Neustadt „Blickführung via Wort“

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Deidesheim. Mit einer Publikation mit dem bitterbösen Titel „Wo der Wein herb und die Architektur bieder ist“ hatte sich der Architekturkritiker Wolfgang Bachmann 1986 wenig Freunde in der Architektenszene der Pfalz gemacht. Jetzt ist der gebürtige Ludwigshafener, der als Chefredakteur der Fachzeitschrift „Baumeister“ lange Zeit eine der maßgeblichen Stimmen der deutschen Architekturdebatten war, nach Jahren in Berlin und München in die ehemals vielgescholtene Heimat, genauer: nach Deidesheim, zurückgekehrt und findet, dass sich auch hier beachtliche Veränderungen vollzogen haben.

Zwar sei die Pfalz immer noch nicht mit dem Tessin oder Vorarlberg zu vergleichen, aber es gebe inzwischen doch durchaus beeindruckende architektonische Leistungen in der Region, sagt der 65-Jährige und verweist unter anderem auf ein Beispiel aus Gimmeldingen, das er im aktuellen Band der Reihe „Häuser des Jahres“ behandelt hat, die alljährlich die aus einem Wettbewerb des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt und des Callwey-Verlags hervorgegangenen 50 besten Einfamilienhäuser im deutschsprachigen Raum vorstellt. Die edel aufgemachten Bildbände sind das Glanzstück auf der langen Liste seiner Publikationen – die jedes Jahr um drei bis vier weitere Titel anwächst. So hat er schon Bücher über diverse architektonische Detailthemen, aber auch verschiedene Architekturbüros verfasst. Auch Humorvolles wie ein „Fröhliches Wörterbuch Architektur“ ist zu finden. Bachmanns Lieblingsmetier allerdings ist die Kolumne, der er sich etwa im Wochenendprodukt der „Süddeutschen Zeitung“, aber auch auf Internetportalen wie „DAB online“ oder „Urlaubsfieber“ widmet(e). Mit locker-leichtem Strich und wunderbarem Spott behandelt er da auch Bauformen, die sonst eher selten in den Blick der Architekturkritik geraten, wie Telefonzelle, Garage, Gästeklo oder Beichtstuhl. Besucht man Bachmann in seinem Anwesen in Deidesheim, ist man, mit den Hochglanzbildern aus „Häuser des Jahres“ im Kopf, zunächst vielleicht etwas überrascht: Es ist sind nicht Stahl, Glas, Sichtbeton, die hier das Bild bestimmen – nein, Wolfgang Bachmann empfängt den RHEINPFALZ-Redakteur im Hof eines idyllischen alten Winzerhauses mitten in der verwinkelten Altstadt, wo er und sein Frau sich im vergangenen Jahr niedergelassen haben. „Als ich vor 40 Jahren anfing, wäre mir jedes Haus recht gewesen, das die Konventionen sprengt“, weist er selbst darauf hin, dass sich sein Geschmack im Laufe der Zeit gewandelt hat. Weniger nassforsch sei er heute in seinem Urteil. Und plädiere dafür, lieber die Bestandsbauten zu pflegen, als ohne Sinn und Verstand die „Häusle“ auf der grünen Wiese nebeneinander zu reihen. Was allerdings nicht heißt, dass ihm die Maßstäbe für gute Architektur abhanden gekommen wären. Sichtlich konsterniert berichtet er etwa von den „abstrusen Vorschlägen“, die bei den Debatten um Thermalbad und Brunnenhalle in Bad Dürkheim zu vernehmen waren. Der Kurstadt ist Bachmann besonders verbunden, weil er dort seine Kindheit und Jugend verbracht hat. Aber was ist überhaupt gute Architektur? Die Frage „Trägt es zur Verbesserung der Situation bei?“, nennt Bachmann hier als entscheidendes Kriterium, wobei verschiedene Perspektiven wie Ästhetik, Bauphysik, Stadtplanung in Betracht gezogen werden müssten. Dabei habe er in stilistischer Hinsicht nie eine bestimmte Ideologie verfolgt, sagt der promovierte Architekt: „Mir ging es nie darum, so eine Art Preisrichter zu sein. Mir war es immer wichtiger, die Geschichte eines Haues zu erzählen.“ „Blickführung via Wort“, nennt Bachmann dieses Prinzip. Diese Aufgeschlossenheit prägte bereits Bachmanns Studium an der FH Aachen, das er mit einer Doktorarbeit über anthroposophische Architektur abschloss. Und sie sei auch der Grund gewesen, warum er nach einigen Jahren als Angestellter in verschiedenen Architekturbüros dann zum Journalismus gewechselt sei. „Ich habe gemerkt, dass ich mich mehr dafür interessiere, was die Kollegen machen“, lacht er und nennt das heute weltberühmte Wiener Büro „Coop Himmelb(l)au“ als eine seiner frühen Entdeckungen. Den Einstieg in den Architekturjournalismus vollzog Bachmann von 1982 bis 1990 bei der Zeitschrift „Bauwelt“ in Berlin. Von 1991 bis 2011 war er dann als Chefredakteur beim „Baumeister“ in München tätig, woran sich danach zwei Jahre als Herausgeber dieser angesehenen Fachzeitschrift anschlossen. Inzwischen ist Bachmann in den Ruhestand getreten und genießt die „komfortable Situation“, völlig selbständig entscheiden zu können, welchen Aufgaben er sich widmet. Er hält Vorträge, juriert, moderiert, diskutiert und schreibt weiter Kritiken, Glossen und Kurzgeschichten. „Ich werde schreiben, bis ich ins Koma falle“, lacht er. Außerdem widmet er sich einem besonderen künstlerischen Hobby: Er fertigt „Fakes“, eigenhändige Anverwandlungen berühmter Kunstwerke, die ihm bei Museumsbesuchen ins Auge gesprungen sind. So kann man in seinem Deidesheimer Anwesen unter anderem Kopien nach Cy Twombly, Joan Miró, Ernst Wilhelm Ney oder Alex Katz begegnen.

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