisten übrigens. Da vermisse ich manchmal schon die Bodenhaftung. Und von den jüngsten Ereignissen gar nicht zu sprechen. Statt über Asyl zu streiten, sollte die Groko gemeinsam mal überlegen, wie sie wieder bezahlbaren Wohnraum schaffen will. Wie fanden Sie dann 2009 wieder zurück zu den Grünen? Das hat hier in Haardt angefangen. Wir hatten überlegt, einen Ortsverband zu gründen, haben die „Babbelstunde“ angeboten. Aus Interesse an der Energiewende ging ich dann in die Landesarbeitsgemeinschaft Energie, später auch in die Bundesarbeitsgemeinschaft. Und da das Themen sind, die sich nicht regional lösen lassen, stand die Kommunalpolitik dann etwas weniger im Fokus. Das hat sich einfach so ergeben. Hätte ich mich in der Sozialpolitik oder der Stadtplanung eingebracht, wäre das vielleicht anders gelaufen. Die Energiepolitik ist in den vergangenen zwei Jahren im Hinblick auf die Pläne für Windräder in Mußbach sehr ausgiebig diskutiert worden. Wir sind uns einig, dass es sicherlich Standorte gibt, die von der Windhöffigkeit her besser geeignet sind. Aber auch Neustadt sollte seinen Beitrag zur Energiewende leisten. Was mich ärgert ist, dass die Gegner keine Alternativen vorschlagen. Dieses „Ja gerne, aber nicht bei uns“ ist mir zu kurzsichtig. Und energietechnisch gesehen haben ländliche Regionen schon immer die Städte mitversorgen müssen. Wir können nicht auf die Kernfusion warten. So lange haben wir keine Zeit mehr, wenn wir weiter auf diesem Planeten leben wollen. Welchem politischen Lager der Grünen würden Sie sich zurechnen? Ich bin kein Freund des Lagerdenkens. Was ist an Klimaschutz links? Auf der anderen Seite haben wir als Grüne mittlerweile eine so große gesellschaftliche Akzeptanz, dass wir selbstbewusst sagen können, dass wir mehr als Umwelt können. Wir sind keine Nischenpartei mehr. Ich sehe meine Aufgabe als Landesvorsitzende auch darin, ausgleichend zu wirken. Wie nehmen Sie die Koalition von SPD, FDP, Grünen in Mainz wahr? Die lebt vom gegenseitigen Leben lassen. Ich finde, das funktioniert ganz gut. Das Klima untereinander stimmt. Wichtig bei einer solchen Konstellation sind ganz viele Absprachen. Und wie läuft die Jamaika-Koalition im Stadtrat von Neustadt aus Ihrer Sicht? So nah bin ich da überhaupt nicht dran, um das bewerten zu können. Zum Jahnplatz in Lachen-Speyerdorf hat es ja sogar öffentliche Auseinandersetzungen gegeben ... Das Projekt ist in meinen Augen sehr schräg. Trotzdem haben wir es als Grüne mitgetragen. Und jetzt gibt es im Gegensatz zur ersten Offenlegung Planänderungen. Das ist alles maximal unglücklich gelaufen. Es muss doch eine Möglichkeit geben, die Linden zu erhalten. Viel diskutiert wird auch die zunehmende Vereinnahmung des Hambacher Schlosses durch die AfD und Rechtspopulisten. Das ist eine bodenlose Unverschämtheit der AfD. Ich rate denen, sich wirklich mal mit den Originaltexten des Hambacher Festes von 1832 zu beschäftigen. Da ging es darum, die Kleinstaaterei hinter sich zu lassen. Franzosen und Polen wurden mit Begeisterung empfangen. Das sind ja wohl keine AfD-Positionen. Was raten Sie Stadt und Stiftung, wie sie damit künftig umgehen sollen? In Deutschland hat jeder ein Recht auf eine eigene Meinung, aber es gibt kein Recht, das mir den Widerspruch verbietet. Ein Signal zu setzen, deutlich zu machen, dass die große Mehrheit das immer noch anders sieht, ist ganz wichtig. Diese Rechtspopulisten sind keine Erben der Organisatoren des Hambacher Festes. Wie verbringen Sie Ihre Freizeit? Ich singe in der Stiftskantorei, leider viel zu selten, aus Zeitmangel. Freunde treffen ist mir wichtig. Bei Radtouren kann ich gut abschalten. In meinen Ämtern sind Sie aber immer im Dienst. Da gibt es auch einmal am Abend um 22 Uhr eine Telefon-Konferenz. Zum Abschluss dürfen auch Sie mir eine Frage stellen. Was können denn die Medien tun, um sich der Bedrohung unserer liberalen Demokratie entgegenzustellen? Ich glaube, dass es wichtig ist, bei der Faktensuche unermüdlich zu sein und immer den Anspruch zu haben, möglichst viele Quellen zu hören. Und es gehört in unserem Beruf dazu, auch einmal unbequeme Meinungen zu vertreten, sich dabei nicht einschüchtern zu lassen und die Unabhängigkeit der Presse deutlich zu machen.

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