Neustadt Große Sprünge sind nicht mehr drin

Deidesheim. Die Institution des Turmschreibers in Deidesheim gibt es schon seit 36 Jahren. An ihrem Anfang stand die Idee des früheren Bürgermeisters Stefan Gillich, Wein und Kultur miteinander zu verbinden. Das sollte sowohl der Literatur als auch dem Ansehen des Weinstädtchens förderlich sei und sorgte für einiges überregionales Aufsehen. Doch mit den handelnden Personen ist auch die Institution in die Jahre gekommen. Sie braucht eine Rundum-Verjüngungskur – und eine Neuorganisation der zugehörigen Stiftung.

Grundlage für die Turmschreiberei ist seit dem Jahr 1991 die Stiftung zur Förderung der Literatur in der Pfalz. Das war damals schon ein Neubeginn, der die Literatur stärker in den Vordergrund rücken, ihr mehr Freiheiten erlauben sollte. In der Stiftung waren einmal so renommierte Institutionen wie die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt, oder die Akademie der Wissenschaften und Literatur, Mainz, vertreten. Das ist Vergangenheit. Inzwischen besteht die Stiftung nur noch aus drei Männern. Der Vorsitzende Stefan Gillich und Franz Pelgen, ehemaliger Leiter der Kulturredaktion beim Südwestfunk, sind schon lange im Rentenalter. Bleibt somit für den Versuch, der Turmschreiberei eine zukunftsweisende Richtung zu geben, der Deidesheimer Stadtbürgermeister Manfred Dörr. Er möchte sicherstellen, dass es auch künftig wieder Männer und Frauen gibt, die im mittelalterlichen Turm zur Feder beziehungsweise zum Laptop greifen und sich in der Kleinstadt an der Weinstraße Inspirationen holen können. Die Stiftung stand quasi vor der Alternative Auflösung oder Weiterleben mit Hilfe einer anderen Stiftung. Für die zweite Möglichkeit bietet sich in Deidesheim die Frank-Lyden-Stiftung an, die sich auch der Förderung von Aktivitäten auf den Gebieten der Wissenschaft, Journalistik, Literatur oder der Kunst verschrieben hat. In dieser, so Dörrs Idee, könnte die Turmschreiberei als Unterstiftung weiterleben. Zuständig für Stiftungen ist im Lande Rheinland-Pfalz die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD). Grundsätzlich habe die Behörde wohl nichts gegen die neue Konstruktion, wenn denn einige Spielregeln eingehalten würden, sagt Dörr. Dazu gehöre zum Beispiel, dass das Vermögen beider Stiftungen nicht miteinander vermischt wird und dass ein Beirat gebildet wird aus Menschen, die eine fachliche Qualifikation mitbringen. Letztere hatte die Stiftung zur Förderung der Literatur von Anfang an, und es war mitunter erstaunlich, welch renommierte Autoren vor allem in den 80er und 90er Jahren über die Turmschreiberei nach Deidesheim kamen. Da war Ludwig Harig aus dem Saarland, der so packend und phantasievoll, aber auch respektlos über seinen Aufenthalt berichtet hat. Oder Herbert Heckmann mit seinen wortgewaltigen Weinpredigten nach barockem Vorbild. Der Lyriker Walter Helmut Fritz aus Karlsruhe, dessen sensible „Prosagedichte“ über das Verhältnis von Mensch und Landschaft nachhaltig wirken. Oder der Elsässer Schriftsteller und Germanist André Weckmann mit dem Ziel, vor allem über Kultur und Sprache die grenzüberschreitende Verständigung zu fördern. Mehrerer Turmschreiber waren zugleich Mitglieder der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Bei der Wahl der bisher letzten Turmschreiber hat die in die Jahre gekommene Stiftung nicht mehr auf so hohes literarisches Niveau gesetzt. Vielleicht auch nicht gekonnt, weil die persönlichen Bindungen zu den literarischen Akademien abgerissen waren. Manfred Dörr möchte den baldigen Neustart. 2016, so hofft er, könnte wieder ein Turmschreiber kommen. Bewerbungen gebe es bereits. Zur Frage, wohin es denn mit dieser Institution gehen soll, meint er, dass es sich wohl mehr in Richtung Regionalität entwickeln werde. Der Qualität brauche das keinen Abbruch zu tun. Die ganz bekannten Namen der Literatur werden es aber wohl nicht sein. „So große Sprünge werden wir wohl nicht machen können“, gibt sich der Deidesheimer Stadtbürgermeister realistisch. Zumindest nicht in finanzieller Hinsicht. Das weltweit beispiellose Zinstief hat auch die Erträge der Literaturstiftung geschwächt. Doch der Charme der Turmschreiberei liegt nicht nur in der Dotierung (bisher: 7500 Euro). Charakteristisch dafür waren auch stets die Gastfreundschaft, das Interesse der Bevölkerung, die Möglichkeit vieler Begegnungen. Die Autoren hatten literarische Freiheiten, wenn auch ein Stoff, der sich mit der Pfalz befasst, durchaus gerne gesehen wurde. Bevor aber Namen gehandelt werden, ist die Angliederung an die Frank-Lyden-Stiftung zu regeln. Deren Satzung ist zu ändern, rechtliche und finanzielle Fragen sind mit der ADD und dem Finanzamt zu klären. Bleibt die Frage, was denn aus dem namensgebenden Domizil des Schreibers, dem Turm, wird. Er steht in dem Teil des Schlossgrabens, der zurzeit aus Sicherheitsgründen gesperrt ist. Die Sanierung der Graben-mauern wird kostspielig und ist möglicherweise nur in Etappen zu erledigen. Kann sein, dass der nächste Autor gar nicht auf dem üblichen Weg durch den Graben zum Turm kommt. Aber es gibt ja inzwischen einen neuen Zugang: über den am oberen Ende der Mauer gelegenen Garten des Weinguts Georg Ferdinand Kimich. Wenn dessen Besitzer zustimmt, kann die Turmschreiberstube von dort aus betreten werden. Was im Deidesheimer Advent einer Märchenerzählerin möglich war, wird wohl beim nächsten Autor, der mit Hilfe der Deidesheimer Stiftung gefördert wird, kein Problem sein.

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