Neustadt Hakenschlagen als Überlebensprinzip

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Neustadt-Hambach. Donnerstagabend im Festsaal des Hambacher Schlosses: Auf einem Tisch auf der Bühne schlägt ein kleiner, rosa Spielzeughase Purzelbäume. Er gehört Anny Hartmann, die ebenfalls geübt ist im Salto schlagen, allerdings mit Verstand und scharfer Zunge als politische Kabarettistin. Präzise wie ein Uhrwerk reiht sie Missstände auf und erklärt, was für ein Leben in Frieden und Freiheit unabdingbar ist: soziale Gerechtigkeit, Aufklärung und das Rückgrat, sich dafür einzusetzen, auch wenn es mal ungemütlich wird.

Nach oben buckeln, wo der Hase im Pfeffer liege, und nach unten treten, sei lediglich der kürzeste und leichteste Weg, sich abzureagieren und Schuldige auszumachen, ist der Tenor Hartmanns, die sehr zur Freude ihres Publikums „Mitarbeit belohnt“ und bei Antworten auf ihre Nachfragen Schokotäfelchen ins Publikum wirft. Auch das hat einen Hintersinn, denn sie selbst hasst Diäten und liebt Süßes, das sinnlichen Genuss verspricht, den sie in Deutschland ebenso vermisst wie Lebensfreude. „Und dabei hat man doch allen Grund dankbar zu sein. Man wacht gesund auf in einem sicheren Land“, erinnert sie die Miesepeter, denen schon morgens an der ersten roten Ampel der Tag versaut ist. Wie viel Grund die Deutschen hätten, bescheiden und dankbar zu sein, eröffnet ihr Blick in die jüngere Historie, die sie im Schnelldurchlauf vorträgt: Zweiten Weltkrieg angezettelt, verloren, von Schuldenschnitt profitiert, Reibach durch Waffenschiebereien, verlogen ahnungslos, unfreundlich, aber pünktlich gewesen. Hartmann sieht die über alle menschlichen und sozialen Belange gestellten wirtschaftlichen Erfolge in der sogenannten Leistungsgesellschaft vielfach als geschickte Tricksereien. Da habe etwa Jean-Claude Juncker als früherer Finanz- und Premierminister sein Luxemburg zur Steuer- und Schwarzgeldoase gemacht, immer in „individuellen Absprachen“ mit finanzprostituierten Beamten. Trickser bleibe Trickser, warnt sie nicht nur im Hinblick auf EU-Angelegenheiten. Als bedenklich werden auch Vorratsdatenspeicherung und Bundesjustizminister Heiko Maas’ kaum diskutierte „kleine“ Einschränkung der Pressefreiheit bei der Aufbereitung von Whistleblowerdaten durch Journalisten gewertet. Ebenfalls suspekt findet sie die willfährige Übernahme von Verantwortung wie im Fall des VW-Abgasskandals durch den Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn. Hier werde sich lediglich sauber „verpisst“ mit einer millionenschweren „Entlasszahlung“, für die noch nicht einmal Sozialabgaben gezahlt werden müssten. Überhaupt: Geld sei genug da, allerdings konzentriert in Händen weniger, während Milliarden malochten oder gar hungerten. Dass Hartmann profunde Kenntnisse hat, liegt nicht zuletzt an ihrem Werdegang. Die Diplom-Volkswirtin, die vor ihrer mehrfach ausgezeichneten Kabarettkarriere selbst in der Finanzwirtschaft „inmitten lauter steifer Leb- und Freudloser“ ihrem Job nachgegangen ist, hatte sich entschlossen „etwas zu wagen“ und die Energie lieber in Veränderungen als in ein „unglückliches Leben“ zu stecken. Hartmann liefert tempo- und kenntnisreich Beispiele und Fakten, denen das Publikum erst einmal folgen können muss. Lacher und Zwischenapplaus gibt es dort, wo alles noch präsent ist, denn Zeit fürs Überlegen lässt sie nicht bei ihren schnell vorgetragenen Nachrichten und ständig wechselnden Schauplätzen. Die politischen, gesellschaftskritischen Themen sind fokussiert ohne allzu viele, eigene Pointen, die Deutung zurückliegender Ereignisse gut kombinierbar mit Aktuellem wie zum Beispiel in der Flüchtlingspolitik. So fehlt allerdings phasenweise auch die angenehm erzählende Lockerheit, wie sie einst etwa Dieter Hildebrandt auszeichnete. In Hartmanns Schlusswitz ist es der hakenschlagende Hase, der überlebt, weil er beim Bären einfach nachfragt, ob er nicht von dessen Todesliste gestrichen werden könne. Dass Menschen unkonventionell Stellung beziehen und Gedanken für ein friedliches, soziales Miteinander auch gegen den Strom weitergeben, wünscht Hartmann sich, bevor sie unter wohlwollendem Applaus die Bühne verlässt. Auf dem Tisch zurück bleibt ihr Spielzeughase, der weiter Purzelbäume schlägt.

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