Neustadt Einladung zum Käpt’ns Dinner

Neustadt. Die Buchhandlung Osiander platzte am Mittwochabend mit 265 Zuhörern aus allen Nähten. Rund 50 eingefleischte Fans standen bereits eine Stunde vor Lesungsbeginn in der Kellereistraße Schlange, um Sebastian Fitzek zu begegnen. Deutschlands erfolgreichster Autor von Psychothrillern selbst wundert sich einerseits immer noch ein bisschen über die, wie er es formuliert, „Eigendynamik“ seines Erfolgs. Der ehemalige Radio-Unterhaltungschef bedient die Marketingmaschinerie aber andererseits sehr geschickt und professionell.

„Ich habe keine Lust auf 08/15-Lesungen“, hatte Fitzek vor seinem Auftritt im Gespräch gesagt. Zu diesem steht er ohne vorherige Anmeldung spontan zur Verfügung und hat sichtlich immer noch viel Spaß daran, über sich und sein Schaffen Auskunft zu geben. Im Vergleich zur Show mit Band und Soundtrack, mit der er sein 2013 erschienenes Buch „Noah“ vorgestellt hatte, war die Präsentation seines neuen Werks „Passagier 23“ in einer Buchhandlung statt im Konzertsaal dann zwar näher dran an der klassischen Lesung. Andererseits: Mit nur vier kurzen Lesepassagen aus dem wendungsreichen Psychothriller, in dem es kurz gesagt um das rätselhafte Verschwinden von Passagieren auf einem Kreuzfahrtschiff geht, lässt sich der rund zweistündige Abend eher als eine Art Käpt’ns-Dinner beschreiben. Erwartete die Zuhörer doch eine auf ihren Plätzen bereitgelegt e witzige „Bordzeitung“ mit einer Einladung zum Empfang „aller verbliebenen Gäste“. Der Käpt’n selbst sitzt in grauer Hose und Hemd im informellen Dress am Rednerpult. Es ist nichts Neues: An seinem harmlosen Jungengesicht ist dem 1971 geborenen Autor nicht gerade anzusehen, dass er inzwischen mit rund 4,5 Millionen verkauften Exemplaren elf überaus erfolgreiche Romane über das abgrundtief Böse geschrieben hat. Er sehe aus wie ein „spätpubertärer Harry Potter“, habe der „Stern“ einst über ihn geschrieben, doch jetzt habe ihm sein Verlag Kontaktlinsen verordnet, witzelt Fitzek am Mikro über sich selbst. „Thrillerautoren sind Weicheier“, behauptet er sogar. „Wenn wir keine Angst hätten, könnten wir nicht darüber schreiben“, sagt der Mann, der sich als bekennender Sahnelikör-Liebhaber outet. Überhaupt tendiert der Abend mit viel Selbstironie und ein paar wohlgewählten privaten Details tatsächlich eher zum gepflegten Smalltalk. Die Fans, überwiegend Frauen, hängen sowieso hingebungsvoll an seinen Lippen. Aber auch Neulinge in der Gemeinde können nicht umhin, den eloquenten Mann mit der sonoren Radiostimme sympathisch zu finden. Beim Schreiben beherrscht Fitzek die Kunst des Spannungsbogens wie kaum ein zweiter. Und auch beim Vortrag offenbart er ungeahnte Entertainer-Qualitäten, hat als Ansprechpartnerin schnell die „Kreuzfahrt-Expertin aus der zweiten Reihe“ ausgemacht, mit der er öfter in Dialog geht, spielt später mit dem Publikum ein kleines Schiffe-versenken-Gewinnspiel mit dem naheliegenden Titel „Fitzek versenken“. Außer seinem neuen Buch hat der Autor ein zerlesenes Exemplar des 2009 eingestellten Gruner-und-Jahr-Magazins „Park Avenue“ dabei. Darin fand er vor Jahren einen Artikel, der seiner Idee für einen Kreuzfahrt-Thriller Schub gab. Er schildert die Geschichte von in den USA eingebürgerten Vietnamflüchtlingen, die auf mysteriöse Weise spurlos von einem Kreuzfahrtschiff verschwunden sind. In „Passagier 23“ dagegen taucht ein totgeglaubtes kleines Mädchen mit dem Namen Anouk, deren Mutter ebenfalls verschwunden ist, wieder auf. Einer glaubte aber von Anfang an nicht an die These vom erweiterten Selbstmord: Der traumatisierte Polizeipsychologe und verdeckte Ermittler Dr. Martin Schwartz, ein psychisches Wrack, seit er Frau und Sohn auf einer Kreuzfahrt verloren hat. Sein 2006 erschienener Debütroman „Die Therapie“, für den Fitzek nur mit Hilfe eines Agenten einen Verlag fand, hatte eine Startauflage von 4000 Stück. Der Ende Oktober erschienene „Passagier 23“ dagegen ist längst auf Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste geschossen. Eins machte sein Auftritt in Neustadt, wo er zuletzt 2007 als Nominierter für den Friedrich-Glauser-Preis war, klar: Fitzek, der durchschnittlich einen Thriller pro Jahr verfasst, spielt locker-flockig und doch sehr professionell auf der Klaviatur des Hypes um seine weniger literarisch wertvollen als solide gemachten unterhaltsamen Bücher. Ein Literat wolle er auch gar nicht sein, bekennt er im Gespräch. Er sei und bleibe ein Entertainer. Quod erat demonstrandum.

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