Neustadt Frühschicht am Drive-In-Schalter

Älter werden liegt im Trend. Es ist gerade noch hipper als Yoga, vegane Ernährung, Steuerhinterziehung oder Transgender zu sein. Wobei: Letztgenanntes habe ich ja schon längst vollzogen. Seit Jahren bin ich transfinanziell: ein reicher deutscher Staatsbürger gefangen im Körper eines armen deutschen Durchschnittsbürgers. Das ist blöd, denn mein Dasein wird sich ziehen: Glaubt man nämlich optimistischen Ärzten, wird man in absehbarer Zeit 120 Jahre alt werden können. Vorausgesetzt man macht nicht den Fehler und stirbt vorher. „Mensch ärgere dich nicht“ wird schon bald mit einer neuen Verpackung aufwarten müssen, damit sich durch die Angabe „5 bis 99 Jahre“ nicht der ein oder andere diskriminiert fühlt. Da frage ich mich doch schon heute zu recht: Wie werde ich meinen Lebensstandard im Alter halten können? Ich bin bei meinem letzten Rentenbescheid, der mit den Worten begann „Ihre voraussichtliche Rente beträgt ...“ lachend vom Stuhl gefallen und habe augenblicklich beschlossen, mit dem Rauchen anzufangen, meinen Weißweinkonsum nochmals deutlich in die Höhe zu schrauben und mir eine lebensgefährliche Extremsportart zuzulegen. Sonst erlebe ich das womöglich noch! 40 Jahre arbeiten für 400 Euro Rente – das ist wie fünf Monate Diät für fünf Tage Bikini und steht in keinem Verhältnis. 2016 stieg die Rente um schwindelerregende fünf Prozent. Wird man bei 3,04 Euro mehr nicht schnell leichtsinnig und bestellt den langersehnten Bentley, bucht die einjährige Kreuzfahrt oder mischt den Markt für Luxusimmobilien in Saint- Tropez auf? Nein, im Ernst, ich werde privat vorsorgen müssen, denn auch der Generationenvertrag scheint in meinem Fall nicht zu greifen. Ich holte meine Tochter neulich von ihrem Ferienjob in einem Bistro ab. Schon beim Einsteigen meinte sie: Wenn ich jetzt in Rente gehe, bekomme ich 7,96 Euro monatlich. Bis 8,99 Euro mache ich noch. Dann kann ich Netflix behalten. Also auf die ist auch kein Verlass. Ich denke, wenn mein Buch, das gerade letzte Woche erschienen ist nicht wenigstens in 42 Sprachen übersetzt wird und als Grundlage für mindestens drei Hollywood-Blockbuster der Kategorie Popcorn-Kino Verwendung findet, wird aus meinem Ruhestand ein Unruhestand. Ich stelle mir das gerade vor: Da sitze ich dann neben meiner besten Freundin in der Regionalbahn von Deidesheim nach Bad Dürkheim. Und sie fragt mich: „Und Anne? Feierst Du morgen? Du wirst doch immerhin 80.“ Und ich werde sagen müssen: „Nein, sorry Annette, ich kann nicht. Ich habe übermorgen bei McDonalds die Frühschicht am Drive-In-Schalter.“ Die Kolumne Die Deidesheimerin Anne Vogd gewann 2016 den SWR 3-Comedy-Förderpreis in Bad Dürkheim – für die gebürtige Rheinländerin der entscheidende Impuls, ihre Tätigkeit als Diplomkauffrau an den Nagel zu hängen und sich ganz auf Comedy und Karneval zu konzentrieren. Unter der Rubrik „Annes Welt“ veröffentlichen wir an dieser Stelle regelmäßig, was der 53-Jährigen so durch den Kopf geht. Ein Buch mit ihren Kolumnen ist am 7. September im Taschenbuch-Programm des Ullstein-Verlags erschienen.

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